Die eiserne Ferse. Jack London

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Die eiserne Ferse - Jack London


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verstorbener Gatte gewagt und vollbracht hatte, anerkannt wurde. Dann aber erfolgte die furchtbare Zerschmetterung der zweiten Revolution, und wahrscheinlich hat sie in einem Augenblick der Gefahr, ehe sie floh oder durch die Söldner gefangengenommen wurde, das Manuskript in der hohlen Eiche zu Wake Robin Lodge versteckt.

      Über Avis Everhard gibt es keine weiteren Nachrichten. Zweifellos ist sie von den Söldnern hingerichtet worden; bekanntlich wurden keine Berichte über derartige Hinrichtungen seitens der Eisernen Ferse aufbewahrt. Aber selbst damals, als sie das Manuskript versteckte und sich zur Flucht vorbereitete, hat sie sich kaum vergegenwärtigt, wie schrecklich der Zusammenbruch der zweiten Revolution sein würde. Sie hat sich kaum gedacht, daß die qualvolle, irregehende Entwicklung der nächsten drei Jahrhunderte eine dritte und vierte und viele weitere Revolutionen nötig machen sollte, die alle in Seen von Blut erstickt wurden, ehe die Weltrevolution der Arbeiter zu ihrem Rechte kommen konnte. Und wenig ließ sie sich träumen, daß das Zeugnis ihrer Liebe zu Ernst Everhard sieben Jahrhunderte lang ungestört im Herzen einer alten Eiche zu Wake Robin Lodge ruhen sollte.

      Ardis, 27. November 419 B. d. M.

      Anthony Meredith.

      Der sanfte Sommerwind rauscht in den Riesentannen, und das Wildwasser plätschert liebliche Kadenzen über sein moosiges Gestein. Schmetterlinge spielen im Sonnenschein, und überall erhebt sich das einschläfernde Summen der Bienen. Es ist so still und friedlich, und ich sitze hier, sinne und bin ruhelos. Die Stille ist es, die mich ruhelos macht. Sie scheint unwirklich zu sein. Die ganze Welt ist ruhig, aber es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ich strenge meine Ohren, all meine Sinne an, um etwas von dem drohenden Sturme zu spüren. Ach, daß er nur nicht zu früh losbricht! Daß er nur nicht zu früh losbricht Die zweite Revolution war in der Hauptsache ein Werk Ernst Everhards, wenn er auch natürlich mit den europäischen Führern zusammenarbeitete. Die Festnahme und heimliche Hinrichtung Everhards war das große Ereignis des Jahres 1932. So gründlich aber hatte er die Revolution vorbereitet, daß es seinen Mitverschworenen möglich war, seine Pläne fast ohne Verwirrung oder Aufschub ins Werk zu setzen. Nach der Hinrichtung Everhards begab seine Frau sich nach Wake Robin Lodge, einem kleinen Landsitz in den Sonoma Bergen in Kalifornien.!

      Ist es ein Wunder, daß ich ruhelos bin? Ich denke und denke und kann nicht aufhören zu denken. Solange bin ich im Schwarm des Lebens gewesen, daß ich mich jetzt bedrückt fühle von der Ruhe und dem Frieden rings, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß der tolle Wirbel von Tod und Vernichtung plötzlich losbrechen muß. In meinen Ohren tönt das Geschrei der Getroffenen, und wie ich es früher sah Zweifellos spielt sie hier auf die Chikagoer Kommune an., so sehe ich auch jetzt, wie all die frische, schöne Jugend zerfleischt und zerstückelt wird, und wie die Seelen gewaltsam aus den stolzen Leibern gerissen und zu Gott emporschleudert werden. So erreichen wir armen Sterblichen unser Ziel, indem wir durch Blut und Vernichtung der Welt dauernden Frieden zu bringen suchen.

      Und ich bin so einsam. Wenn ich nicht an das denke, was kommen muß, so denke ich an das, was war und nicht mehr ist – an meinen Adler, den seine unermüdlichen Schwingen durch den Raum trugen, hinauf zu dem, was stets seine Sonne war, dem flammenden Ideal der menschlichen Freiheit. Ich kann nicht müßig dasitzen und auf das große Ereignis warten, das sein Werk ist, wenn er es auch nicht mehr sehen soll. Ihm weihte er all seine Mannesjahre und gab sein Leben dafür. Es ist sein Werk. Er hat es geschaffen Bei aller Hochachtung vor Avis Everhard, muß doch erwähnt werden, daß ihr Mann nur einer der vielen fähigen Männer war, die den Plan für die zweite Revolution ausarbeiteten. Und wenn wir heute durch die Jahrhunderte zurückblicken, so können wir kaum mit absoluter Gewißheit sagen, ob die zweite Revolution, wenn Everhard am Leben geblieben, weniger unglücklich ausgefallen wäre..

      Und so will ich denn in dieser bangen Zeit des Harrens von meinem Gatten schreiben. Viel Licht kann ich allein von allen Lebenden auf seinen Charakter werfen, und ein so edler Charakter kann gar nicht leuchtend genug geschildert werden. Er war eine große Seele, und wenn meine Liebe auch zu immer größerer Selbstlosigkeit wächst, so ist es doch mein größter Schmerz, daß er die kommende Zeit nicht mehr erleben soll. Es kann nicht fehlschlagen. Dazu hat er zu hartnäckig und zu sicher gebaut. Wehe der Eisernen Ferse! Bald wird sich die niedergetretene Menschheit unter ihr erheben. Wenn der Ruf dazu ergeht, werden die Arbeiterscharen der ganzen Welt aufstehen. Nie hat die Weltgeschichte dergleichen gesehen. Die Arbeiter stehen zusammen, und in der ersten Stunde wird eine Revolution ausbrechen, die die ganze Welt umspannt Die zweite Revolution war wirklich international. Der Plan war ungeheuer – zu ungeheuer, als daß er im Geist eines einzelnen Menschen hätte entstehen können. Die Arbeiterschaft in allen Oligarchien der Welt war bereit, sich auf das Signal hin zu erheben. Deutschland, Italien, Frankreich und Australien waren Arbeiterländer – sozialistische Staaten. Sie waren bereit, die Revolution zu unterstützen. Sie taten es tapfer, und das war der Grund, daß, als die zweite Revolution ausbrach, auch sie von den vereinigten Oligarchien der Welt unterdrückt wurden, die die sozialistischen Regierungen dieser Länder durch oligarchische ersetzten.. Ihr seht, ich bin erfüllt von dem, was da kommen soll. Tag und Nacht habe ich es immer und immer wieder so durchlebt, daß es mir stets vor Augen steht. Und so oft ich an meinen Gatten denke, muß ich auch daran denken. Er war die Seele von alledem, und wie könnte ich ihn in Gedanken davon trennen?

      Wie ich schon sagte, bin ich allein imstande, viel Licht auf seinen Charakter zu werfen. Man weiß, daß er für die Sache der Freiheit hart arbeitete und schwer litt. Wie hart er arbeitete, und wie schwer er litt, weiß ich selbst am besten, denn diese zwanzig aufreibenden Jahre war ich bei ihm, und ich kenne seine Geduld, sein unermüdliches Streben, seine grenzenlose Hingabe für die Sache, für die er nun, vor kaum zwei Monaten, sein Leben gegeben hat.

      Ich will versuchen, schlicht zu erzählen, wie Ernst Everhard in mein Leben trat – wie ich ihm zuerst begegnete, wie er groß wurde, bis ich ein Teil von ihm ward, und welch ungeheure Veränderungen er in mein Leben brachte. So mögt ihr ihn durch meine Augen sehen und ihn kennen lernen, wie ich ihn kennen lernte – in allem, außer in dem, das zu heilig und zu süß ist, als daß ich es erzählen könnte.

      Es war im Februar 1912, daß ich ihm zum ersten Male begegnete, und zwar als Gast im Hause meines Vaters John Cunnigham, der Vater Avis Everhards, war Professor an der Staatsuniversität zu Berkeley in Kalifornien. Sein Fach war die Naturwissenschaft; als schöpferischer Forscher machte er sich einen Namen. Seine Hauptwerke waren seine Studien über die Elektronen und seine monumentale Arbeit über »Die Identität von Stoff und Kraft«, in der er, über alle Spitzfindigkeit erhaben, für alle Zeit festlegte, daß die letzten Einheiten von Materie und Energie eines sind. Diese Idee war zwar schon früher von Sir Oliver Lodge und andern Forschern auf dem Gebiete der Radio-Aktivität ausgesprochen, aber nicht bewiesen worden. in Berkeley. Ich kann nicht sagen, daß der erste Eindruck, den er auf mich machte, besonders günstig war. Bei Tisch war er einer von vielen, und im Salon, wo wir die Gäste empfingen, wirkte er etwas seltsam. Es war »Pastorentag«, wie mein Vater unter vier Augen sagte, und unter diesen Männern der Kirche war Ernst sicher nicht recht am Platze.

      Erstens saß sein Anzug nicht. Es war ein fertig gekaufter aus dunklem Stoff, der sich seinem Körper schlecht anschmiegte. Fertig gekaufte Anzüge paßten ihm überhaupt nie. Wie immer beutelte sich auch an diesem Abend der Stoff über seinen Muskeln, während der Rock zwischen den überbreiten Schultern ein Labyrinth von Falten zeigte. Sein Hals war der eines Preiskämpfers In jenen Tagen pflegten manche Menschen um Geld zu kämpfen. Sie fochten mit den Fäusten. Sobald der eine besinnungslos oder totgeschlagen war, erhielt der andere das ausgesetzte Geld., dick und stark. So also sieht der Sozialphilosoph und frühere Hufschmied aus, den mein Vater entdeckt hat, dachte ich. Und wahrlich: man sah ihm seine Vergangenheit an den schwellenden Muskeln und dem Stiernacken an. Sofort war ich mir klar über ihn – eine Sehenswürdigkeit, dachte ich, ein Blinder Tom Diese dunkle Andeutung bezieht sich auf einen blinden Neger-Musiker, der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung die Welt im Sturm eroberte. der arbeitenden Klasse.

      Und als er mir dann die Hand schüttelte! Sein Händedruck war stark und fest, seine schwarzen Augen aber sahen mich kühn an – fast zu kühn, wie mir schien. Ihr seht, ich war ein


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