Die eiserne Ferse. Jack London

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Die eiserne Ferse - Jack London


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ich.

      »Er hätte Schadenersatz haben sollen. Er war ein guter Arbeiter, der nie krakeelte.«

      »War es Ihnen denn nicht möglich, die ganze Wahrheit zu sagen, wie Sie geschworen hatten?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Die Wahrheit, die reine Wahrheit, und nichts als die Wahrheit?« sagte ich feierlich.

      Wieder wurde sein Gesicht leidenschaftlich erregt, und er hob es nicht zu mir, sondern zum Himmel.

      »Für meine Kinder würde ich Seele und Leib in ewiger Hölle brennen lassen«, lautete seine Antwort.

      Henry Dallas, der Generaldirektor, war ein Mensch mit einem Fuchsgesicht, der mich frech ansah und sich weigerte, über die Sache mit mir zu sprechen. Nicht ein Wort über die Gerichtsverhandlung und seine Aussage konnte ich aus ihm herausbekommen. Aber bei dem andern Werkführer hatte ich mehr Glück. James Smith war ein Mann mit harten Zügen, und das Herz sank mir in die Schuhe, als ich vor ihm stand. Auch er machte den Eindruck, daß er keinen freien Willen hätte, und als ich mit ihm sprach, bemerkte ich, daß er geistig höher stand als der Durchschnitt seiner Klasse. Er stimmte mit Peter Donnelly darin überein, daß Jackson hätte entschädigt werden müssen, ja, er ging sogar noch weiter und nannte die Handlungsweise, die den durch einen Unfall zum Krüppel gewordenen Arbeiter brotlos gemacht hatte, herzlos und gemein. Er erklärte auch, daß Unfälle in der Spinnerei häufig seien, und daß die Gesellschaft die Politik verfolge, alle sich daraus ergebenden Schadenersatzansprüche bis zum bitteren Ende zu bekämpfen.

      »Das bedeutet jährlich Hunderte und Tausende für die Aktionäre«, und ich mußte an die letzte Dividende, die mein Vater erhalten, und an den herrlichen Mantel für mich und die Bücher für meinen Vater denken, die von eben dieser Dividende gekauft worden waren. Ich dachte an den Ausspruch Ernsts, daß an meinem Mantel Blut klebe, und ich begann unter meinen Kleidern zu zittern.

      »Haben Sie bei Ihrer Aussage nicht betont, daß Jackson verunglückte, als er versuchte, die Maschine vor Schaden zu bewahren?« sagte ich.

      »Nein«, lautete seine Antwort, und sein Mund preßte sich bitter zusammen. »Ich sagte aus, daß Jackson seinen Unfall selbst verschuldet hätte, und zwar durch Nachlässigkeit und Fahrlässigkeit, und daß die Gesellschaft in keiner Weise verantwortlich oder ersatzpflichtig sei.«

      »War es denn Fahrlässigkeit?« fragte ich.

      »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Tatsache ist, daß ein Mann müde wird, wenn er stundenlang gearbeitet hat.«

      Der Mann begann mich zu interessieren. Er stammte zweifellos aus einer höheren Klasse.

      »Sie sind gebildeter als die Arbeiter im allgemeinen,« sagte ich.

      »Ich habe das Gymnasium besucht«, erwiderte er. »Das ermöglichte ich, indem ich mich als Pförtner anstellen ließ. Ich wollte auf die Universität gehen. Aber mein Vater starb, und ich mußte in die Spinnerei. Ich wollte Naturwissenschaft studieren«, erklärte er schüchtern, als gestände er eine Schwäche ein. »Ich liebe Tiere, aber ich mußte in die Spinnerei. Als ich zum Werkführer aufrückte, verheiratete ich mich, und dann kam die Familie und – nun ja, da war ich eben nicht mehr mein eigener Herr.«

       »Was meinen Sie damit?« fragte ich.

      »Ich wollte Ihnen gerade erklären, warum ich vor Gericht aussagte, wie ich es tat – ich folgte Instruktionen.«

      »Wessen Instruktionen?«

      »Ingrams. Er schrieb mir die Aussage, die ich zu machen hatte, vor.«

      »Und darum verlor Jackson seinen Prozeß?«

      Er nickte, und das Blut stieg ihm dunkel ins Gesicht.

      »Und Jackson hat eine Frau und zwei Kinder zu ernähren.«

      »Ich weiß«, sagte er ruhig, aber sein Gesicht färbte sich noch dunkler.

      »Sagen Sie mir,« fuhr ich fort, »wurde es Ihnen leicht, aus dem gebildeten Menschen, der Sie waren, zu dem Manne zu werden, der Sie geworden sein müssen, um das fertig zu bringen?«

      Ich prallte erschrocken zurück, so unerwartet kam sein Gefühlsausbruch. Er stieß einen wilden Fluch aus und ballte die Fäuste, als wollte er mich schlagen.

      »Verzeihen Sie«, sagte er im nächsten Augenblick. »Nein, es war nicht leicht. Und jetzt wird es am besten sein, wenn Sie gehen. Sie haben alles, was Sie wollten, aus mir herausgebracht. Aber ehe Sie gehen, möchte ich Ihnen noch eines sagen. Es würde Ihnen nichts helfen, wenn Sie etwas von dem, was Sie von mir gehört haben, weiter sagten. Ich würde es leugnen, und Sie haben keinen Zeugen. Ich würde jedes Wort leugnen – wenn es sein müßte, unter Eid auf der Zeugenbank.«

      Nach der Unterredung mit Smith ging ich in das Bureau meines Vaters im chemischen Laboratorium, und dort traf ich Ernst. Die Begegnung war ganz unerwartet, aber er begrüßte mich mit seinem kühnen Blick und seinem festen Händedruck und mit dieser eigentümlichen Mischung von Verlegenheit und Ungezwungenheit. Es schien, als hätte er unsere letzte stürmische Begegnung vergessen; aber ich war nicht in der Stimmung, sie zu vergessen.

      »Ich habe den Fall Jackson verfolgt«, sagte ich unvermittelt.

      Er wartete gespannt, daß ich weiter sprechen sollte, aber ich konnte in seinen Augen die Gewißheit lesen, daß meine Ansichten erschüttert worden seien.

      »Man scheint ihm übel mitgespielt zu haben«, gestand ich. »Ich – ich – glaube, daß etwas von seinem Blute von unsern Dachbalken tropft.«

      »Natürlich«, antwortete er. »Wenn man gegen Jackson und alle seine Genossen barmherzig gewesen wäre, würde die Dividende nicht so fett sein.«

      »Ich werde nie mehr Gefallen an schönen Kleidern finden können«, fügte ich hinzu.

      Ich fühlte mich gedemütigt und zerknirscht, und mich durchrieselte es süß, daß Ernst eine Art Beichtvater für mich war. Dann, wie später immer, stützte mich seine Kraft. Sie schien eine Verheißung von Schutz und Frieden auszustrahlen.

      »Und ebensowenig werden Sie Gefallen an Sackleinen finden können«, sagte er mit Nachdruck. »Sie kennen die Jutespinnerei, dort herrschen dieselben Zustände. Dort wie überall. Unsere viel gepriesene Zivilisation ist auf Blut begründet, mit Blut gesättigt, und weder Sie, noch ich, noch sonst irgend jemand kann es vermeiden, von diesem roten Blut befleckt zu werden. Wer waren die Leute, mit denen Sie sprachen?«

      Ich erzählte ihm alles, was vorgefallen war.

      »Und nicht einer von ihnen hatte Handlungsfreiheit«, sagte er. »Sie alle sind an die erbarmungslose Industriemaschine gefesselt. Und das Tragische dabei ist, daß sie alle mit ihrem Herzblut daran gefesselt sind. Ihre Kinder – es ist immer das junge Leben, das sie instinktiv schützen. Dieser Instinkt ist stärker als alle Ethik in ihnen. Mein Vater! Er log, er stahl, er tat alles mögliche Ehrenrührige, um Brot für mich und meine Geschwister zu schaffen. Er war ein Sklave der Industriemaschine, die ihn zerstampfte, ihn zu Tode hetzte.«

      »Aber Sie«, warf ich ein. »Sie sind doch sicher frei in ihrem Handeln.«

      »Nicht ganz«, erwiderte er. »Ich bin nicht durch mein Herzblut gefesselt. Ich bin oft dankbar, daß ich keine Kinder habe, und dabei liebe ich Kinder. Und doch würde ich mir keine wünschen, wenn ich verheiratet wäre.«

      »Das ist ein schlechter Grundsatz«, rief ich.

      »Ich weiß«, sagte er traurig, »aber für mich ist er angebracht. Ich bin Revolutionär, und das ist ein gefährlicher Beruf.«

      Ich lachte ungläubig.

      »Was würde Ihr Vater tun, wenn ich nachts bei ihm einzubrechen versuchte, um seine Dividenden von den Sierra-Spinnereien zu stehlen?«

      »Er schläft mit einem Revolver auf dem Nachttisch neben sich«, antwortete ich. »Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er Sie erschießen.«

      »Und


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