Der fliegende Holländer. Фредерик Марриет
Читать онлайн книгу.zum Schlafen benützt, während die zwei kleineren Gemächer des Erdgeschosses als Waschküche und Rumpelkammer dienten. Eines der größeren funktionierte in der Eigenschaft einer Küche, und war mit Tischen und Simsen versehen, auf welchen die metallenen Kochgeräte so schön wie Silber blinkten. Der Raum selbst war höchst reinlich gehalten, aber nur spärlich möbliert. Die Dielen des Bodens erschienen so weiß, dass man Alles hätte darauf niederlegen können, ohne befürchten zu müssen, es zu besudeln. Ein starker Tannentisch, zwei hölzerne Stühle und ein kleines Kanapee, das aus einem der oberen Schlafgemächer heruntergeholt worden, waren das ganze Ameublement. Das andere Vordergemach hatte man zum Besuchszimmer ausgestattet; über die Art der Einrichtung wusste aber Niemand Auskunft zu geben, da es seit fast siebenzehn Jahren hermetisch verschlossen gewesen, und nicht einmal von den Einwohnern der Hütte besucht worden war.
In der vorgenannten Küche befanden sich zwei Personen. Die eine war eine Frau von etwa Vierzig, aber durch Gram und Leiden ganz abgezehrt. Wie man aus ihren regelmäßigen Umrissen, aus der edlen Stirne und dem großen, dunkeln Auge entnehmen konnte, musste sie früher sehr schön gewesen sein; jetzt aber war ihr Gesicht so schmächtig, dass das Fleisch beinahe durchsichtig erschien. Wenn sie sinnend dasaß, überzog sich ihre Stirne mit tiefen Runzeln, und bei dem gelegentlichen Aufblitzen ihrer Augen konnte man sich des Gedankens, dass hier ein irrer Geist brüte, nicht erwehren, Es schien eine tiefe, nicht entfernbare, hoffnungslose Leidensursache vorhanden zu sein, die keinen Augenblick aus ihrem Gedächtnisse wich – ein bleibender Druck, fest in's Innere gegraben, der blos im Tode Erleichterung fand. Sie trug die Witwentracht ihrer Zeit, die zwar nett und reinlich, aber doch vom langen Gebrauche sehr verschossen war, und saß auf dem kleinen Kanapee, das augenscheinlich um ihres leidenden Zustandes willen heruntergebracht worden war. Auf dem Tannentische in der Mitte des Gemachs saß die andere Person, ein kräftiger, blondhaariger, blühender Jüngling von neunzehn oder zwanzig Jahren. Seine Züge waren schön und keck, sein Körperbau fast zum Übermaße muskulös und sein Auge voll mutiger Entschlossenheit.
Während er so dasaß, sorglos seine Beine schlenkernd und laut ein Liedchen vor sich hin pfeifend, konnte man sich unmöglich des Gedankens erwehren, dass er ein kühner, wagehalsiger Mensch sei. »Geh' nicht zur See, Philipp. Oh, versprich mir dies, mein liebes, teures Kind,« sagte die Frau, ihre Hände zusammenschlagend. »Und warum soll ich nicht zur See gehen, Mutter?« versetzte Philipp. »Was nützt mich's, wenn ich hier bleibe und verhungere? – denn beim Himmel, wir haben wenig Besseres in Aussicht. Ich muss für mich und für Euch etwas tun – und mit was sonst könnte ich mich abgeben? Der Onkel van Brennen hat mir angeboten, er wolle mich mitnehmen und mir guten Lohn zahlen. An Bord ist dann für mich gesorgt, und mein Verdienst wird wohl zureichen, auch Euch zu Hause zu ernähren.« »Philipp – Philipp, höre mich. Ich sterbe, wenn du mich verlässt. Wen habe ich auch in der Welt, außer dir? Oh, mein Kind – wenn du mich liebst – und ich weiß, du liebst mich, Philipp – so verlass mich nicht; oder wenn du ja fort musst, so geh' in keinem Falle auf die See.« Philipp pfiff eine Weile fort, während seine Mutter in Tränen ausbrach. »Dringt Ihr deshalb so in mich,« sagte der Sohn endlich, »weil mein Vater auf dem Meere ertrank?« »Oh, nein – nein!« rief die schluchzende Frau. »Wollte Gott –« »Was sollte Gott wollen, Mutter?« »Nichts – nichts, sei barmherzig – sei barmherzig! Oh Gott!« entgegnete die Mutter, von ihrem Sitze heruntergleitend, und an der Seite des Kanapees niederkniend – eine Haltung, welche sie einige Zeit in brünstigem Gebete beibehielt. Endlich nahm sie ihren Platz wieder ein, und ihr Antlitz zeigte einen gefassteren Ausdruck.
Philipp, der inzwischen still und gedankenvoll geblieben war, redete seine Mutter an. »Ja, seht Mutter – Ihr verlangt, ich solle bei Euch am Lande bleiben und hungern; das ist eine etwas harte Aufgabe. Doch hört, was ich Euch sagen will. Seit ich mich erinnern kann, ist das Zimmer nebenan immer verschlossen – warum dies geschieht, wollt Ihr mir nie mittheilen; aber ich habe Euch einmal sagen hören, als wir ohne Brod waren und nicht auf die baldige Rückkehr des Onkels rechnen durften – Ihr wart damals etwas verwirrt, Mutter, und Ihr wisst, dass dies öfters bei Euch vorkommt –« »Nun, Philipp, was hörtest du mich sagen?« fragte die Mutter in bebender Angst. »Ihr sagtet, Mutter, dass in jenem Zimmer Geld sei, das uns helfen könnte, und dann schrie't Ihr und rastet und sagtet, dass Ihr lieber sterben wolltet, als es angreifen. Nun, Mutter, was ist in jenem Gemach, und warum haltet Ihr es so lange verschlossen? Entweder gebt Ihr mir Auskunft oder ich gehe zur See.«
Bei dem Beginne dieser Anrede schien die Frau ganz versteinert zu sein, denn sie war so regungslos wie eine Statue; allmählich aber trennten sich ihre Lippen und ihre Augen funkelten. Sie schien das Vermögen, zu antworten, verloren zu haben, und drückte ihre Hände in die rechte Seite, als wolle sie sich Erleichterung gegen eine quä-lende Folter verschaffen, bis sie endlich, mit dem Kopfe voran, niedersank. Aus ihrem Munde strömte Blut. Philipp stand von dem Tische auf, um ihr Beistand zu leisten, und legte sich noch zu gelegener Zeit in's Mittel, dass sie nicht zu Boden stürzte. Er brachte sie auf das Kanapee und sah mit stummer Angst dem fortwährenden Blutergusse zu. »Oh! Mutter – Mutter, was ist das?« rief er endlich verzweifelt. Eine Zeitlang vermochte die Frau nicht zu antworten. Sie legte sich mehr auf die Seite, um durch die Entleerung des geborstenen Blutgefäßes nicht erstickt zu werden, und die schneeigen Planken des Bodens waren bald purpurrot gefleckt.
»So redet doch, teuerste Mutter, wenn Ihr könnt,« versetzte Philipp in Todesangst; »was soll ich tun? Was kann ich Euch geben? Allmächtiger Gott! Was ist das?« »Der Tod, mein Kind, der Tod!« versetzte endlich die arme Frau, und versank dann in einen Zustand von Besinnungslosigkeit. Philipp eilte in seinem Schrecken aus der Hütte und rief die Nachbarinnen zum Beistande seiner Mutter herbei. Einige kamen herzu, und sobald sie Philipp um seine Mutter beschäftigt sah, jagte er aus Leibeskräften nach dem Hause eines Arztes, der eine Meile entfernt wohnte – eines Mynheer Poots, der eben so gut wegen seiner Geschicklichkeit, als wegen seines erbärmlichen Geizes bekannt war. Philipp fand Poots zu Hause, und bat ihn, augenblicklich mitzukommen. »Ich will kommen – ja, ganz gewiss,« versetzte Poots, der das Holländische nur unvollkommen sprach; »aber Mynheer Vanderdecken, wer wird mich bezahlen?« »Wer Euch bezahlen wird? Nun, mein Onkel, sobald er nach Hause kommt.« »Euer Onkel, der Schiffer Van Brennen? Nein, der schuldet mir selbst schon seit langer Zeit vier Gulden. Außerdem kann sein Schiff sinken.« »Er wird Euch Eure vier Gulden und auch diesen Besuch bezahlen,« versetzte Philipp in Wut. »Kommt augenblicklich – während Ihr hier disputiert, ist meine Mutter vielleicht tot.« »Nein, Herr Philipp, ich erinnere mich jetzt, dass es nicht angeht. Ich habe das Kind des Bürgermeisters von Terneuse zu besuchen,« versetzte Mynheer Poots. »Lasst Euch was sagen, Mynheer Poots,« rief Philipp mit zornglühendem Gesichte; »Ihr habt die Wahl – wollt Ihr gutwillig mit mir gehen, oder muss ich Euch hinbringen? Ich lasse nicht mit mir spielen.« Mynheer Poots geriet jetzt in beträchtliche Unruhe, denn Philipp Vanderdeckens Charakter war bekannt. »Ich will gelegentlich kommen, Mynheer Philipp, wenn ich kann.«
»Ihr geht jetzt, Ihr verwünschter, alter Geizhals!« rief Philipp, indem er den kleinen Mann am Kragen packte und zur Tür hinauszerrte. »Mordio! Mordio!« rief Poots, der den Gebrauch seiner Beine ganz verloren hatte, während ihn der ungestüme, junge Mann weiter schleppte. Philipp machte Halt, denn er bemerkte, dass Poots ganz schwarz im Gesichte war. »Muss ich Euch erdrosseln, oder wollt Ihr ruhig mitgehen? – Denn mit müsst Ihr – hört Ihr? – lebendig oder tot!« »Wohlan denn,« versetzte Poots, sich sammelnd, »ich will gehen; aber Ihr sollt mir heute Nacht noch in's Gefängnis wandern. Und was Eure Mutter betrifft – ich will nicht – nein, ich will nicht – verlasst Euch darauf, Mynheer Philipp.« »Merkt auf meine Worte, Mynheer Poots,« erwiderte Philipp. »So wahr ein Gott im Himmel ist – wenn Ihr nicht mitkommt, erdrossle ich Euch auf der Stelle, Und wenn Ihr in unsrem Hause anlangt und nicht Euer Bestes tut, um meine arme Mutter zu retten, so ist's auch dort um Euer Leben geschehen. Ihr wisst, dass ich stets Wort halte; lasst Euch daher raten und kommt ruhig mit. Ihr sollt gewiss bezahlt werden – und noch obendrein gut bezahlt – sogar, wenn ich den Rock vom Leibe verkaufen müsste.« Diese letztere Bemerkung tat vielleicht bessere Wirkung, als sogar die Drohungen. Poots war ein erbärmliches, kleines Wichtlein, und in der gewaltigen Faust des jungen Mannes wie ein Kind. Seine Wohnung stand einsam, und er konnte erst etwa hundert Schritte von Vanderdeckens Hütte Beistand erhalten. Mynheer Poots beschloss daher, zu gehen, einmal weil ihm Philipp Bezahlung