Der Südstern. Jules Verne
Читать онлайн книгу.sich eine Meile an die andere. Manchmal trabten die Pferde ziemlich schnell dahin, ein andermal schien es unmöglich, ihren Schritt nur einigermaßen zu beschleunigen. Immerhin wurde der Weg nach und nach zurückgelegt, und eines schönen Tages kam der Personenwagen in Hope-town an. Noch eine Etappe, dann war Kimberley erreicht. Hinter diesem zeigten sich Holzhütten am Horizonte.
Das war New-Rush.
Der Lagerplatz der Minengräber unterschied sich kaum von den provisorischen Städten, wie sie in allen, der Civilisation unlängst erschlossenen Ländern fast durch Zauberschlag aus der Erde empor zu wachsen scheinen.
Häuser aus sehr dicken Brettern, meist sehr klein und etwa den Hütten entsprechend, wie man sie auf den Flößen europäischer Ströme findet; einige Zelte, ein Dutzend Kaffeehäuser oder Schänken, ein Billardsaal, eine Alhambra oder Tanzsalon, einige »Stores« oder Handelsläden mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen – das war der Anblick, der sich zunächst dem Auge des Fremdlings bot.
In diesen Läden gab es Alles: Kleidungsstücke und Hausgeräthe, Schuhe und Fensterscheiben, Bücher und Sättel, Waffen und Stoffe, Besen und Jagdmunition, Lagerdecken und Cigarren, frische Gemüse und Arzneien, Pflüge und Toiletteseifen, Nagelbürsten und concentrirte Milch, Backöfen und Steindruckbilder – mit einem Worte Alles – nur keine Einkäufer.
Die Insassen des Lagerplatzes waren zur Zeit noch in dem drei- bis vierhundert Meter entfernten New-Rush in den Minen bei der Arbeit.
Wie alle neuen Ankömmlinge, beeilte sich Cyprien Méré dahin zu gehen, während man in der prunkhaft mit dem Schilde »Hôtel Continental« geschmückten Hütte das Essen zurecht machte.
Es war jetzt gegen sechs Uhr Nachmittags. Schon hüllte sich die Sonne am Horizonte in einen feinen, goldigen Dunst. Der junge Ingenieur beobachtete hier noch einmal den besonders großen Durchmesser, den die Sonne und der Mond in südlicheren Breiten zu haben scheinen, ohne daß es bisher gelungen wäre, eine zufriedenstellende Erklärung dieser auffälligen Erscheinung beizubringen Dieser Durchmesser beträgt nämlich mindestens das Doppelte von dem, den man in Europa wahrnimmt.
Cyprien Méré erwartete aber ein noch weit ungewohnteres Schauspiel in der Kopje, das heißt in dem eigentlichen Diamantfelde.
Beim Anfang der Arbeit bildete die Mine einen flachen Hügel, der hier die im übrigen gleich der Meeresfläche glatte Ebene überragte. Jetzt aber erschien sie in Form einer gewaltigen Aushöhlung mit steilen Wänden, einer Art Circus von elliptischer Gestalt und vierhundert Quadratmeter Seitenfläche, der an derselben Stelle ausgehoben war. Auf dieser Fläche vertheilt, lagen nicht weniger als drei- oder vierhundert »Claims« oder Concessionen von je einunddreißig Fuß Breite, welche deren Inhaber ganz nach Belieben ausbeuteten.
Die Arbeit dabei besteht ganz einfach darin, mittelst Spitzhaue und Schaufel den Boden auszuheben, der im Allgemeinen aus rothem Sande mit Kieseln gemischt besteht. An den Rand der Minen befördert, wird diese Erde nach Erzscheidetischen geschafft, um gewaschen, zerkleinert, gesiebt und endlich mit größter Sorgfalt auf ihren etwaigen Gehalt an kostbaren Steinen untersucht zu werden.
Da diese Claims alle unabhängig von einander ausgegraben wurden, bilden sie natürlich Gruben von sehr verschiedener Tiefe. Die einen reichen wohl hundert Meter und noch mehr hinunter, während andere nur fünfzehn, zwanzig oder dreißig Meter tief sind.
Aus Rücksicht auf die Arbeit und den Verkehr ist jeder Concessionär durch amtliche Verordnung streng verpflichtet, an den Seiten seines Loches sieben Fuß Durchmesser unberührt stehen zu lassen. Diese Fläche bildet, im Verein mit einer gleich großen, welche der Nachbar liegen lassen muß, eine Art Straße oder Erdwall im Niveau mit dem eigentlichen Erdboden. Darauf kommt dann dicht aneinander eine Reihe Balken zu liegen, welche auf jeder Seite über den Rand noch einen Meter hinausragen, um dem Gang hinreichende Breite zu geben, daß zwei Karren bequem an einander vorübergelangen können. Zum Schaden der Solidität dieses schwebenden Weges wie der Sicherheit der Minengräber unterlassen es die Concessionäre leider nicht, den Fuß der Mauer allmählich und je weiter sie in die Tiefe dringen, zu untergraben, so daß dieser Wall, der oft die Höhe gewaltiger Kirchthürme übertrifft, endlich eine umgekehrte Pyramide bildet, die auf ihrer Spitze ruht. Die Folgen dieses unverzeihlichen Verfahrens sind leicht vorauszusehen. Die Minen stürzen eben häufig ein, entweder während der Regenzeit oder wenn eine plötzliche Temperaturveränderung die schon vorhandenen Sprünge in der Erdmasse erweitert. Trotz der periodischen Wiederkehr solcher Unfälle lassen sich die Diamantgräber aber nicht abhalten, ihre Wand bis zur äußersten Grenze abzuschachten.
Als Cyprien Méré sich der Mine näherte, sah er zunächst nichts als Karren, welche leer oder beladen auf dem schwebenden Wege dahinrollten. Weiter herangekommen, konnte er jedoch den Blick bis in die Tiefen dieses eigenartigen Steinbruchs fallen lassen und gewahrte nun die große Menge von Leuten jeder Race, Farbe und Tracht, welche eifrig im Grunde der Claims wühlten. Hier gab es Neger und Weiße, Europäer und Afrikaner, Mongolen und Kelten – die Meisten fast ganz nackt oder höchstens bekleidet mit Leinensandalen, Flanellhemden, einem baumwollenen Schurz und auf dem Kopf einen, häufig mit Straußfedern geschmückten Strohhut.
Alle diese Männer füllten die Erde in Ledereimer, welche dann sofort an den Rand der Gruben emporstiegen, indem sie an langen Eisenkabeln, gezogen von aus Kuhhäuten geschnittenen Riemen, welche über durchbrochenen Rollen liefen, dahinglitten. Hier wurden die Eimer ebensoschnell in Karren entleert und gelangten dann nach dem Grunde des Claims zurück, um wieder mit neuer Ladung emporzusteigen.
Diese langen Eisendrahtkabel, welche schräg über die von den Claims gebildeten länglichen Vierecke weggespannt sind, geben den »Drydiggings«, den trockenen Diamantgruben, ein ganz eigenthümliches Ansehen. Man möchte glauben, die Fäden eines riesenhaften Spinnengewebes vor sich zu sehen, dessen Herstellung plötzlich unterbrochen wurde.
Cyprien amüsirte sich einige Zeit mit der Betrachtung dieses menschlichen Ameisenhaufens, dann kehrte er nach New-Rush zurück, wo alsbald eine gewaltige Tischglocke ertönte. Dort fand er im Laufe des Abends Gelegenheit, die Einen von reichen Funden sprechen zu hören, Mineurs, so arm wie Hiob, welche durch einen einzigen Diamanten urplötzlich reiche Leute geworden waren, während wieder Andere sich über erfolglose Bemühungen, über die Habsucht der Unterhändler oder die Unzuverlässigkeit der in den Gruben beschäftigten Kaffern beklagten, welche oft die schönsten Steine stehlen sollten. Ueberhaupt trug das Gespräch einen rein technischen Charakter. Es drehte sich einzig allein um Diamanten, Karatgewicht und gleich um Hunderte von Pfund Sterling.
Im Großen und Ganzen machten die Leute einen elenden Eindruck, und auf einen glücklichen »Digger«, der geräuschvoll eine Flasche Champagner verlangte, um sein Glück anständig zu begießen, sah man zwanzig traurige Gesichter, deren Eigentümer sich mit einem sehr dünnen Bier begnügten.
Gelegentlich ging wohl auch ein Stein an dem Tische von Hand zu Hand, wurde gewogen, geprüft und abgeschätzt, um endlich wieder in dem Gürtel seines Eigenthümers zu verschwinden. Dieser halbgraue, glanzlose Kiesel, der nicht mehr Feuer zeigte, als jeder von einem Bergbache herabgerollte Feldstein, war der Diamant in seiner natürlichen Gangart.
Bei Einbruch der Nacht füllten sich die Kaffeehäuser, und wieder folgten sich die nämlichen Gespräche, welche schon das Mahl gewürzt hatten, jetzt aber begleitet von so manchem Glase Gin oder Brandy.
Cyprien selbst hatte sich bei Zeiten in einem Bette niedergelegt, das ihm unter einem dem »Hôtel« benachbarten Zelte angewiesen worden war. Hier schlief er bald ein, trotz des Geräusches eines Balles unter freiem Himmel, den sich die Kaffern aus der Umgebung gaben, und trotz des Geschmetters eines Klappenhorns, das in einem öffentlichen Salon den choreographischen Uebungen der weißen Herren den Tact angab.
Drittes Capitel.
Ein wenig, in aller Freundschaft gelehrte Wissenschaft.
Der junge Ingenieur, zu seiner Ehre sei es gleich hier gesagt, war nicht nach dem Griqualande gekommen, um seine Zeit in dieser Atmosphäre von Habgier, Trunksucht und Tabaksrauch zu vergeuden. Er war beauftragt, in