Wenn nichts ist, wie es scheint. Angelika Godau
Читать онлайн книгу.legendär, die kriegt niemand so hin wie du.“
Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas von einem Forscher, der ein seltenes Insekt betrachtet. Dann lächelte sie, nickte und knabberte an ihrem Toast. Um den Strohhalm nicht zu verlieren, den sie ihm hingehalten hatte, bot er ihr Hilfe in der Küche an, fragte, ob sie beim Friseur gewesen sei, aber sie verfiel wieder in Schweigen und so gab er schließlich auf.
Als sie eine Stunde später den samstäglichen Wochenmarkt an der Alexanderkirche erreicht hatten, änderte sich ihr Verhalten plötzlich erneut, sie ergriff sogar seinen Arm und zeigte fröhlich auf die aufgebauten Zwiebelberge eines Händlers. „Die sehen gut aus, die werde ich kaufen.“
Der Bauer hatte bereits eine Tüte in der Hand und füllte sie geschäftig. „Was soll’s denn geben?“, fragte er und Regina ließ ihn wissen, dass ihr Mann besonders gern Frikadellen äße, dazu selbstgemachtes Kartoffelpüree und sie ihm das am Abend kochen wollte. „Fläschkischelcher mit Grumbeerbrei un ausgebäde Zwiwwle? Na, dann brauchen Sie aber noch Grumbeere, wieviel sollen es denn sein?“ Regina erstand zwei Kilo, bezahlte und der Bauer rief ihnen noch nach: „Ich wünsche einen guten Appetit und nicht zu viele Blähungen anschließend.“
An einem anderen Stand kaufte sie Hackfleisch und verkündete dann, sie habe nun alles und wolle wieder heim.
„Wollen wir nicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen? Das Wetter ist so schön und wir waren lange nicht mehr zusammen …“
„Nein, heute nicht, ein anderes Mal vielleicht, ich möchte jetzt nach Hause, ich muss ja auch das Essen vorbereiten.“
Max konnte sich zwar nicht vorstellen, wieso sie dafür den ganzen Tag brauchen sollte, schwieg aber, um den Funken Hoffnung, den er im Herzen trug, nicht zu verlieren.
Schweigend fuhren sie nach Hause, schweigend verlief auch der restliche Tag. Seine angebotene Hilfe in der Küche lehnte sie ab, auch den Tisch wollte sie selbst decken, und so verzog er sich ins Schlafzimmer und machte ein Nickerchen. Später schaltete er die Sportschau an und freute sich über den sensationellen Sieg seiner geliebten Borussia gegen den FC Augsburg. Fünf zu eins gewonnen, das war geradezu perfekt und dazu passte, dass genau beim Abpfiff Regina in der Tür erschien und ihn aufforderte, zu Tisch zu kommen. Sie sagte tatsächlich zu Tisch, was ihm merkwürdig vorkam. So merkwürdig, wie dieser ganze Tag. Seine Verwunderung nahm weiter zu, als er das Esszimmer betrat.
Der Tisch war gedeckt wie an Weihnachten. Das gute Geschirr und Kerzen in der Mitte. Tiefroter Wein funkelte in den Kristallgläsern, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die er scheußlich fand. Selbst das Silberbesteck schien sie geputzt zu haben, und auch sie selbst sah toll aus. Ein ihm unbekanntes enges, dunkelblaues Kleid aus weichem, fließendem Stoff umspielte vorteilhaft ihren sehr schmal gewordenen Körper. Er starrte sie mit offenem Mund verblüfft an.
„Setz dich doch Max“, lächelte sie, „alles ist fertig, lass es dir schmecken.“ Damit hob sie ihr Glas und prostete ihm zu.
Er hätte lieber ein Bier getrunken, was ja auch entschieden besser zu dem deftigen Gericht gepasst hätte, aber er schwieg und trank ihr zu. Der Wein war schwer und hinterließ ein seltsam pelziges Gefühl auf seiner Zunge, aber da er kein Kenner war, sagte er nichts darüber.
Regina füllte seinen Teller mit zwei knusprig - braunen Frikadellen und einem kleinen Berg Püree, auf den sie wie eine Mütze geschmälzte Zwiebeln packte. Dazu reichte sie ihm einen bereits zusammengestellten Salatteller.
„Ich hoffe, er schmeckt dir, ich habe das gute Olivenöl aus Kreta und den teuren Balsamicoessig für das Dressing benutzt. Du weißt ja, Öl und Essig sind das A und O für jeden guten Salat.“
„Das stimmt, da hast du wirklich recht“, stimmte er eilfertig zu, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. „Es schmeckt einfach wunderbar, vor allen Dingen die Frikadellen sind dir hervorragend gelungen.“
„Ja, das finde ich auch“, stimmte Regina ihm kauend zu. „Das muss an den Zwiebeln liegen, die haben einen sehr kräftigen Eigengeschmack.“ Wieder erhob sie ihr Glas und animierte ihn zum Trinken. Als er es leergetrunken hatte, überlegte er, ob er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holen konnte, aber Regina kam ihm zuvor und schenkte Wein nach.
Nach einer halben Stunde schwirrte sein Kopf und der Gürtel drückte unangenehm in der Magengegend. Er hatte eindeutig zu viel gegessen, und dazu dieser schwere Rotwein, das war er nicht gewohnt. Regina saß ihm lächelnd gegenüber und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen. „Was ist? Geht es dir nicht gut? Hat es dir nicht geschmeckt?“
„Oh doch, natürlich hat es mir geschmeckt, darum habe ich vermutlich auch zu viel gegessen und der Wein ist mir zu Kopf gestiegen, glaube ich. Du weißt ja, ich trinke nur selten Alkohol.“
„Ja, aber wenn, dann weißt du nicht mehr, was gut für dich ist“, antwortete sie und selbst sein beschwipster Verstand registrierte den bitteren Unterton.
Jetzt wurde ihm noch heißer und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Regina“, bat er, „bitte lass uns doch jetzt nicht wieder mit dieser alten Geschichte anfangen. Ich weiß, ich habe einen schlimmen Fehler gemacht, und ich würde alles darum geben, ihn ungeschehen machen zu können. Kann ich aber nicht, also …“
„Also hast du als Zugabe auch noch meinen Hund vergiftet!“
Irgendwie fanden ihre Worte keinen Zugang zu seinem Gehirn. Er hörte sie, aber er verstand sie nicht. Was hatte denn jetzt der Hund mit seinem Seitensprung zu tun?
„Wie meinst du das? Wieso? Ich meine, ich habe doch nicht …“
„Doch hast du, da bin ich mir ganz sicher. Du hast es nicht ertragen, dass ich wieder glücklich war, dass ich Micky geliebt habe. Du musst alles zerstören, so wie du unsere Liebe zerstört hast, musstest du auch meine Liebe zu diesem unschuldigen Wesen zerstören.“
Sie hatte sich in Rage geredet, hektische rote Flecken breiteten sich über ihr Gesicht und den Hals aus und die Haare lösten sich aus der Spange.
„Ich verstehe dich nicht, Regina, wirklich. Ja gut, vielleicht habe ich nicht genug aufgepasst, vielleicht hätte ich es verhindern können, aber du kannst doch nicht sagen, ich hätte deinen Hund…“
„Und ob ich das sagen kann! Ich habe dich beobachtet, wenn du joggen gegangen bist. Ich habe genau gesehen, dass du Dinge fallenlassen hast, aber ich habe zu spät begriffen, was das war. Du bist dieser Dreckskerl, der Hunde vergiftet, der auch meinen Micky umgebracht hat.“
„Regina! Du weißt nicht mehr, was du sagst. Ich würde doch nie im Leben einem Hund etwas zu Leide tun. Du weißt, ich bin ein Tierfreund, ich füttere sogar die Krähen und die Enten, obwohl das verboten ist. Es war nur Brot, was ich geworfen habe, Brot, sonst nichts. Du hast mir einfach immer zu viel eingepackt und ich wollte es nicht wegschmeißen, also habe ich es an die Tieren verfüttert.“
Mittlerweile war ihm sterbensübel, sein Kopf dröhnte und der Schweiß lief ihm über das Gesicht.
„Das höre ich mir nicht länger an, das geht jetzt wirklich zu weit, Regina. Ich habe einmal einen Fehler gemacht, das habe ich nie bestritten und dafür hast du mich seither an jedem einzelnen Tag bestraft, aber hier ist für mich Schluss.“
Er stand auf, stieß dabei seinen Stuhl um und verließ mit schnellen Schritten den Raum und die Wohnung. Ihm war sterbensübel und er wusste nicht, ob von zu viel Wein, zu viel Essen oder von dem, was Regina ihm unterstellt hatte. Er brauchte frische Luft, musste seinen Kopf wieder klarkriegen und überlegen, was er als nächstes tun sollte. So viel stand für ihn fest, das konnte er nicht hinnehmen, dafür musste Regina sich bei ihm entschuldigen, und zwar ernsthaft. Irgendwo gab es auch für ihn eine Grenze und die hatte seine Frau heute Abend überschritten.
Er lief Richtung Innenstadt, schaffte es taumelnd, den Herzogplatz zu überqueren und ließ sich schließlich erschöpft auf eine Bank fallen. Er hatte keinen Blick für die architektonische Schönheit der barocken Gebäude, sein Mund brannte wie Feuer, und seine Eingeweide krampften sich immer heftiger zusammen. Nur mit größter Anstrengung gelang