Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee. Friedrich Gerstecker

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Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee - Friedrich Gerstecker


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Honolulu, kurz alles was nicht wirklich niet- und nagelfest war, wie weiland der Geiger von Hameln die Kinder und Frauen, hinter sich her, durch die Stadt zog.

       Und selbst das war noch nicht der Gipfel des Unglaublichen: Herrn Rossiter (Herr Rossiter stand breit auf den englischen Zetteln, er konnte aber, als ihn ein Deutscher auf das Herr hin deutsch anredete, nicht antworten) war es vorbehalten dieses zu erreichen, und die Sandwichsinsulaner schleppen nun ihren letzten Real – zum nicht geringen Ärger der Kaufleute, denen dadurch manches bunte Tuch und Stück Kattun im Laden liegen blieb – in die wieder erleuchteten Räume des eingegangenen Liebhabertheaters, um Herrn Rossiter auf dem Drahtseil tanzen, Schwerter und Apfelsinen verschlingen, Tauben köpfen und wieder beleben, und noch viele andere ganz unbeschreibliche Sachen auf die unbeschreiblichste Weise ausführen zu sehen.

      Jetzt fehlte weiter gar nichts, als dass noch ein lebendiger Drehorgelmann mit einer sauber in grün und rot gemalten Mordgeschichte hierher käme; ich glaube die gesamte gelbbraune Bürgerschaft fiele ihm und seiner stets heiser geschrienen Begleiterin mit dem Paketchen „neuer Lieder“ um den Hals.

      Doch sie in alle Geheimnisse der zivilisierten Welt so ganz urplötzlich einzuweihen, wäre wirklich nicht einmal gut für sie, und der Drehorgelmann bleibt ihnen deshalb lieber noch eine Zeitlang vorenthalten.

       Bei dieser so rasend schnell hereinbrechenden Zivilisation passierte aber auch vor noch nicht gar so langer Zeit ein ziemlich komischer Fall. Ein Franzose hatte sich nämlich hier auf Honolulu mit dem kühnen Gedanken niedergelassen, die Kultur der Insulaner „von oben“ zu beginnen, d. h. nicht etwa bei den Häuptlingen, sondern bei ihren Häuptern anzufangen, und sich deshalb in eine der Hauptstraßen als Friseur etabliert. Soweit war alles gut, eines Morgens aber, bald nach Tagesanbruch schien Honolulu in Aufruhr – die Insulaner stürzten durch die Straßen, alle einem gewissen Punkte zu – einzelne, Anderen zugeschrienen Worte veranlassen auch diese, ihnen zu folgen, und das Haus, wo der französische Friseur wohnte, war nicht allein in weniger als einer Viertelstunde vollständig umlagert, sondern die schwarze Polizei soll auch sogar schon Miene gemacht haben, ihn abzuholen, wobei er vielleicht von den erregten Volkshaufen draußen zerrissen worden wäre.

      Aber weshalb? – um Gotteswillen weshalb? –

       Weshalb? Hatte er nicht die abgeschnittenen Köpfe dreier Unglücklichen keck und frech hinter sein eignes Glasfenster zur Schau ausgestellt? – und musste er die armen Opfer nicht auf die boshafteste hinterlistigste Weise überrascht haben, dass sie selbst jetzt noch das freundliche unbefangene Lächeln auf ihren Gesichtern trugen und die Augen so klar offen, hielten, als ob gar nichts vorgefallen wäre, indessen ihre verstümmelten Glieder wahrscheinlich irgendwo verscharrt gegen den Mörder um Rache schrien? – Es wäre jedenfalls zu irgendeinem gewalttätigen Schritt gekommen, hätten sich nicht ein paar andere, schon länger dort angesiedelte Franzosen hineingelegt, und den Irrtum aufgeklärt.

      Ein Eingeborener lebt aber auf dieser Insel, und sogar in der Residenz selber, der sich bis jetzt noch jeder Zivilisation auf das Hartnäckigste widersetzt, aber wie Goethes Mephisto, im Großen nichts verrichten kann, und es nun im Kleinen anfängt. Selbst die Polizei kann ihm nichts anhaben, oder – was weit wahrscheinlicher ist, steckt mit ihm unter einer Decke, und so durchzieht er die Straßen der Stadt, fortwährend nur seine ganze Aufmerksamkeit darauf gespannt, da zu zerstören, wo andere etwas begonnen zu haben glaubten.

       Und dies Individuum ist nichts Geringeres als ein Ziegenbock, der merkwürdiger Weise seine ganzen geistigen Fähigkeiten darauf gerichtet hat, Zettel abzureißen, wo er sie irgend erlangen kann, und damit die verschiedenen Ankleber schon oft in Verzweiflung gebracht hat. Honolulu ist nämlich keineswegs ein so unbedeutender Platz, es hat Druckerpressen und Zeitungen und Kunstreiter und andere Fähigkeiten, die sämtlich angeklebt und gemeldet sein wollen. Die Regierung ebenfalls erlässt sehr häufig Anschläge, und ein Ziegenbock hat in der Tat alle Hände voll zu tun, die Ecken von Zetteln frei zu halten. Das Tier verhält sich dabei auf die schlauste Weise, und wer es sieht, soll nachher noch einmal behaupten, Tiere im Allgemeinen hätten keinen Verstand – oder treibt sie vielleicht ihr Instinkt auch nach angeklebten Zetteln? –

       Es war am zweiten Morgen, als ich langsam, mich den neuen Eindrücken die überall auf mich eindrängten in voller Ruhe hingebend, durch die Straßen Honolulus schlenderte und unten, nicht weit vom Fort, einen großen schönen Ziegenbock fand, der mich im ersten Augenblick scheu und misstrauisch zu betrachten schien, dann aber wieder, nach einem vorsichtigen Blick rings umher, der dem Wilde selbst an den ruhigsten sichersten Stellen besonders eigen ist, zwischen den dort zu irgendeinem Bau aufgehäuften oder umhergestreuten Korallblöcken, nach dem reichlich da wuchernden Gras suchte. Ich hätte das schöne Tier vielleicht länger beobachtet, wäre meine Aufmerksamkeit nicht in dem Augenblick durch einen Eingeborenen gefesselt worden, der einen großen Arm voll Zettel zum Ankleben und einen Kleistertopf trug. Der Zettel hatte die Überschrift, „Makana“ irgendeine Belohnung für den Entdecker einer Brandstiftung aussetzend, und mir fiel damals schon das Betragen des Insulaners auf, der, als er auf einen niederen mitgeführten Tritt hinaufstieg, dem Ziegenbock einen misstrauischen Blick zuwarf, und mit der Hand in der er den Kleistertopf trug, nach ihm hinüber drohte. Der Ziegenbock nahm aber allem Anschein nach nicht die geringste Notiz von ihm, und musste gerade in diesem Augenblick ein sehr süßes Grasfleckchen entdeckt haben, denn er schob den Kopf fast ganz zwischen ein paar große Korallblöcke hinein – er hatte den Zettelträger jedenfalls gar nicht bemerkt.

      Wunderbarer und wie es mir vorkam, höchst unnützer Weise klebte der braune Bursche seinen Zettel aber entsetzlich hoch, man konnte die Worte, trotz der großen Schrift, kaum erkennen, und erst nachdem er sich fast die Arme ausgerenkt hatte, und irgendetwas dabei in seiner Sprache murmelte, stieg er den Tritt wieder hinunter, nahm ihn unter den Arm und verschwand um die nächste Ecke, nach einer Weile aber – wohl zehn Minuten mochten darüber vergangen sein – kam sein Kopf mit dem Kleistertopf plötzlich noch einmal zum Vorschein, und nach einem langen misstrauischen Blick auf den Bock verschwand er zum zweiten Mal, ohne dass der Ziegenbock auch nur die geringste Notiz von ihm genommen hätte.

       Mir kam das alles so merkwürdig und außergewöhnlich vor, dass ich dem Mann folgte, zu sehen was er weiter treibe, ich hatte aber kaum die Ecke erreicht, wo ich ihn mit einem anderen Zettel beschäftigt sah, als es der Ziegenbock wurde, für den ich mich zu interessieren anfing, denn dieser hob jetzt zum ersten Mal vorsichtig den Kopf, schaute aufmerksam die Straße erst hinunter und dann hinauf, und als er Niemand Verdächtiges sah, denn mir mochte er es ansehen, dass ich ihn in seinen Operationen nicht stören würde, kam er rasch zwischen den Korallblöcken vor, war mit ein paar Sätzen auf einem Haufen Bauholz, das wenige Schritte von dort aufgeschichtet lag, und von dem ein Balken schmal und schwankend bis dicht neben den Zettel hinausragte, lief auf diesem hin wie ein Seiltänzer, und ehe ich nur begreifen konnte was er da oben wollte, hatte er den eben frisch angeklebten Zettel erfasst, riss ihn herunter, und wie er den Boden wieder erreichte, war das nasse Papier auch schon, wenn noch nicht verschlungen, doch wenigstens umgekaut.

      Ohne sich unten aber weiter aufzuhalten, wanderte er langsam die Straße hinauf, dem Zettelträger nach, und vier Zettel zog er herunter, bei denen ich gegenwärtig war, bis ein Polizeidiener die Straße nieder kam und der Ziegenbock, rasch in eine schmale Beistraße einbiegend, hinter den niederen Bambushäusern verschwand.

       Der Eigentümer des Amerikanischen Zirkus, der einen von seinen eigenen Leuten herumgeschickt hatte seine Zettel anzukleben, behielt, da dieser sie nur kaum vier Fuß von der Erde anpappte, nicht einen einzigen oben, und das Ganze einer Schikane irgendeines Nebenbuhlers zuschreibend, beklagte er sich sogar deshalb bei den Gerichten. Gott weiß übrigens ob der Ziegenbock „tabu“ war, das heißt nicht berührt oder geschädigt werden durfte, oder ob es – das Wahrscheinlichere – den Eingeborenen selber Spaß machte das gemütliche Tier in solcher Weise beschäftigt zu sehen, kurz trotz all diesen verschiedenen Vergehungen geschah ihm gar nichts, außer dann und wann einmal vielleicht ein kleiner Klaps, wenn er eben zufälliger Weise gerade von dazu Beauftragten auf frischer Tat ertappt wurde.

      Ich versuchte später mein Bestes, den Ziegenbock anzukaufen um die Rasse nach Deutschland zu verpflanzen; der Reingewinn bei einer Gattung Tiere, die allein an Makulatur gezogen werden konnte, wäre enorm gewesen, der Besitzer wollte ihn


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