Neues Vertrauen. Ute Dombrowski

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Neues Vertrauen - Ute Dombrowski


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zu groß. Lia tat ihr zum einen leid, andererseits hatte sie einen riesigen Respekt davor, mit wie viel Ruhe sie alles ertrug.

      Nun umarmten sie sich, Karin hatte ihrer Freundin ein Taxi gerufen und gab Lia ihre Jacke, als sie ein kurzes Hupen hörte. Die beiden verabschiedeten sich vor der Tür und Lia stieg ein. Karin ging zurück auf den Sessel und griff nach dem Block und dem Stift, die auf dem Tisch lagen. Sie wollte sich eine Anzeige für das WG-Zimmer überlegen und hoffte auf eine neue Mitbewohnerin.

      „Wäre schön, wenn es schnell ginge … vielleicht bin ich zu Weihnachten nicht mehr allein.“

      Dass es wirklich so schnell gehen würde, war unwahrscheinlich, denn es war nur noch eine Woche bis zu den Feiertagen, doch die Hoffnung durfte sie ja insgeheim trotzdem haben.

      Der Mann, der in der Nähe des Hauses geparkt hatte, sah, wie die Tür aufging und Lia sich von ihrer Freundin verabschiedete. Er hörte ihr helles Lachen. Lia war ins Taxi gestiegen und er fuhr ihm hinterher.

      „Gute Nacht, meine Schöne“, flüsterte er und lächelte.

      3

      Die erdrückende Trauer war einer dumpfen Verbitterung gewichen. Eric erledigte seinen Job routiniert, jedoch war er unerbittlich geworden, es gab keinen Raum mehr für Gnade. Sein Herz hatte sich in einen schwarzen Felsen verwandelt und pausenlos spürte er das düstere Gewicht der Schuld an Biancas Tod auf seinen Schultern. Tag für Tag sah er sich dort auf der Treppe stehen und der Schuss hallte als tausendfaches Echo in seinem Kopf wider. In diesem Moment, als Bianca starb, war auch ein Teil von ihm gestorben. Nie wieder, dachte er, nie wieder wird das Leben zu ertragen sein.

      Simon, der ein Kollege gewesen war, ein Polizist, ein Profi am Computer, hatte sich als eiskalter Psychopath entpuppt. Er hatte Bianca getötet, um seinen Freund Pit zu rächen, weil sie diesen seelisch kaputten Mann verlassen hatte. Pit hatte viel Leid über andere Menschen gebracht, aber genau das hatte die beiden Jungen schon als Kinder vereint. Zwischen Pit und Simon hatte es in dem Kinderheim, in dem beide gelebt und gelitten hatten, eine enge Verbindung, eine Art Abhängigkeit gegeben, denn keiner der beiden konnte echte Freundschaft und Liebe empfinden. Kalt und empathielos hatten sie gelebt und in den Augen von Simon hatte Bianca Pits Leben zerstört, denn dieses eine Mal hatte Pit Gefühle für jemanden entwickelt.

      Wegen Bianca war Pit am Boden zerstört gewesen, hatte eine Frau misshandelt und getötet, und wegen Bianca hatte die Rächerin ihn hingerichtet. All die Jahre, die er darauf verwendet hatte, Bianca zu finden und zu zerstören, war Simon ihr immer nähergekommen und niemand hatte verhindern können, dass er sein Werk vollendete.

      Das hatte Cordelia, Psychologin und Freundin von Bianca, Eric immer wieder versucht zu sagen, nachdem sie gesehen hatte, wie beladen von Schuld die drei Männer waren: Eric, Ferdinand und Robin. Sie hatte den eigenen Schmerz über den Verlust ihrer Freundin weggeschoben, um ihnen zu helfen. Ferdinand und Robin konnte sie erreichen, doch Eric hatte sich verschlossen und ließ niemanden in seine Seele schauen. Er kam regelmäßig zum vereinbarten Termin, aber es gelang ihm nicht, das Unabwendbare anzuerkennen.

      Jetzt stand der Staatsanwalt im Bad vor dem beschlagenen Spiegel und sah einen alten Mann ohne Energie, dessen sonst so wache, freundliche Augen die Lebensfreude verlassen hatte. Er lebte nicht mehr, er funktionierte, und alle machten sich Sorgen.

      Eric schüttelte sich, kämmte sich die Haare und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Seine Bett­seite war zerwühlt, aber die von Bianca war unberührt, denn er schaffte es nicht, sie zu benutzen, er rollte auch nicht zufällig im Schlaf hinüber, stets blieb er auf seiner Seite. Er nahm sich vor, Cordelia zu fragen, was das bedeutete. Konnte er eine bestimmte Grenze nicht überschreiten?

      Zu Biancas Beerdigung waren viele Menschen gekommen, sie hatten ihm tröstende Worte gesagt, doch sie waren nicht zu ihm durchgedrungen. Auch das Wissen, dass Simon ebenfalls tot war, hatte ihm keine Befriedigung gebracht, gerne hätte er ihn geschüttelt und gerufen: WARUM? Gerne hätte er ihn leiden sehen oder selbst getötet.

      Irgendwann an diesem Tag im Frühling hatte ihn jemand aus dem Keller geführt und dann war er zusammengebrochen. Als er im Krankenhaus wieder aufwachte, war sein erster Gedanke: Ich bin schuldig!

      Sie hatten ihn eine Weile mit Samthandschuhen angefasst, aber Cordelia erklärte, dass es besser war, ihn wieder am Alltag zu beteiligen. Also war Eric aufgestanden und zur Arbeit gegangen, so wie die anderen auch. Das Leben ging weiter, und bei diesem Satz, den er öfter hörte, wurde ihm speiübel. Er wäre am liebsten auch gestorben. Doch so klar war er noch: Er wollte die schönen Erinnerungen an Bianca aufrechterhalten und das ging nur, wenn er lebte. Er pflegte ihr Grab, saß jeden Tag auf dem Friedhof, so, wie es Bianca immer bei Michael getan hatte.

      Dass sie ihm nicht antwortete, konnte nur eines bedeuten: Auch Bianca gab ihm die Schuld, denn er hatte sie direkt in Simons Arme geschickt. Wenn …. Wenn … ja, wenn er doch anders gehandelt hätte.

      Eric trank eine Tasse Kaffee, aß eine Scheibe Toast mit Marmelade und dachte mit Grauen an die bevorstehende Weihnachtszeit. Er würde sich zuhause verbarrikadieren und sinnlos betrinken, denn Weihnachten ohne Bianca überstehen zu müssen, hielt er für eine Folter.

      Jetzt zog er die Tür hinter sich zu und fuhr ins Büro. Am Nachmittag hatte er einen Gerichtstermin, wofür er nochmals die Akten durchging. Vor Biancas Tod hatte er immer noch geprüft, wie er einen Täter oder eine Täterin auf den richtigen Weg bringen konnte und ob er oder sie vielleicht einen Grund für die Tat hatte. Nicht, dass er ihn nicht strafen wollte, aber mit Bianca hatte er gelernt, nicht nur schwarz und weiß zu sehen, sondern auch die Zwischentöne. Mancher Täter hatte ein durchaus nachvollziehbares Motiv, doch wählte er dann den falschen Weg.

      Heute war es anders: Jemand, der etwas falsch gemacht hatte, musste bestraft werden. Er dachte nur in diese eine Richtung und setzte oft die Höchststrafe an.

      Das Telefon klingelte und der Oberstaatsanwalt rief ihn zu sich. Eric seufzte und erhob sich. Nach seinem schwachen Klopfen und einem energischen „Herein!“ sah er sich einem Mann gegenüber, der ihn mit durchdringendem Blick musterte.

      „Wie geht es Ihnen jetzt mit dem Verlust Ihrer Freundin?“, fiel der Oberstaatsanwalt direkt mit der Tür ins Haus.

      „Gut, es geht mir gut“, log Eric mit einem verrutschten Lächeln.

      „Das glaube ich Ihnen eher weniger. Mir ist zu Ohren gekommen … ach was, man redet über Sie, dass Sie sich nicht im Griff hätten. Das betrifft unter anderem auch die Forderungen nach der Höchststrafe in den Verhandlungen. Wo ist Ihre Umsicht geblieben?“

      „Die Menschen waren allesamt schuldig und hart zu bestrafen.“

      „So, wie Sie sich bestrafen möchten?“

      Eric schwieg und hielt dem scharfen Blick seines Vorgesetzten stand.

      „Herr Ströckwitz, bitte sprechen Sie weiter mit Ihrer Psychologin. Sie müssen wieder festen Boden unter den Füßen kriegen, sonst kann ich Ihnen keinen Fall mehr anvertrauen. Bisher haben Sie auch die verzwicktesten Fälle mit Bravour gemeistert, auch wenn wir hin und wieder nicht einer Meinung waren. Aber es ist wichtig, dass Sie wieder ein Gespür für unser Rechtssystem bekommen. Das war es dann, gehen Sie an die Arbeit.“

      Eric schwieg weiter und verließ das Büro. Er verstand alles, was der Oberstaatsanwalt gesagt hatte, doch er konnte nicht anders reagieren. Wenn er nicht Simon geschickt hätte, um Bianca abzuholen, würde sie jetzt noch leben. Er trug die Schuld und er hätte genauer hinsehen müssen. Seine Antennen hatten versagt. Er hatte jemandem vertraut, der ein Profi der Täuschung war. Und wer sagte ihm denn, dass die Angeklagten vor Gericht nicht auch logen und betrogen, wenn Sie Reue zeigten oder jammerten? Darum wollte er lieber hart sein, denn wenn diese Leute schnell wieder auf freiem Fuß waren, würden sie neues Unheil stiften. Das galt es zu verhindern und darum würde er am Nachmittag auch wieder die Höchststrafe fordern. Ein Mann hatte seine Frau die Treppe hinuntergestoßen, weil sie im Streit zugegeben hatte, dass sein Kind doch nicht SEIN Kind war. Der Täter hatte an den vorangegangenen Tagen der Verhandlung immer geweint und seine Tat


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