Bis die Gerechtigkeit dich holt. Ute Dombrowski

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Bis die Gerechtigkeit dich holt - Ute Dombrowski


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      „Ich liebe die Weinberge, sie haben so etwas Beständiges. Und wenn man den Rhein sieht, wie er in der Sonne glitzert, dann fragt man sich wirklich, wozu man noch im Ausland Urlaub machen soll. Ich liebe diese Gegend. Wir sind hier aufgewachsen, meine Schwester und ich. Immer, wenn es Krach gab, bin ich in die Weinberge geflüchtet. Nele hatte viel Ärger mit meinem Vater.“

      „Ich habe keine Geschwister und meine Mutter ist auch schon tot. Vor kurzem habe ich Kendra kennengelernt, wir haben uns angefreundet. Es war ein böses Ereignis, das uns zusammengeführt hat, aber irgendwie hat es uns die Freundschaft gebracht.“

      Lisa berichtete von Hanka, den Ereignissen, der Polizei-Befragung und dem Tod des Stiefvaters. Sascha hatte geduldig zugehört und seinen Arm fest um Lisas Schultern gelegt.

      „Ich habe es in der Zeitung gelesen und mit meiner Schwester darüber geredet. Sie war die ermittelnde Staatsanwältin, bis sie vom Oberstaatsanwalt von dem Fall abgezogen wurde. Nele war sehr sauer, denn bei Gewalt gegen Kinder kennt sie keinen Spaß. Vielleicht, weil sie selbst oft geschlagen wurde.“

      „Oh, das tut mir leid, meine Freundin hatte eine Schwester, die vom Vater misshandelt wurde. Sie hatte sich vor vielen Jahren selbst getötet, nachdem sie den Vater umgebracht hat. Meine Freundin war zehn Jahre und hat alles mit angesehen.“

      „Warum sind Menschen so böse zu Kindern? Die soll man doch lieben! Ich habe meinen Vater auch nie verstanden, irgendwann ist meine Mutter mit uns weggezogen. Dann war Vater plötzlich verschwunden. Wir wissen bis heute nicht, wo er ist oder ob er noch lebt. Unsere Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.“

      „Hat er dich auch geschlagen?“

      „Nein, nur Nele. Ich war ein Junge, er mochte nur keine Mädchen, denke ich. Zu meiner Mutter war er auch nicht gut. Sie hat viel geweint, aber ich war noch klein und habe das nicht verstanden. Und jetzt lass uns nicht mehr über so etwas Trauriges reden. Ich möchte gerne mit dir zusammen sein, Lisa. Du gefällst mir.“

      Sie waren stehengeblieben und hatten sich lange geküsst. Lisa hatte nur genickt und Sascha hatte gefühlt, dass sie die Richtige war, die Frau, auf die er schon so lange gewartet hatte. Er hatte seine Kamera mitgenommen und ein paar Bilder vom Schloss und den Weinbergen gemacht. Nun bat er Lisa, sich neben die Reben zu stellen oder auf die Mauer zu setzen. Lisa wollte sich weigern, aber als sie ihre erste Verlegenheit überwunden hatte, genoss sie die Aufmerksamkeit. Sie war gespannt auf die Bilder.

      Später gingen sie essen und dann fuhren sie zu Lisa, die in der kleinen Küche Kaffee kochte. Sie machten es sich auf der Couch gemütlich, Lisa hatte ihr Laptop geholt und Sascha lud die Bilder des Ausflugs hoch. Es waren Bilder voller Licht und Farben, wie Lisa die Umgebung während des Spaziergangs gar nicht so deutlich wahrgenommen hatte. Einzelheiten der Reben traten in den Vordergrund, um sie herum fügte sich die atemberaubende Landschaft ein. Als sich Lisa selbst auf den Bildern sah, bekam sie eine Gänsehaut vor Glück und Ergriffenheit, denn sie war wunderschön und strahlte eine faszinierende Natürlichkeit aus.

      „Du hast wirklich ein Auge für den Moment, ein Gefühl für die Szene. Ich wusste gar nicht, dass ich so aussehe.“

      „Es ist die Realität, du bist die schönste Frau der Welt. Vielleicht verstehst du jetzt, dass ich mich Hals über Kopf in dich verlieben musste.“

      „Jetzt bin ich sicher wieder ganz rot. Verzeih mir, wenn ich nicht so locker bin, aber ich muss mich erst an das Ganze gewöhnen. Liebe war mir bisher nicht so wichtig.“

      „Du Arme!“, rief Sascha. „Liebe ist das Wichtigste auf der Welt. Davon leben die Menschen. Ohne Liebe wäre die Welt öde und furchtbar. Lass mich dir die Liebe zeigen. Liebe, Liebe … schon das Wort macht mich glücklich. Und jetzt, meine liebe Lisa, fahre ich heim und schaue mir die Bilder noch einmal ganz in Ruhe an und hänge mir das Beste übers Bett. Sehen wir uns morgen wieder?“

      „Gerne. Ich vermisse dich jetzt schon. Danke für den schönen Tag. Wo wohnst du denn eigentlich genau?“

      „In Assmannshausen auf dem Berg. Ich habe ein kleines Haus in den Weinbergen, dort ist auch mein Atelier und unten im Haus ein kleiner Fotoladen. Wenn du magst, komm doch morgen zum Frühstück zu mir. Ich würde mich freuen.“

      Lisa versprach um neun Uhr mit frischen Brötchen bei ihm zu sein, dann schlang sie die Arme um Saschas Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Es fühlte sich gut und richtig an.

      11

      Michael war vor Bianca im Büro und stellte die Kaffeemaschine an. Dann füllte er die Obstschale auf und legte seiner Kollegin einen kleinen Schokoriegel auf den Platz. Er fuhr den Computer hoch, überprüfte die Emails und vertiefte sich in den Fall Weißlinger. Es hatte sich herausgestellt, dass seine Frau von den Misshandlungen gewusst und geschwiegen hatte. Bianca hatte Cordelia Bückler, Psychologin und alte Schulfreundin, gebeten, mit der Frau zu reden und was da zutage gefördert wurde, jagte selbst dem abgebrühten Kommissar einen Schauer über den Rücken. Er hatte gar nicht mehr das Bedürfnis, den Mörder von Robert Weißlinger zu suchen, aber das ging ja nicht. Niemand hatte das Recht, Selbstjustiz zu üben, auch wenn das Verbrechen des Mannes noch so grausam war.

      Hanka wurde regelmäßig geschlagen, getreten und zweimal hatte er ihre Füße mit heißem Wasser übergossen. Er hatte sie nie ins Gesicht geschlagen, auch die Verbrühungswunden waren nicht zu sehen. Beim Arzt hatte die Mutter angegeben, dass Hanka einen Topf mit kochendem Wasser vom Herd gezogen hatte. Da Hanka immer schon einen Attest für den Sportunterricht hatte, weil sie Probleme mit den Ohren hatte, waren die zahlreichen blauen Flecken an den Armen und den anderen Körperteilen nie jemandem aufgefallen. Die Kleine hatte keine Freunde und niemand beachtete sie, jeden Tag nach der Schule hatte Robert sie abgeholt und dann begann ihr Martyrium erneut.

      Wenn Hankas Mutter nicht in der Wohnung war, hatte er das kleine Mädchen in ihrem Kinderzimmer missbraucht. Als die Frau eines Tages früher von der Arbeit kam, weil es in der Firma einen Wasserrohrbruch gegeben hatte, sah sie die wimmernde Hanka und ihren Mann in dieser Situation, aber statt Hanka zu helfen, war sie aus dem Haus gelaufen. Am nächsten Tag sprach sie ihren Mann darauf an und Robert hatte ihr eine schallende Ohrfeige versetzt. Dann zerrte er sie auf den Küchentisch, drückte ihr Gesicht fest auf das kalte Holz und riss ihr die Hose herunter. Er nahm sich, was er für richtig hielt und drohte, er würde Hanka töten und sie müsste dabei zusehen, wenn sie etwas verraten würde.

      Hankas Mutter hatte geschwiegen.

      Michael spürte eine ohnmächtige Wut. Als seine Kollegin zur Tür hereinkam, atmete er auf und klappte die Akte zu. Bianca begrüßte ihn und spürte sofort, dass er sehr aufgewühlt war. Sie hatte die Gabe, in die Menschen hineinzuschauen. Durch ihre Freundin Cordelia, die Psychologin, wusste sie, dass sie hochsensibel war. Cordelia hatte sich ihr zuliebe ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Bianca wusste, dass sie sich auf ihre Intuition immer verlassen konnte.

      „Hast du wieder die Akte gelesen? Es wird nicht besser, er war ein mieses Dreckstück, aber wir müssen trotzdem seinen Mörder finden.“

      „Ich weiß“, seufzte Michael, „aber am liebsten würde ich die Akte schließen und sagen: Das war es, der Täter hat richtig gehandelt.“

      „Nein“, widersprach ihm Bianca und er wusste, das sie recht hatte, „es ist niemals der richtige Weg, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Wenn er alle Leute umbringt, die jemand Schwächerem etwas angetan haben, dann kommen wir aus der Arbeit nicht mehr heraus, ich hoffe, der Täter tut das nicht wieder. Nele ist immer noch sehr wütend auf den Oberstaatsanwalt, der jetzt Ermittlungsfehler einräumen musste. Ich denke, in Zukunft wird man wachsamer sein. Es ist vor allem nötig, dass man den Opfern den Rücken stärkt, damit sie gegen ihre Peiniger aussagen.“

      Das Telefon klingelte, Bianca nahm ab. Sie lauschte in den Hörer.

      „In Ordnung, wir kommen sofort.“

      Sie legte auf und sah Michael an.

      „Was?“

      „Mord im Rotlichtmilieu.


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