Vorm Mast. Wolfgang Bendick

Читать онлайн книгу.

Vorm Mast - Wolfgang Bendick


Скачать книгу
eine Woche Kartoffelschäldienst! Na ja; jemand muss es ja machen. Zu meinem Glück waren wir drei Auserwählte. 50 Schüler plus die Offiziere, das gab einiges an Kartoffeln... Ich kannte den Barras nicht, den Militärdienst, war ja erst 16. Aber ich stellte mir vor, dass es dort ebenso herging wie hier. Brüllen, Befehle, Strammstehen und „Jawoll“ sagen.

      Wir wurden in zwei Gruppen eingeteilt: die Steuerbordwache und die Backbordwache. Wenn mehr Schülerandrang war, kam noch eine Mittelwache dazu. Die Zimmereinteilung ging schnell vor sich. Alphabetisch. 8 Jungens pro Raum in 4 Stockbetten. Dann ging es ans Bettenbauen, d. h. Beziehen. Dabei bemerkten wir, dass alle Matratzen, egal wie wir sie auch drehen mochten (außer hochkant), Blutflecken hatten. Hatte hier ein Massenmord stattgefunden? Nein! Bevor das Haus zur Seemannsschule umfunktioniert wurde, war es ein Mädchenpensionat gewesen. Und neue Matratzen zu kaufen, das war für die Seemannsschule Hamburg nicht drin. Es fehlte an Kohle, also Spendengeldern. So hatte unsere Schule also beide Extreme gekannt. Erst rein weiblich - jetzt voll männlich. Manchmal lagen wir mit Phantasmen in den Kojen (Betten) und stellten uns die Vorbeliegerin unserer Matratzen vor. Versuchten, die Zeit zurückzustellen... Als der Wachoffizier die gerade von uns bezogenen Betten inspizierte, flog erst mal wieder alles raus. „So baut man keine Betten, seid wohl alle Muttersöhnchen?!“ Einer, der vorher bei der Bundeswehr war, musste uns das genau zeigen. Zu unserem Glück zeigte er uns auch die Tricks, als der Offizier gegangen war, das nächste Zimmer zu inspizieren: vier Knoten in die Ecken des Lakens, und alles war glatt!

      Dann ging es an die Einteilung der Unterrichtsräume: Die erste Hälfte des Alphabetes bekam den Steuerbord-Raum, die zweite den Backbord-Raum. Das Schrankeinräumen ging nicht so schnell. Je drei Schüler hatten einen Schrank gemeinsam hier im Klassenzimmer. In die rechte Hälfte hängten wir unsere besseren Sachen auf Kleiderbügel. Das ging fast anstandslos. Linkerhand hatten wir jeder zwei Ablagefächer übereinander. Da flog alles so schön von Muttern zusammengefaltete wieder im Bogen hinaus und landete auf dem Boden. „Nochmal neu! Aber richtig diesmal!“ Natürlich war es auch dieses Mal nicht richtig. Die Taschentücher mussten rechteckig gefaltet werden, nicht quadratisch. Die Hemden so, dass die Ärmel innen lagen, der Kragen obenauf. Alles auf eine bestimmte Breite. So viel Mühe wir uns auch gaben, so oft flog alles wieder hinaus. Ein paar Schüler wurden sauer. „Nix als Schikane!“ Das waren die nächsten Anwärter zum Kartoffelschälen. Mir kam das alles eher vor wie ein lebensgroßes Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Glaubst du, du hast es geschafft, wirst du wieder geschmissen. Nur nicht ernst nehmen, dachte ich mir. Sonst bist du hier nicht am richtigen Platz! Das machten uns auch die Offiziere klar: „Wir haben euch nicht gerufen! Ihr seid es, die zur See fahren wollt! Und da geht nichts ohne gewisse Regeln. Und die müsst ihr erst mal lernen!“

      Erschien uns vieles als Willkür, so sahen wir spätestens an Bord, dass manches berechtigt gewesen war. Bedingt durch die Enge entstanden dort viele Probleme, die es an Land nicht gibt. Hier fand schon eine Auswahl statt, fast ein Eignungstest. Auch mussten wir lernen, eine Order bedingungslos auszuführen. Es hatte keinen Zweck, uns dagegenzustellen. Wir sollten ja fähig werden, in extremen Situationen zu arbeiten und zu überleben. Eines stand für uns alle fest: Von unseren Eltern hätten wir uns auf diese Weise nicht behandeln lassen! Nie!

      Unterrichtsräume, Speisesaal, Küche und Büros befanden sich im Erdgeschoss. Im Obergeschoss, über dem Speisesaal, wohnte der Kapitän. Im Hauptflügel lagen beidseitig des langen Flurs unsere Kammern und die Waschräume, von denen die Innentüren fehlten. Die Klos waren offen, die Duschen ohne Vorhänge. Im Seitenflügel befanden sich die Kammern der Offiziere, die in der Schule wohnten, wenn sie zusätzlich Nachtdienst hatten. Manche von ihnen wohnten in der Stadt. Im Dachgeschoss lagerten wir unsere Koffer. Im Keller befanden sich der Heizraum und Koksvorrat, die Waschküche und der Takelkeller, das Reich des Bootsmanns Papendieck.

      Der Mast im Hof der Schule

      Wir dachten zu Anfang, dass die Türen der Toiletten und die Vorhänge nur zum Überholen entfernt sind. Doch das war Dauerzustand! Daran musste man sich erst mal gewöhnen, zu zehnt nackt unter den Duschen zu stehen oder für alle sichtbar auf den Klos aneinandergereiht sein Geschäft zu erledigen. Für wohl alle war dies anfangs die schwerste Probe. Alles nackt. Kurze Schwänze, lange Schwänze. Nur keinen hochkriegen! Da würde die ganze Meute was zum Lachen haben! Wenn sich etwas anfing zu regen, dann lieber schnell auf ein Klo, wenn eines frei war, und ihn zwischen den Beinen einklemmen, bis er wieder hängt... Diente dies alles zur Erziehung zur Gleichgültigkeit, oder war es, um zu verhindern, dass zwei Gleichveranlagte sich treffen konnten? Vielleicht beides. Klar, dass die Schüchternen unter uns, zu denen auch ich gehörte, lieber duschen gingen, wenn weniger da waren. Oder aufs Klo. Aber mit der Zeit wurde uns das egal. Und das Duschen wurde zu einem der unterhaltsamsten Momente des Tages, wo wir mal ohne Aufsicht waren und ungehindert Witze machen konnten. Ohne Aufsicht? Ich glaube, die beste Aufsicht ist die Masse. Sind wir alle!

      Natürlich gab es welche, die der Schulleitung hinterbrachten, was sie gehört hatten, was sie gesehen hatten. Wer, was, wann, wie und wo. Das merkten wir morgens beim Rapport. Wir alle mussten vor dem Frühstück im Hof in Reih und Glied („nicht vergessen!“) antreten. Vor dem hohen Mast. Wir standen, Hände auf dem Rücken, Offiziere und Kapitän rechte Hand grüßend zur Mütze gehoben, während die Deutschlandflagge langsam in die Gaffel stieg. Wehe, der Posten, der die Flagge hisste, verhedderte die Leine, war zu schnell oder zu langsam! War das Tuch oben, wurde für uns die Sache ernst. „Moin, Jungs!“, sagte der Kapitän. „Guten Morgen, Herr Kapitän!“, riefen wir, die Hände auf dem Rücken. Ja nie in den Taschen. „Hände weg vom Bändsel!“, hieß es dann, „Einmal rund um die Kartoffel!“ Anfangs war es leicht, „Freiwillige“ für Küche oder Klo zu finden. Es genügte, dass die zwei Streifen unserer Pudelmütze nicht gerade waren oder nicht ganz sichtbar. Fest steht, dass die Anzahl der Bestrafungen immer der Zahl der notwendigen Hilfskräfte entsprach. Dann rief der Kapitän: „Vortreten zum Rapport!“, und es war an denjenigen vorzutreten, die sich etwas hatten zuschulden kommen lassen, oder der Kapitän rief Namen auf. Man wusste nie, ob man dabei war. Es hagelte Bestrafungen, Mahnungen, manchmal Drohungen von Schulverweisung. Zum Glück fing danach bald der Unterricht an.

chapter4Image5.jpeg

      Unterrichtsraum Steuerbordwache

      Als die Betten bezogen waren, die Schränke eingeräumt, und wir unsere Arbeitskleidung erhalten hatten, mussten wir den Rest der Wäsche in den Koffern auf dem Dachboden verstauen. Jedes Wäschestück hatte zuhause mit unseren Namen markiert werden müssen. Wie viele Muttertränen sind dabei geflossen? Geld und Wertvolles waren in den Koffern verboten. Kein Problem für mich. Ich hatte keines. Einmal pro Woche konnten wir unter Offiziersaufsicht da hoch, uns was rausholen oder umtauschen. Das vorgesehene Taschengeld mussten wir bei der Sekretärin im Büro deponieren, wo wir später jede Woche etwas abholen konnten. Klar, dass manche Geld in den Koffern hatten oder anderswo versteckten. Aber wie schon gesagt, die Kriecher hinterbrachten alles. Das war die schwache Seite dieses Informationssystems: Einem Hinterbringer würde es später an Bord dreckig gehen. Auch schaffte es Misstrauen unter uns und verhinderte anfangs das Bilden eines Gemeinschaftsgefühls.

      Wir waren 8 Leute bei Tisch zum Essen plus ein Backschafter, der die Kellnerfunktion innehatte. Dieser holte die Töpfe und Schüsseln an der Essensausgabe ab und bediente seine Gruppe. 2 von uns waren Offiziersbackschafter. Die Backschafter aßen vor den anderen. 2 weitere halfen in der Küche, 2 hatten Spüldienst. Jede Woche wechselte die Gruppe. Nur die „Straftäter“ hatten eine zusätzliche ‚Ehrenaufgabe‘, meist Kartoffeln oder Toilette. Die Kammern sauber halten, war Aufgabe der Bewohner. Kontrolliert wurde vom Ausbildungsoffizier.

      Wir hatten das Dreiwachensystem an der Schule. Wie auf einem Schiff auf großer Fahrt. Dadurch, dass die ‚Mittelwache‘ (die dritte Gruppe, wenn bei anderen Kursen viel mehr Schüler da waren) fehlte, war die Posteneinteilung komplizierter. Aber das tüftelten die Offiziere aus. Wir waren nur Ausführende. Da war der Posten „Tor“. Der stand hinter dem Gartentor am Straßeneingang. Er empfing die Besucher und führte


Скачать книгу