Charles Dickens. Charles Dickens

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Charles Dickens - Charles Dickens


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Regenschirm an ihr als Besserungsinstrument versucht zu haben.

      Aber diese vagen Gerüchte haben vielleicht darin ihren Grund, daß Mr. Snagsby in seiner Art ein etwas versonnener und poetischer Mann ist. Er geht gern im Sommer in Staple-Inn spazieren und freut sich über das ländliche Aussehen der Spatzen und Blätter. Den Sonntagnachmittag verlebt er gern in Rolls Yard und äußert, wenn er guter Laune ist, daß es einmal alte Zeiten gab und er wetten möge, man würde heute noch den einen oder andern steinernen Sarg unter der Kapelle finden, wenn man nur danach graben wollte. Auch labt er seine Phantasie durch die Erinnerung an die vielen seligen Kanzler und Vizekanzler und Archivare.

      Es wird ihm so ländlich zumute, wenn er den beiden »Stiften« erzählt, er habe gehört, vorzeiten einmal sei wirklich ein Bach, so klar wie Kristall, Holborn hinabgelaufen, als der Steig noch ein wirklicher Steg, der geradewegs auf die Wiesen führte, war; dabei wird ihm so ländlich zumute, daß er sich gar nicht ins Freie sehnt.

      Der Tag neigt sich seinem Ende zu, das Gas wird angezündet, aber noch nicht ganz aufgedreht, denn es ist noch nicht völlig dunkel. Mr. Snagsby blickt von seiner Ladentür zu den Wolken auf und sieht eine verspätete Krähe westwärts über das bleifarbene Stück Himmel, das zu Cook's Court gehört, segeln. Die Krähe fliegt quer über Chancery-Lane und Lincoln's-Inn-Garden nach Lincoln's-Inn-Fields.

      Hier, in einem großen Haus, einem frühern Palais, wohnt Mr. Tulkinghorn. Die Zimmer sind jetzt als Kanzleien vermietet, und in diesen zusammengeschrumpften Resten vergangener Größe nisten jetzt Advokaten wie Maden in Nüssen. Aber seine geräumigen Treppen, Korridore und Vorzimmer sind immer noch vorhanden und selbst seine gemalten Plafonds, wo eine Allegorie im römischen Helm und himmlischen Linnen sich unter Balustraden und Pfeilern, Blumen, Wolken und fettbeinigen Kindern breit macht, daß einem der Kopf weh tut – was immer mehr oder weniger der Zweck der Allegorie zu sein scheint.

      Hier unter seinen vielen mit fabelhaft vornehmen Namen bezettelten Kasten wohnt Mr. Tulkinghorn, wenn er nicht stummer Gast in Landhäusern ist, wo die Großen der Erde sich zu Tode langweilen. Hier sitzt er heute still an seinem Tisch.

      Eine Auster von der alten Schule, die niemand aufmachen kann.

      So wie er sieht auch das Zimmer in der Dämmerung des Nachmittags aus. Rostig, veraltet, sich den Blicken entziehend, solid und behäbig. Schwere altmodische Mahagonistühle mit breiten Rücken und Roßhaarpolstern, antike Tische mit dünnen Spindelbeinen und bestaubten Überzügen, in Kupfer gestochene Porträts, die Geschenke von vornehmen Titelinhabern der letzten oder vorletzten Generation, umgeben ihn. Ein dicker, dunkler, türkischer Teppich bedeckt den Fußboden, und Mr. Tulkinghorn sitzt zwischen zwei Kerzen und altmodischen silbernen Leuchtern, die das große Zimmer nur unvollkommen erhellen, am Tische.

      Die Titel auf den Büchern haben sich in den Einband zurückgezogen; alles, was ein Schloß haben kann, hat eins, aber nirgends ist ein Schlüssel sichtbar. Nur wenige Papiere liegen herum. Neben sich hat Mr. Tulkinghorn ein Manuskript, aber er blickt nicht hinein. Mit dem Stöpsel eines Tintenfasses und zwei Stückchen Siegellack arbeitet er schweigend und langsam an einem Entschluß, über den er noch nicht im reinen ist. Jetzt liegt der Tintenstöpsel in der Mitte, dann das rote Stück Siegellack, dann das schwarze. Es geht nicht zusammen; Mr. Tulkinghorn muß sie alle wieder zusammenschieben und von neuem anfangen.

      Hier unter dem bemalten Plafond, wo die perspektivisch verkürzte Allegorie auf den Eindringling herabstarrt, als wolle sie auf ihn losstürzen, und er ihr keinen Blick schenkt, ist zugleich die Wohnung und die Kanzlei Mr. Tulkinghorns. Er hält keine Leute. Nur einen einzigen Menschen in mittleren Jahren, der, meistens an den Ellbogen abgeschabt, hinter einem hohen Gitter in der Vorhalle sitzt und selten mit Beschäftigung überladen ist.

      Mr. Tulkinghorn ist kein gewöhnlicher Advokat. Er braucht keine Angestellten. Er ist ein großes Sammelbecken von anvertrauten Geheimnissen und läßt sich nicht auf diese Weise anzapfen. Seine Klienten brauchen ihn; er ist alles in allem. Prozeßschriften, die er entworfen zu haben wünscht, werden von Spezialadvokaten im »Temple« nach geheimnisvoller Instruktion abgefaßt; seine Abschriften läßt er bei dem Schreibmaterialienhändler machen, und auf die Kosten kommt es ihm nicht an. Der Mann in mittleren Jahren hinter dem Gitter weiß kaum mehr von den Angelegenheiten des Hochadels als der erste beste Straßenkehrer in Holborn.

      Der rote Siegellack, der schwarze Siegellack, der Tintenstöpsel, der zweite Tintenstöpsel, die kleine Streusandbüchse. So! Du in die Mitte, du rechts, du links! Diese Unentschiedenheit muß um jeden Preis jetzt oder nie beseitigt werden. – So! Jetzt! Mr. Tulkinghorn steht auf, rückt die Brille zurecht, setzt den Hut auf, steckt das Manuskript in die Tasche, geht hinaus und sagt dem Mann mit den abgeschabten Ellbogen:

      »Ich werde gleich zurück sein.«

      Sehr selten spricht er sich ausführlicher aus.

      Mr. Tulkinghorn geht geradewegs dahin, woher die Krähe kam – wenn auch nicht so schnurgerade, so doch beinahe so –, nach Cook's Court Cursitor Street zu:

      Snagsby

       Law Stationer und Papierhändler.

       Besorgung von Akten und Urkundenabschriften und Kopien

       Anfertigung juristischer Schreibarbeit aller Art usw. usw. usw.

      Es ist etwa fünf oder sechs Uhr nachmittags, und ein balsamischer Duft von warmem Tee brütet in Cook's Court. Er umschwebt Snagsbys Tür. Man speist hier schon um halb zwei und ißt um halb zehn zu Abend. Mr. Snagsby war im Begriff, in die unterirdischen Regionen hinabzusteigen, um Tee zu trinken, als er noch ein Mal aus der Türe blickte und die verspätete Krähe sah.

      »Der Herr zu Hause?«

      Guster hat die Aufsicht im Laden, denn die »Stifte« trinken in der Küche mit Mr. und Mrs. Snagsby Tee. Die zwei Schneiderstöchter, die gegenüber in den zwei Fenstern der zweiten Etage vor zwei Spiegeln ihre Locken kämmen, bringen sie also nicht, wie sie sich einbilden, um ihren Verstand, sondern erregen nur die zwecklose Bewunderung Gusters, deren Haar nicht wachsen will, nie wachsen wollte und, wie jedermann tief im Herzen fühlt, niemals wachsen wird.

      »Der Herr zu Hause?« fragt Mr. Tulkinghorn.

      Der Herr ist zu Hause, und Guster will ihn holen.

      Sie verschwindet, froh, den Laden verlassen zu können, den sie mit einer Mischung von Scheu und Verehrung als Stapelplatz für die Folterwerkzeuge der Gesetzeskunde betrachtet, als einen Ort, den man nicht ohne Gefahr betreten darf, wenn das Gas abgedreht ist.

      Mr. Snagsby erscheint: fettig, warm, teeduftend und kauend. Er würgt einen Bissen Butterbrot hinunter und sagt: »Herrschaft! Mr. Tulkinghorn!«

      »Ich möchte ein Wort mit Ihnen sprechen, Snagsby!«

      »Ich bitte sehr, Sir. Mein Gott, Sir, warum haben Sie Ihren jungen Mann nicht nach mir geschickt? Bitte, kommen Sie nach hinten, Sir.«

      – Snagsbys Gesicht strahlt. –

      Das Hinterstübchen, in dem Pergamentgeruch vorherrscht, ist Ablage, Comptoir, Kopierbureau zugleich.

      Mr. Tulkinghorn setzt sich nieder auf einen Stuhl beim Schreibpult und blickt umher.

      »Jarndyce kontra Jarndyce, Snagsby.«

      »Zu dienen, Sir.«

      Mr. Snagsby dreht das Gas auf und hüstelt hinter der Hand und überschlägt im Geiste den Gewinn. Als schüchterner Mann ist Mr. Snagsby gewohnt, auf verschiedene Art zu hüsteln, um Worte zu sparen.

      »Sie kopierten neulich einige Affidavits in dieser Sache.«

      »Zu dienen, Sir.«

      Die festverschlossene, nie zu öffnende Auster der alten Schule greift in die falsche Rocktasche und sagt:

      »Eins war darunter, dessen Handschrift eigentümlich ist und mir fast gefällt. Da ich gerade vorbeiging und dachte, ich hätte es bei mir, trat ich herein, um Sie zu fragen... Aber ich habe es nicht bei mir. Macht nichts, die Sache hat keine Eile... Ah! Da ist es!... Ich trat herein, um Sie zu fragen, wer es kopiert hat.«


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