Charles Dickens. Charles Dickens

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Charles Dickens - Charles Dickens


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an den Herrn in der Landkutsche vor sechs Jahren an jenem denkwürdigen Tage meiner Reise nach Reading. Ich war fest überzeugt, daß er jetzt vor mir stand.

      Ich bin in meinem ganzen Leben nicht so erschrocken, wie als ich diese Entdeckung machte, denn unsere Blicke begegneten sich, er schien meine Gedanken zu lesen und sah sich in einer Weise nach der Türe um, daß ich schon fürchtete, wir hätten ihn verloren.

      Zum Glück blieb er da und fragte mich, was ich von Mrs. Jellyby hielte.

      »Sie gibt sich außerordentlich viel Mühe mit Afrika, Sir.«

      »Kolossal!« bestätigte Mr. Jarndyce. »Aber Sie geben dieselbe Antwort wie Ada.«

      – Ich hatte nicht gehört, was sie sagte. –

      »Ihr scheint mir alle noch einen Nebengedanken zu haben.«

      »Es kam mir ein bißchen so vor«, gestand ich mit einem Blick auf Richard und Ada, die mir zuzwinkerten, ich solle doch sprechen, »als ob sie sich nicht allzusehr um ihre Wirtschaft bekümmere.«

      »Donnerwetter!« rief Mr. Jarndyce aus.

      Ich erschrak schon wieder.

      »Ja, ja! Ich möchte Ihre wahren Gedanken wissen, mein Kind. Ich habe Sie vielleicht mit Absicht hingeschickt.«

      »Wir glaubten«, begann ich zögernd, »daß es sich vielleicht gehöre, mit den Verpflichtungen gegen die eigne Häuslichkeit zu beginnen, und daß, solange diese übersehen und vernachlässigt sind, keine andern Pflichten an ihre Stelle treten sollten.«

      »Die kleinen Jellybys«, kam mir Richard zu Hilfe, »sind wirklich, um einen starken Ausdruck zu gebrauchen, Sir, – in einem ganz verteufelten Zustand.«

      »Sie meint es gut«, fiel Mr. Jarndyce hastig ein. »Es ist Ostwind.«

      »Auf der Fahrt hatten wir Nordwind, Sir«, bemerkte Richard.

      »Lieber Rick« – Mr. Jarndyce schürte das Feuer – »ich möchte einen Eid ablegen, daß wir entweder Ostwind haben oder daß er gleich einsetzen wird. Ich verspüre immer ein unbehagliches Gefühl, wenn der Wind aus Osten weht.«

      »Wohl Rheumatismus, Sir?«

      »Wahrscheinlich, Rick; ich glaube, es ist so. – Also die kleinen Jell – ich habe so meine Gedanken darüber gehabt – sind in einem – o Gott ja, es ist Ostwind«, sagte Mr. Jarndyce.

      Er ging zwei oder drei Mal mit dem Schüreisen unentschlossen in der Stube auf und ab, während er diese abgerissenen Worte sprach, fuhr sich mit einer so gutmütigen Verlegenheit durch die Haare und sah dabei so komisch und liebenswürdig zugleich aus, daß wir uns mehr über ihn freuten, als wir wahrscheinlich in Worten hätten ausdrücken können. Er reichte Ada und mir den Arm, bat Richard, ein Licht zu nehmen, und wollte uns hinausführen, als er plötzlich mit uns allen wiederumkehrte.

      »Die kleinen Jellybys! Konntet ihr nicht – warum habt ihr nicht –, na, wenn es z. B. Kuchen und Johannisbeertorten oder so etwas geregnet hätte?« fing er wieder an.

      »Ach, Vetter –« unterbrach ihn Ada hastig.

      »Sehr gut, mein Herzblatt. 'Vetter' gefällt mir. Vetter John wäre vielleicht noch besser!«

      »Also, Vetter John –« fing Ada von neuem lachend an.

      »Haha! Ausgezeichnet!« rief Mr. Jarndyce hocherfreut. »Klingt ungemein natürlich. Also, liebes Kind?«

      »Es geschah mehr als das. Esther kam hereingeschneit.«

      »Nun? Und was tat Esther?«

      »Sehen Sie, Vetter John«, – Ada faltete die Finger über seinen Arm und schüttelte gegen mich auf der andern Seite ihre Locken, denn ich bat sie zu schweigen, »Esther ist im Handumdrehen ihre Freundin geworden. Sie beaufsichtigte sie, brachte sie zu Bett, wusch und kämmte sie, erzählte ihnen Geschichten, kaufte ihnen Spielzeug –«

      – Die gute Ada! War ich doch nur ein einziges Mal mit Peepy ausgegangen, als man ihn wiedergefunden, und hatte ihm ein kleines Pferdchen gekauft. –

      »– und, Vetter John, sie tröstete die arme Karoline, die Älteste, und dachte nie an sich und war so liebenswürdig! – Nein, nein, ich lasse mir nicht widersprechen, liebe Esther! Du weißt selbst, es ist wahr.«

      Das warmherzige liebe Mädchen beugte sich an ihrem Vetter vorbei zu mir herüber und küßte mich, sah ihm dann ins Gesicht und sagte herausfordernd: »Jedenfalls, Vetter John, danke ich Ihnen für die Freundin, die Sie mir geschenkt haben.« Es war, als ob sie ihn förmlich herausforderte, auszureißen. Aber er tat es nicht.

      »Was für Wind hattet ihr, Rick?« fragte er wieder.

      »Nordwind, als wir herfuhren, Sir.«

      »Stimmt. Es ist kein Ostwind. Habe mich geirrt. Kommt, Mädchen, und seht euch das Haus an.«

      Es war eins jener entzückenden unregelmäßigen Häuser, wo man von einem Zimmer ins andere Stufen auf und ab geht und immer noch neue findet, wenn man glaubt, bereits alle gesehen zu haben. Voll von kleinen Hallen und Gängen und in versteckten Winkeln heimliche alte Sommerhallen mit Jalousien und dichtem grünem Laub vor dem Fenster.

      Mein Zimmer, das wir zuerst betraten, mit einer gewölbten Decke, die mehr Ecken hatte als ich zählen konnte, war von dieser Art. Es brannte ein Holzfeuer darin und spiegelte sich in den reinen, weißen Fliesen des Kamins wider.

      Aus diesem Gemach ging man zwei Stufen hinab in ein allerliebstes kleines gemeinsames Vorzimmer für Ada und mich, durch das man auf einen Blumengarten hinaussah; von hier führten wieder drei Stufen hinauf in Adas Schlafzimmer, dessen hübsches breites Fenster eine wunderschöne Aussicht hatte, und wir sahen eine ausgedehnte dunkle Fläche im Sternenschimmer vor uns liegen. Am Fenster war eine große breite abschließbare Sitznische, in der sich drei Adas auf einmal hätten verstecken können.

      Aus diesem Zimmer gelangte man auf einen kleinen Korridor, mit dem zwei große Salons in Verbindung standen, und zu einer kleinen Treppe mit niedrigen Stufen und – im Verhältnis zu ihrer Länge – einer Menge Absätzen, in die Vorhalle hinunter. Wenn man aber anstatt zu Adas Tür hinaus wieder durch mein Zimmer ging und ein paar vor Alter krumm gewordene Stufen, die in ganz unerwarteter Weise von der Treppenflucht abzweigten, hinaufstieg, verlor man sich in Gängen, wo Wäschemangeln, dreieckige Tische und ein echter Hindustuhl standen, der zugleich ein Sofa, ein Koffer und eine Bettstelle bilden konnte und halb wie ein großer Vogelbauer, halb wie ein Bambusgerippe aussah und von dem kein Mensch wußte, wer ihn aus Indien mitgebracht hatte.

      Aus diesen Korridoren kam man in Richards Zimmer, das teils Bibliothek, teils Schlaf-, teils Wohnraum war und ein gemütliches Gemisch von allen möglichen Zimmern zu sein schien. Von hier aus ging man geradenwegs über einen kleinen Gang nach der schmucklosen Stube, wo Mr. Jarndyce das ganze Jahr hindurch bei offnen Fenstern schlief, um mehr Luft zu haben, und eine Bettstelle ohne Vorhänge in der Mitte stand, und das kalte Bad in einem kleineren Raum daneben immer bereit war. Von hier aus kam man wieder auf einen Gang mit einer Hintertreppe, und wir konnten hören, wie draußen vor dem Stall die Pferde abgerieben wurden, wobei ihnen eine Stimme warnend zurief, wenn sie auf dem holprigen Pflaster stolperten und ausglitschten. Man konnte auch, wenn man zu einer andern Tür hinausging – denn jede Stube hatte mindestens zwei Türen –, ein halbes Dutzend Stufen hinab und durch eine niedrige Bogentür geradenwegs in die Halle hinabgehen und wunderte sich dann, wie man dahin gelangt oder überhaupt wieder herausgekommen war.

      Das Mobiliar war mehr altmodisch als alt, wie das Haus selbst, und allerliebst unregelmäßig. Adas Schlafzimmer war ein Garten bunter Blumen – aus Kattun und Samt, und von Stickerei auf dem Brokat der zwei steifrückigen Lehnsessel, die, jeder mit einem Taburett als stummem Diener neben sich, auf beiden Seiten des Kamins standen.

      Unser gemeinsames Wohnzimmer war grün; an den Wänden hingen unter Glas und Rahmen eine Menge von erstaunlichen und erstaunten Vögeln, die aus dem Bilde heraus eine wirkliche Forelle, so glänzend und braun wie in Aspik, in einer Glasschale


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