Der Domschatz zu Aachen. Erik Schreiber

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Der Domschatz zu Aachen - Erik Schreiber


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Rockes in geraden, dichten Linien herabfallen.“ (Springer a. a. O.) Ein antikes Vorbild, vielleicht eine Gemme oder Münze, lag dem Künstler auch für den Streitwagen Gottes in der Illustration des LXVII. Psalmes vor. Wir sehen den Wagen aus der Tiefe herauskommen, sich in seiner ganzen Breite zeigen, indem die vier Pferde nach rechts und links ausweichen. Die gleiche Darstellung, aber als Sonnenbild, findet sich auch in der Aratus-Handschrift Nr. 250 in der Stiftsbibliothek zu St. Gallen (J. Rudolf Rahn, das Psalterium aureum von St. Gallen. St. Gallen, Huber & Cie. 1878. S. 55) und in der Bibel Karls des Kahlen in der Nationalbibliothek zu Paris. (Westwood, Pal. sacra pl. 26.)

      Deutlicher kommt das antike Element in der abendländischen, namentlich in der deutschen Kunst vom Ende des 10. Jahrhunderts an wieder zum Vorschein. Es trugen dazu die Römerzüge der Kaiser und die nach dem Norden gekommenen, namentlich kleineren antiken und altchristlichen Kunstwerke wesentlich bei. Auch die Pilgerfahrten der Äbte und Mönche scheinen in dieser Beziehung nicht ohne nachhaltigen Einfluss gewesen zu sein; denn gerade die Klöster und Bischofssitze gehen in der Aufnahme antiker Elemente voran, wie sie damals überhaupt die Pflege der Kunst fast ausschliesslich in Händen hatten. Bekannt sind die Anstrengungen, welche Bischof Berward von Hildesheim zur Hebung der vaterländischen Kunst auf Grund seiner italienischen Erfahrungen machte. Wie sehr man sich um jene Zeit dem Studium der römischen Kunstwerke, soweit sie zugänglich waren, hingab, das zeigt uns ein, vielleicht dem Io. Jahrhundert angehöriger Autor, dessen Person in mysteriöses Dunkel gehüllt ist, der sog. Heraclius in seinem Buche „von den Farben und Künsten der Römer. (Herausgegeben mit Originaltext und Übersetzung, mit Einleitung, Noten und Excursen versehen von Albert Ilg. Wien 1873. IV. Band der „Quellenschriften zur Kunstgeschichte). Der Verfasser legt in diesem Werke zum grossen Theil die Ergebnisse seiner antiquarischen Untersuchungen nieder; er beschreibt die von den alten Römern geübten Künste und beklagt, dass das Verständniss hiefür seinen Zeitgenossen so gänzlich entschwunden sei. Am interessantesten ist das 5. Kapitel des ersten Buches, welches von den sog. Goldgläsern handelt. „Die Römer“, sagt dort Heraclius, „machten sich Schalen, sorglich unterbrochen mit Gold, eine überaus kostbare Sache. Daran habe ich mit höchstem Eifer meine Mühe gewendet und des Geistes Auge liess ich darüber brüten Tag und Nacht, auf dass ich die Kunst erringen möchte, durch welche die Schalen herrlichen Schimmer erhalten. Endlich brachte ich zuwege, was ich nun, mein Theuerster, offenbare. Ich fand, dass Goldplättchen sorgsam zwischen gedoppeltem Glase eingeschlossen sind. Als ich diese Arbeit öfter mit eigenen Augen genau betrachtet hatte, wurde ich immer mehr und mehr angeregt, endlich nahm ich mir mehrere Schalen von spiegelklarem Glase und bestrich sie mittels eines Pinsels mit klebrigem Gummi. Darauf begann ich sodann Goldplättchen zu legen und sobald sie getrocknet waren, grub ich Vögel und Menschen und Löwen, je nachdem es mir gut dünkte, darauf ein. Als das geschehen, zog ich darüber eine Schichte Glas, das ich am Feuer mit sachverständigem Hauche dünngeblasen hatte. Sobald nun das Glas in gleicher Weise die Hitze empfand, schloss es sich ringsum dünn in trefflicher Weise an. (Vergl. meinen Aufsatz: „Die Technik der Goldgläser“ in der Zeitschrift des Münchener Kunstgewerbevereins 1879 Nr. 11 u. 12.) Diese Worte bezeugen zur Genüge, dass man im Io. Jahrhundert dem Studium der sich noch hier und dort findenden Überreste altrömischer Kunst oblag und geflissentlich die verloren gegangenen Techniken und Künste wieder ins Leben zu rufen bemüht war.

      Bei dieser Lage der Dinge kann es uns durchaus nicht Wunder nehmen, wenn wir in den Skulpturen da und dort antike Werke zum Vorbild nehmen, ja sie geradezu kopieren sehen. In den Klosterschulen hat man überhaupt fortwährend nach älteren Vorbildern gearbeitet. Freilich stammten diese Vorbilder, „da altchristliche nicht leicht mehr zum Vorschein kamen und Italien fast nichts mehr producirte, (Schnaase a. a. O: Bd. III. S. 732.) zum Theil auch aus Byzanz. Allein der Einfluss der letzteren war durchaus nicht von so wohlthätigen Folgen begleitet, wie man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Die übertriebene und peinliche Subtilität in der Ausführung, welche die byzantinischen Skulpturen auszeichnet, war viel eher geeignet, jedweden Schwung der Phantasie zu lähmen als zu befördern. Diess sieht man deutlich an zwei Relieftafeln in der Bibliothek zu St. Gallen, die man dem berühmten Abte Tutilo (gestorben 915) zuschreibt. (Lübke, Geschichte der Plastik 3. Aufl. S. 395 - Kunsthistorische Bilderbogen. Taf. 92, 1 u. 2.) Die figürlichen Darstellungen dieser beiden Tafeln, in denen Schnaase noch Nachklänge der irischen Kunstübung erkennen will (a. a. O. Bd. III. S. 655 ff.), sind ohne Zweifel unter dem Einflusse byzantinischer Vorbilder entstanden. Dies bezeugt namentlich das enge und sorgfältig ausgeführte Gefältel der Gewänder. Wie wenig vortheilhaft aber dieser byzantinische Einfluss war, diess einzusehen genügt ein Blick auf die in Rede stehenden Reliefs. Der Akanthus dagegen, welcher das obere Feld der einen Tafel schmückt und der nach antikem Vorbilde geschnitzt wurde, ist so anmuthiger Natur, dass man gar nicht begreift, dass er von derselben Künstlerhand herrührt wie die darunter sich befindenden figürlichen Darstellungen. Das Gleiche gilt von dem mit Thieren bevölkerten Rankenwerk der anderen Tafel. Daraus geht hervor, dass der vornehme Adel der antiken Kunstwerke dem deutschen Geiste weit fördernder und fassbarer war, als die kleinliche Zerfahrenheit, welche die byzantinischen Denkmäler zur Schau tragen. Es ist daher selbstverständlich, dass man sich nach antiken Mustern und Vorbildern umsah, diese studirte, nachahmte und an ihnen seinen Geschmack zu läutern suchte. Man kann dieses Hervorsuchen und Studium antiker Denkmäler an einer Reihe von Miniaturen und Elfenbeinreliefs wahrnehmen. Ich will nur einige der letzteren namhaft machen, da über jene das bereits mehrfach genannte Werkchen von Anton Springer ohnediess hinlänglichen Aufschluss gibt.

      Im Domschatze von St. Veit in Prag befindet sich ein Jagdhorn aus Elfenbein, auf welchem ein Wagenrennen dargestellt ist-. (Mittelalterl. Kunstdenkmale d. öster. Kaiserstaates von Dr. G. Heider u. Prof. R. v. Eitelberger. Bd. II. S. 127 - 143: „Über den Gebrauch der Hörner im Alterthume und das Vorkommen geschnitzter Elfenbeinhörner im Mittelalter“ von Dr. Fr. Bock.) Dieses „Wagenrennen sammt der Form der Quadrigen, sowie die Gestalten der Greifen und Centauren gegen welche sich Gladiatoren zum Kampfe anschicken, deuten auf direkte antike Vorbilder, während der Charakter des Blattornaments bereits die unverkennbar romanische Form zeigt, so. dass die Arbeit wohl dem 11. Jahrhundert angehören wird.“ (Lübke, Grundriss der Kunstgeschichte 9. Aufl. S. 367.) Mit diesem Urtheil des feinsinnigen Kunsthistorikers Lübke wird sicher jeder übereinstimmen, der sich in die Art und Weise des Kunstschaffens jener Zeit vertieft hat.

      Von einem ähnlichen Gesichtspunkte aus sind jedenfalls auch die zwei Elfenbeintafeln in der k. Staatsbibliothek in München zu betrachten, welche in den hinteren Deckel der lateinischen Handschrift No. 23630 eingelassen sind. Wilhelm Mayer, welcher im fahre 1879 im Auftrage der k. bayer. Akademie der Wissenschaften eine Monographie hierüber veröffentlichte (Zwei antike Elfenbeinreliefs der k. Staatsbibliothek in München. München 1879. F. Straub.), hat sie mit Aufwand grossen Scharfsinnes auf antiken Ursprung zurückzuführen gesucht. Aber so viel Achtung ich vor den Ausführungen dieses Gelehrten habe, hierin kann ich ihm doch unmöglich beistimmen, um so weniger, als er diese vermeintliche antik-römische Arbeit in ziemlich frühe Zeit zu setzen geneigt ist. Auf keiner der römischen Elfenbeintafeln ist eine solche Rohheit in der Anordnung der Figuren, auch nur annähernd zu sehen, wie auf der schmäleren der in Rede stehenden Tafeln. (W. Meyer, a. a. O. Tafel III.) Es macht sich hier ein Missverständniss und eine Ungeschicklichkeit in der Raumbehandlung geltend, wie sie nur im Mittelalter zu finden ist. Im Alterthume bis herab zum 7. Jahrhundert war in Italien, von Konstantinopel gar nicht zu reden, eine solche Unbehilflichkeit in Bezug auf die Raumbehandlung ganz undenkbar. Die Nachwirkungen der Werke aus der klassischen Zeit waren noch aller Orten zu lebendig, ja das Studium derselben wurde, wie wir gesehen, noch überall eifrig betrieben und von den Königen, wie z. B. Theoderich, in jeder Weise gefördert, so dass eine solche Arbeit höchstens in Gallien etwa im 6. oder 7. Jahrhundert hätte entstehen können. Dafür aber ist die Technik und sind die Gestalten an sich, vor Allem die Charakteristik der Köpfe wieder viel zu gut. Kurz die beiden Tafeln sind in Anlehnung an antike Vorbilder im Mittelalter entstanden; dies zeigen namentlich die Details. Da steht auf der grösseren Tafel zunächst eine männliche Gestalt in reicher Kleidung, welche in höchst ungeschickter Weise die Trabea nachahmt. Ganz abgesehen von dem Wurfe der einzelnen Stücke, ist das gestickte Ornament, welches aus in Kreise eingeschlossenen Sternen besteht, in so missverstandener Weise angebracht, dass man auf den ersten Blick den Nachahmer erkennt. Der Schnitzer hat, nachdem das Gewand fertig war, den Zirkel angesetzt und die Kreise in der ungenirtesten


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