Vorm Mast. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.Ladung. Da liegt das Schiff mehr auf dem Wasser als darin. Wirst schon sehen...“ Schmidchen zieht eine der Schubladen unter der Koje heraus. „Die kannst du nehmen. Und auch die Hälfte des Kleiderschrankes.“ Ich öffne ihn. Er läuft nach unten ebenso schmal zu wie das Zimmer. Als Fußboden bleibt uns ein kleines Dreieck von ½ Quadratmeter Fläche.
Die Natal in Waltershöft
„Hotel zur Schraube nennen wir unsere Unterkünfte.“ Warum, das wurde mir klar, als wir zum Schuppen 28 im Baakenhafen verholten (umzogen). Jede Schraubendrehung brachte das Achterschiff zum Zittern, dazu heulte die Hydraulik der Rudermaschine wie eine Kreissäge. Auf dem Tischchen glitt alles hin und her oder landete auf dem Boden. „Hier achtern musst du deine Bierflasche in der Hand halten, bei Seegang auch den Teller.“ Tolle Aussichten, denke ich und frage ihn, ob er schon seekrank gewesen ist. „Das kommt vor. Muss aber nicht unbedingt auf der ersten Reise passieren. Ist aber gar nicht so schlimm... wenn's vorbei ist. Du musst halt immer schlucken. Zuerst kotzt du das Essen aus. Dann kotzt du gelb, das ist die Galle. Schmeckt saubeschissen. Und dann wird’s ernst: Wenn da ein haariger Ring rauskommt, dann schlucke noch fester. Denn das ist das Arschloch; wenn du das verlierst, bist du erledigt!“ Wir lachen beide.
Wir verlassen die enge Kammer mit den schräg nach oben sich erweiternden Wänden. Er führt mich durch den schmalen Gang und erklärt mir, wer wo wohnt. „Die größten Kammern, und dazu noch mit geraden Wänden, haben Rudi und Mozart. Dafür haben sie keine Bullaugen (runde, dickglasige Fenster, die man mit einer Blende seefest absichern kann). Die Matrosen haben Einzelzimmer, großer Luxus! Schau, hier die Tür geht runter zum Wellentunnel der Schraube. Das ist der Notausgang für die von der Maschine, falls der Kahn mal absaufen sollte. Nie zubauen!“ Eine Treppe führt ein Deck tiefer zur Rudermaschine. Die Schotten (Wände) sind weiß gestrichen. Der Boden ist leicht ölig. Wir steigen die zwei Treppen hinauf und befinden uns wieder am Hauptdeck. Hier befindet sich die Messe (Essraum) mit der Pantry (Spülraum). Ihr gegenüber sind die Eingänge zum Waschraum und den Toiletten. „Das wird dein Haupttätigkeitsfeld sein, in den nächsten Wochen!“ Er grinst, während er das sagt. „Die Matrosen essen dort in dem Eck, wir Junggrade und Max, der chinesische Wäscher hier im andern Eck. Setz dich ja nicht in das Matroseneck!“ Wir gehen zurück an Deck, umrunden den Aufbau und steigen auf der Rückseite eine steile Treppe hoch. „An Backbord hat der Bootsmann (Vorarbeiter der Decksmannschaft) seine Kammer, an Steuerbord (rechts) der Zimmermann. Den Zimmermann nennt man Timi, den Bootsmann Scheich. Diese zwei musst du siezen, mit den anderen sind wir per du.“ Hier oben hängt, in Schwingdavits, auch eine kleine Jolle für Außenbords-Arbeiten. Außerdem liegen da noch ein paar Rettungsflöße, für den Fall, dass…
„Ist keine Arbeit?“, frage ich ihn.“ Im Augenblick nicht viel, weil fast alle ein paar freie Tage genommen haben. Sogar der Alte ist für ein paar Tage weg und hat das Schiff dem Zweiten (Offizier) überlassen. Nur ein paar Wachen sind an Bord. Ich an Deck, jemand anders in der Maschine. Wenn du willst, können wir etwas den Kahn anschauen.“ Das sagt mir zu. Wir klettern über die dicke Manila (Festmacherleine), die noch vom Anlegen herumliegt, zu den Mittschiffsaufbauten. Schmidchen zeigt zur Mitte: „Das da ist die Kombüse (Küche). Wir haben einen Koch und einen Bäcker an Bord. Den Koch musst du Chef nennen, sonst ist er sauer. Mit dem Koch musst du dich gut stellen, ihn merken lassen, dass er die wichtigste Person auf dem Schiff ist.“ „Ich dachte, der Kapitän ist der Chef...“, werfe ich ein. „Nein. Der Kapitän ist der ‚Alte‘, der erste Ingenieur ist der ‚Chief‘, der Elektriker der ‚Blitz‘, der Funker ‚Sparks‘, der Zimmermann ‚Timi‘, der Kabelgatt-Matrose ‚Ede‘, ach ja, und wir Kadetten sind die ‚Ratten‘.“ „Wenn die Ratten von Bord gehen, soll ein Schiff untergehen, habe ich mal gelesen“, sage ich. „Deshalb halten sie ja immer mindestens einen von uns auf dem Schiff“, lacht er.
Ich bemerke, dass sich an jedem Eingang zu den Aufbauten doppelte Türen befinden. Eine hölzerne, die nach innen aufgeht, und eine stählerne, die sich nach außen öffnet. Letztere kann man mit 4 oder 6 drehbaren Riegeln, den Vorreibern, seefest verschließen. Die „Türschwelle“ ist eine etwa 30 Zentimeter hohe Stufe, das Süll. Um die Tür zu durchschreiten muss man einerseits gut die Füße heben (Achtung auf die Schienbeine) und zugleich aufpassen, dass der Kopf nicht oben am Schott anhaut. Mit der Zeit und einigen Beulen gewöhnte ich mich auch an diese Besonderheit. Wir betraten die Aufbauten. Ein ziemlich langer, schmaler Gang tat sich vor uns auf. An einer Seite war auf der ganzen Länge in Hüfthöhe ein Rohr angebracht, der Handlauf, wohl um sich bei Schlagseite festhalten zu können. An den Treppen befand sich je einer auf jeder Seite. Die Rundung des Decks, die ich draußen schon bemerkt hatte, setzte sich hier drinnen fort. Man nennt das die Balkenbucht. Sie gibt dem Schiffsrumpf mehr Festigkeit. Ebenso ist das Schiff in Längsrichtung gebogen. Es „hängt durch“ wie eine große Banane. Dadurch sind Bug und Heck höher über dem Wasser. Das nennt man Sprung.
Hier im Schiffsinneren war das Geräusch der Maschinen lauter. Schmidchen öffnete eine Tür an der linken Seite, da war unser Unterrichtsraum. Ein paar rechteckige Bullaugen, mit glänzenden Messingrahmen und Knebeln unterbrachen die Außenwand. In der Mitte des Raumes ein langer Tisch und rundherum drehbare Stühle, alle fest mit dem Boden verschraubt. „Das schwimmende Klassenzimmer“, entfährt es mir. Eine grüne Tafel an der Stirnseite, eine Weltkarte und das Morsealphabet an der anderen vervollständigen mit einem Wandschrank das Mobiliar. „Unterricht haben wir aber nur auf See und auch nur vormittags. Nachmittags ist Zutörnen.“ „Was ist denn das?“ „Arbeit an Deck oder woanders. Was halt gerade anliegt.“ Etwas weiter kommen wir an zwei anderen Türen vorbei. „Die Unterkünfte der Heizer.“ „Heizer? Ich denke, die Maschine läuft mit Schweröl?“ „Das sagt man noch so. Die Ausdrücke stammen noch aus der Dampfschifffahrt. Ebenso sind auch noch Bezeichnungen aus der Segelschiffszeit im Gebrauch. An Deck ist die Mannschaft aufgeteilt in Decksjungen, Jungmann, Leichtmatrose, Matrose, Bootsmann, Offiziere usw., in der Maschine nennt man sie Schmierer, Heizer, Assistent, Storekeeper und Ingenieure. Du wirst die Hierarchie an Bord schnell genug kennenlernen...“
Er öffnet eine wasserdichte, und wie ich sofort merke, auch schalldichte Tür nach mittschiffs. Lärm, Hitze und Ölgeruch schlagen uns entgegen. Ich hebe meine Füße, ziehe den Kopf ein und befinde mich auf einem Gitterrost, wie auf einem Balkon, hoch über metallenen Monstermaschinen, deren Funktion mir völlig unbekannt ist. Eine steile Treppe mit 2 glänzenden Handläufen führt vor meinen Füßen in die Tiefe. Schmidchen drängt sich zu mir auf das Podest und schließt das Schott (Tür). Obwohl alles vor Sauberkeit glänzt, liegt ein feiner Ölfilm auf allem, der uns beim Laufen leicht gleiten lässt. Er zeigt nach oben: „Das ist der Schornstein! Da hängt der Max (chinesischer Wäscher) seine Wäsche zum Trocknen auf.“ Ich stelle lieber keine Frage. Schornstein, Wäsche, Max. In Bayern hängt man Speck und Schinken in den Schornstein. Das gibt das gute Schwarzgeräucherte. Und hier Wäsche? Will der mich verarschen?
Und der Koch in der Kombüse…
„Das dicke Rohr dort ist der Auspuff der Hauptmaschine, die dünneren die Abgasrohre der Hilfsdiesel.“ „Hilfsdiesel? Sind das Ersatzmotoren?“ „Nein, die Hilfsdiesel erzeugen den Strom. Für Beleuchtung, Rudermaschine, die Winden...“ Dann sind da noch die Luftansaugrohre der verschiedenen Maschinen.“ Ich sah wohl, was er meinte, aber in diesem Wirrwarr von Leitungen blickte ich nicht mehr durch. „Vor dem Schornstein, die offenen Glasfenster, das sind die Maschinenoberlichter. Sie dienen zur Entlüftung des Maschinenraumes.“ Ich hätte sie eher für Frühbeetfenster gehalten... Die Wärme hier drinnen tut mir gut. Fast ist es schon zu warm.
„Jetzt stehen wir auf der oberen Zylinderstation“, ruft er. Von den gitterartigen Rosten wie von einem Balkon umgeben, thronen da vor mir sechs runde, fassartige Dinger von wohl einem Meter Durchmesser, die Zylinderköpfe. Fußgroße Muttern halten sie über armdicke