Blinde Liebe. Уилки Коллинз
Читать онлайн книгу.Im nächsten Augenblick würde sie ihre Ueberredung der Warnung des Reitknechts zugefügt haben, wenn nicht Lord Harry selbst sie durch eine Handlung seinerseits, auf die sie nicht vorbereitet war, davon abgehalten hätte.
»Leuchte mir,« sagte er, »ich will eine Zeile an Mr. Mountjoy schreiben.«
Er riß das unbeschriebene Stück von dem Zettel an die Haushälterin ab und schrieb an Arthur einige Worte, in denen er ihn beschwor, die Zeit seines Aufbruchs von Rathco zu verändern und keinem Menschen weder in dem Hause noch außer dem Hause zu sagen, zu welcher andern Stunde er wegzugehen gedächte.
»Satteln Sie Ihr Pferd selbst,« schloß der Brief, der mit verstellter Hand geschrieben und nicht unterzeichnet war.
»Gib dies Mr. Mountjoy,« sagte darauf Lord Harry zu dem Reitknecht. »Wenn er fragt, wer es geschrieben hat, setze ihn nicht meinetwegen in Furcht dadurch, daß Du ihm die Wahrheit sagst. Lüge, Miles! Sage, Du wüßtest es nicht.«
Dann gab er ihm den Zettel an Mrs. Lewson zurück, indem er hinzusetzte: »Wenn sie bemerkt, daß er geöffnet worden ist, und fragt, wer es gethan hat, so lüge noch einmal. Gute Nacht, Miles – und paß auf bei jenen gefährlichen Stellen auf Deinem Heimwege.«
Der Reitknecht verdunkelte seine Laterne, und der wilde Lord war in der rings um das Haus herrschenden Finsternis verschwunden.
Als Miles sich allein sah, klopfte er mit dem Griffe seiner Reitpeitsche an die Hausthür.
»Ein Brief von Mr. Arthur!« rief er.
Mrs. Lewson öffnete, nahm ihm gleich den Zettel aus der Hand und betrachtete ihn bei dem Lichte der Lampe, die auf dem Tische in der Vorhalle stand.
»Den hat schon jemand geöffnet!« rief sie aus, indem sie auf den Reitknecht zutrat und ihm das zerrissene Couvert zeigte.
Miles befolgte pünktlich den Befehl Lord Harrys; er sagte, er wisse nichts davon, und ritt weg.
Iris kam die Treppe herunter und traf mit der Haushälterin noch in der Vorhalle zusammen, bevor diese die Thüre geschlossen hatte. Mrs. Lewson zeigte ihr sogleich Arthurs Brief.
»Ich habe im Sinn, Miß,« sagte sie, »Mr. Arthur zu antworten und ihm einige Worte zu schreiben, die ihn veranlassen sollen, auf seinem Rückweg hierher hübsch vorsichtig zu sein. Die Schwierigkeit liegt nur darin, auf welche Weise ich ihm das recht eindringlich ans Herz legen soll. Sie würden ein gutes Werk thun, wenn Sie mir einen Rat geben könnten.«
Iris kam dem Verlangen willig nach. Eine zweite Mahnung von der besorgten Haushälterin konnte möglicherweise die Wirkung der wenigen Zeilen, welche Lord Harry geschrieben hatte, noch verstärken.
Aus Arthurs Brief hatte Iris erfahren, daß es seine Absicht gewesen war, um drei Uhr zurückzukehren. Die Frage, die Lord Harry an den Reitknecht gerichtet hatte, und die darauf erfolgte Antwort waren nicht aus ihrem Gedächtnis gewichen: »Sind irgend welche Fremde in Rathco?« und: »Zwei Neuangekommene Männer, die auf den Feldern arbeiten.« Da sie in Betreff dieser beiden Arbeiter ungefähr zu dem gleichen Schlusse gekommen war, den vorhin schon Lord Harry aus ihrer Anwesenheit in Rathco gezogen hatte, so riet Iris der Haushälterin, an Arthur zu schreiben und ihn inständigst zu bitten, die Stunde, zu welcher er am nächsten Tage das Haus seines Freundes verlassen wollte, im geheimen zu ändern. Dieser Rat fand den wärmsten Beifall von Seiten der Mrs. Lewson, die sofort in das Empfangszimmer eilte, um den Brief zu schreiben.
»Gehen Sie noch nicht zu Bett, Miß!« sagte sie; »ich möchte Ihnen erst noch den Brief vorlesen, bevor ich ihn morgen mit dem frühesten abschicke.«
So blieb Iris allein in der Vorhalle, deren Thüre weit offen stand, und blickte, in tiefes Nachsinnen versunken, hinaus in die Nacht.
Das Leben der beiden Männer, für die sie sich interessirte – allerdings in sehr verschiedener Weise – war jetzt bedroht, und derjenige, welcher zunächst am meisten in Gefahr schwebte, war Lord Harry. Er war ein Geächteter, dem jede Nachforschung unangenehm sein mußte: und doch gab es kein Wagnis, dem er sich nicht, um einer Arthur drohenden Gefahr zu begegnen, bereitwillig ausgesetzt hätte; das mußte ihm die Gerechtigkeit lassen. Wenn er jetzt noch furchtlos in der gefährlichen Nähe des Gutes verweilte auf der Lauer nach Meuchelmördern, wer außer ihr besäße den Einfluß, ihn zu bestimmen, den unheimlichen Platz zu verlassen? Sie war mit Mrs. Lewson an der Thür zusammengetroffen in der festen Ueberzeugung von der Richtigkeit ihrer Gedanken. Im nächsten Augenblicke schon befand sie sich außerhalb des Hauses und begann, in der Dunkelheit nachzusuchen.
Iris machte die Runde um das Gebäude herum; bald tastete sie sich an ganz finsteren Stellen behutsam vorwärts, bald blieb sie, leise aufatmend, stehen und rief vorsichtig den Namen Lord Harrys. Kein lebendes Wesen begegnete ihr; kein Laut, keine Bewegung störte die tiefe Stille der Nacht. Die Entdeckung, daß er nicht da sei, was sie gar nicht gewagt hatte zu hoffen, war die einzige tröstliche Entdeckung, die sie auf ihrer Suche machte.
Auf dem Rückweg in das Haus wurde sie sich erst ordentlich der Kühnheit ihrer Handlungsweise bewußt, zu welcher sie eine edelmütige Regung verleitet hatte.
Wenn sie mit Lord Harry zusammengetroffen wäre, würde sie dann noch das zarte Interesse für ihn haben leugnen können, welches schon ihr eigenes Benehmen allein verraten hätte? Würde er nicht vollständig in seinem Rechte gewesen sein, daraus zu schließen, daß sie ihm die Irrtümer und Vergehen seines Lebens vergeben hätte, und daß er sie ohne Anmaßung an ihre Liebe hätte erinnern und ihre Hand zum Bunde fürs Leben begehren können? Sie zitterte bei dem Gedanken an die Zugeständnisse, die er dann von ihr hätte erzwingen können.
»Niemals wieder,« beschloß sie, »wenn wir beide zusammentreffen, soll meine eigene Thorheit für das, was geschieht, verantwortlich gemacht werden können.«
Sie kehrte zu Mrs. Lewson zurück und hatte den Brief durchgelesen, als die Schläge der Gutsuhr sie daran mahnten, daß es Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben. Sie schliefen in dieser Nacht beide schlecht.
Um sechs Uhr am nächsten Morgen wurde einer der zwei Arbeiter, welche ihrem Herrn treu geblieben waren, zu Pferde an Arthur abgeschickt mit dem Briefchen der Haushälterin und mit dem Befehle, auf Antwort zu warten. Wenn er seinem Pferde eine kurze Rast gönnte, konnte er immerhin noch vor Mittag wieder zurück sein.
Elftes Kapitel.
Es war ein schöner, sonniger Tag; Mrs. Lewsons Mut begann zu wachsen.
»Ich habe immer an dem Glauben festgehalten,« gestand die würdige alte Frau, »daß schönes Wetter Glück bringt – natürlich vorausgesetzt, daß der betreffende Tag kein Freitag ist. Heute ist aber Mittwoch. Fassen Sie also Mut, Miß.«
Der Bote kehrte mit guten Nachrichten zurück. Mr. Arthur war wie immer fröhlich und guter Dinge gewesen. Er hatte seine Spässe über einen zweiten Brief voll guter Ratschläge gemacht, der ihm ohne Unterschrift zugekommen war.
»Mrs. Lewson aber soll ihren Willen haben,« hatte er gesagt. »Aus Liebe zu der guten Alten will ich zwei Stunden später aufbrechen und werde daher erst um fünf Uhr zum Mittagessen zurück sein.«
»Wo gab Ihnen Mr. Arthur diesen Auftrag?« fragte Iris.
»In dem Stalle, Miß, während ich mein Pferd wieder aufzäumte. Die Leute, die umherstanden, grinsten alle, als sie Mr. Arthurs Worte hörten.«
Iris, noch immer in der krankhaften Aufregung, bedauerte stillschweigend, daß dieser Auftrag nicht schriftlich, sondern mündlich gegeben worden war. Auch hiebei kam sie wieder auf ähnliche Gedanken wie der wilde Lord: sie fürchtete die Horcher.
Die Stunden schlichen träge dahin, bis es endlich vier Uhr nachmittags geworden war. Iris konnte das Stillsitzen nicht länger ertragen.
»Es ist so schönes Wetter,« sagte sie zu Mrs. Lewson, »wir wollen einen Spaziergang machen und Arthur ein Stück Wegs entgegen gehen.«
Ihr Vorschlag fand bei der alten Haushälterin die freudigste Zustimmung.
Es