Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch

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Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch


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Kaufmann, dessen Verhältnisse zurückgegangen waren. Er wurde in einem durchaus ungesetzlichen Verfahren zu ewiger Gefangenschaft verurteilt. Während des Prozesses und der langen Haft zeigte er würdigen Stolz, um Gnade zu bitten verschmähte er, weil er sich im Recht wusste. Kalkstein flüchtete nach Polen und konnte nur durch Verrat in die Hände des Kurfürsten geliefert werden. Ein Adliger, Eusebius von Brandt, gab sich dazu her. Er spiegelte Kalkstein die Möglichkeit der Versöhnung mit dem Kurfürsten vor und lockte ihn damit auf preußisches Gebiet; später verbreitete er, Kalkstein sei aus eigenem Antrieb gekommen, um seine Frau zu besuchen. Friedrich Wilhelm ließ sein Opfer nicht nur hinrichten, sondern vorher, um geeignete Aussagen zu erpressen, foltern, was ganz ungesetzlich war. Wenn er sagte: Ich habe nichts Unbilliges begehrt, ich wollte nur Herr, und sie sollten Untertanen sein, so mag man annehmen, dass er bei dieser naiven Äußerung gutgläubig war. Daraus, dass nur zwei Männer sich ernstlich für die Sache der Stände einsetzten, ist ersichtlich, wie wenig Selbstbewusstsein mehr in ihnen war. Kalkstein und Roth waren die unglücklichen Vertreter von Körperschaften, in welchen der Lebenskraft einer aufkommenden Gewalt gegenüber nicht genügend Widerstandskraft mehr vorhanden war. Sie gingen zwiefach unter; denn die Nachkommen, die dem neuen Gestirn huldigten, schwiegen von ihnen oder schmähten sie, um den Sieger nicht zu beeinträchtigen. Sie mussten ihm gegenüber unrecht haben.

      Die Kämpfe mit den Ständen zogen sich durch Friedrich Wilhelms lange Regierung hin. In Preußen, wo der Widerstand mit Anhänglichkeit an Polen verknüpft gewesen war, konnte er als Landesverrat nachdrücklicher als anderswo angegriffen werden; aber ihn mit einem Schlag auszurotten gelang nirgends. In Cleve, wo die Selbstverwaltung viel fester eingewurzelt war als im Osten, wurden während des Großen Kurfürsten langer Regierungszeit Landtage abgehalten. Auch in seinem Bestreben, sich ein ganz von ihm abhängiges Beamtenheer zu schaffen, war er nicht ohne Ausnahmen erfolgreich. Um die Beamten aus jedem Zusammenhang mit den Ständen und mit dem Interesse der Provinz zu lösen, besetzte er die Stellen nach Möglichkeit nicht mit Eingeborenen, wie es den Privilegien entsprochen hätte, sondern mit Fremden, Angehörigen anderer Provinzen, die als Ausländer empfunden und oft gehasst wurden. Bei alledem gelang es ihm nicht, die Mitwirkung der Stände ganz auszuschließen.

       Das allerwirksamste Mittel, den ständischen Adel in einen dienenden Hofadel umzuwandeln, waren die mit dieser Umwandlung verbundenen Vorteile, für die der Landesherr sorgte. Sie bestanden darin, dass dem Adel alle hohen und einträglichen Stellen im Heer und in der Beamtenschaft vorbehalten blieben und dass ihm die Bauern preisgegeben wurden. Man könnte meinen, es habe im Interesse der Fürsten gelegen, die gedrückten Bauern gegen Adel und Städte aufzuwiegeln und mit ihrer Hilfe diese Stände zu schwächen; allein der Gedanke einer derartigen Umwälzung lag ihnen fern. Sie wollten das Ansehen und die Macht des Adels erhalten, etwa noch vermehren, aber er sollte ihnen zur Verfügung stehen. Grade weil er mächtig war, wollten sie sich auf ihn stützen. Ihn sich zu unterjochen und zugleich auf Kosten der schwächeren Stände zu stärken, war ihre Politik.

      Erst seit dieser Zeit waren die Bauern vollständig entrechtet, zum Teil eigentliche Leibeigene. Sie hingen von der Willkür ihres adligen Grundherrn ab, der die Rechtsprechung über sie hatte, es gab für sie keine höhere Instanz, an die sie hätten appellieren können. Alle Übergriffe, die sich die Grundherren mit der Zeit im Verhältnis zu den Bauern herausgenommen hatten, die Ausbeutung, den unmenschlichen Druck ließ der Kurfürst nicht nur geschehen, alles das wurde in vielen Paragraphen eines Landtagsabschieds den adligen Herren als ihr Recht bestätigt. Anstatt dass der Landesherr den Bauern hilfreiche Hand reichte, verdoppelte er ihre Bürde, indem er ihnen zu den übrigen noch die Militärlasten auflegte. Die Bürgerlichen unterstanden zwar nicht der Gerichtsbarkeit des Adels, hingen überhaupt in keiner Weise rechtlich von ihm ab, aber sie bildeten einen geringeren Stand und durften keine adligen Güter erwerben. Dennoch drangen zuweilen Bürgerliche in die höheren Staatsämter ein, wenn man ihrer Intelligenz und ihres Fleißes bedurfte; sie wurden dann geadelt, um der Ehre des Hofes fähig zu werden. Einigermaßen hoben sich die zünftigen Gelehrten von dem verachteten Kreis des Bürgertums ab.

       In Österreich vollzog sich die Umwandlung des Staatswesens dem Charakter der Dynastie und der Bevölkerung entsprechend langsamer und weniger gewaltsam als in Preußen. Auch hier hatten die Stände im siebzehnten Jahrhundert das Bewusstsein ihres Rechts und das Gefühl ihrer Macht eingebüßt. Schon bei Leopolds I. Thronbesteigung wurde die Huldigung nur durch Abgeordnete und nicht mehr unter freiem Himmel geleistet; sein Sohn Karl leistete keinen Eid mehr, sondern versprach nur, die Privilegien zu halten. Bald in dem einen, bald in dem anderen Punkt gingen die Befugnisse des ständischen Adels in die Hände neugeschaffener fürstlicher Behörden über. Immerhin machte es sich geltend, dass die gesellschaftliche Stellung des österreichischen Adels nicht so leicht erschüttert werden konnte, dass auf die reichen und stolzen Familien, die den Thron umgaben, Rücksicht genommen werden musste. Wenn es bald keine ständische Behörde mehr gab, die Statthalter, Gubernatoren, Oberstburggrafen und wie sie alle hießen, die nicht auch dem Landesherrn verpflichtet gewesen wäre, so erleichterte doch die unsichere Begrenzung der beiderseitigen Befugnisse den Ständen die Einmischung. Der Landesherr hatte in den militärischen Dingen die Oberhoheit, aber die Aushebung und die Verpflegung der Soldaten stand den Ständen zu, und in allen finanziellen Angelegenheiten hatten sie sogar den größeren Anteil der Rechte. In Ungarn vollends, wo die feudalen Verhältnisse noch herrschten und wo der Abfall beständig drohte, musste man die mächtigen Magnaten schonen. Auch als ihre Unzuverlässigkeit Gelegenheit gab, mit blutiger Härte gegen sie vorzugehen, gelang es doch nicht, ihr Ansehen und ihren Einfluss ganz zu unterdrücken.

      In Schwaben waren die ständischen Rechte im Besitz einer selbstbewussten, gewissenhaften, charaktervollen Bürgerschaft. Überhaupt hatte sich hier das ständische Wesen viel folgerichtiger als anderswo in Deutschland entwickelt und gesetzlich gefestigt, und wenn die Stände im erbitterten Kampf mit despotischen Fürsten vorübergehend zurückweichen mussten, behaupteten sie sich doch in Ehren. Stände erhielten sich bis in die neuere Zeit in Sachsen und in Mecklenburg, wo die Ritterschaft sich nicht zum Segen des Landes ihrer Rechte bediente.

       Als Staaten im Staat waren die Städte den Fürsten ein Dorn im Auge. Nach dem Beispiel, das sie ihnen in früherer Zeit gegeben hatten, suchten jetzt die Fürsten aus ihren Territorien abgeschlossene Wirtschaftsräume zu machen, und dabei waren ihnen die Städte mit ihren Zöllen und Stapelrechten im Wege. Wie hätte nicht auch der Reichtum der großen Städte und die Menge ihrer gewerbstätigen Einwohner und ihre Handelsbeziehungen die Fürsten anlocken sollen? Wagten sie sich nicht an den eigentlichen Reichsstädten zu vergreifen, machten sie umso mehr Jagd auf diejenigen Städte, die an Macht und Ansehen Reichsstädten glichen, auch sich als solche fühlten und gebärdeten, aber versäumt hatten, sich die Reichsstandschaft rechtmäßig zu sichern in Zeiten, wo diese Würde Kosten mit sich brachte, ohne dass ein Gewinn damit verbunden zu sein schien. Zu diesen gehörte Magdeburg, das sich zur Zeit Karls V. durch Überzeugungstreue und Standhaftigkeit ausgezeichnet hatte und im Dreißigjährigen Krieg ein Opfer seines protestantischen Charakters geworden war; die Stadt hatte verdient, auf dem Friedenskongress berücksichtigt zu werden. Wirklich brachten es die Bemühungen der protestantischen Mächte zuwege, dass ein Artikel des Westfälischen Friedensinstrumentes ihren Ansprüchen Rechnung trug.

Grafik 17

      Stadt Magdeburg um 1600

       „Der Stadt Magdeburg“, hieß es da, „wird ihre alte Freiheit und das Privilegium Ottos I. vom Jahre 940, obwohl es durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, von der Kaiserlichen Majestät erneuert werden, ebenso das ihr von Ferdinand II. verliehene Festungsprivilegium.“ Die Erneuerung des sagenhaften Privilegs Ottos I. bedeutete jedoch nichts weiter als einen vorläufig aufgestellten Grundsatz, dessen Verwirklichung erkämpft werden musste. Das zu früh triumphierende Magdeburg sah ein, dass es seine Anstrengungen fortsetzen, womöglich verdoppeln musste, wenn es sein Ziel erreichen wollte. Niemand konnte seine Interessen besser vertreten als der Bürgermeister Otto von Guerike, dessen physikalische Untersuchungen und Entdeckungen ihm die Teilnahme der hohen Häupter sicherte. Wie fast alle wissenschaftlich begabten Menschen des 17. Jahrhunderts war er erfüllt von der Einsicht, dass nur die Mathematik unumstößliche Wahrheitsbeweise bringen könne, dazu noch Erfahrung und Experiment im Gegensatz


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