Jerusalem. Selma Lagerlöf
Читать онлайн книгу.der Untertasse klirrte. Darauf trat eine drückende Stille ein.
»Wir meinen, es ist am besten, wenn sie nach Amerika reist.« Er hielt noch einmal inne, es entstand dieselbe Stille. Er seufzte über die unbeweglichen Menschen. »Wir haben schon die Fahrkarte für sie genommen.«
»Sie kommt wohl vorher nach Hause?« sagte Ingmar. – »Nein, was sollte sie wohl zu Hause?«
Ingmar schwieg wieder. Seine Augenlider waren fast geschlossen. Er saß ganz still da als schliefe er. An seiner Stelle begann nun Mutter Märta zu fragen. »Sie muß doch wohl Kleider haben?« – »Das ist alles in Ordnung, bei Kaufmann Löfberg, bei dem wir immer einkehren, wenn wir in der Stadt sind, steht eine Kiste gepackt.« – »Soll ihre Mutter sie nicht in Empfang nehmen?« – »Ja, sie will es gern, aber ich sage, es ist besser, wenn sie sich nicht sehen.« – »Ja, das mag ja sein.« – »Bei Löfberg liegt die Fahrkarte und Geld für sie, sie bekommt also alles, was sie nötig hat.«
»Ich meinte, Ingmar sollte das wissen, damit er sich die Sache aus dem Kopf schlagen kann,« sagte der Reichstagsabgeordnete.
Jetzt schwieg auch Mutter Märta. Ihr Kopftuch war in den Nacken geglitten und sie saß da und sah in ihre Schürze hinab. »Jetzt sollte Ingmar bald daran denken, sich wieder zu verheiraten.« Sie schwiegen alle beide gleich tapfer. »Mutter Märta bedarf der Hilfe in dem großen Haushalt. Ingmar muß dafür sorgen, daß sie ein ruhiges Alter bekommt.«
Der Reichstagsabgeordnete schwieg und dachte, ob sie wohl hörten, was er sagte? »Ich und meine Frau wollen es ja so gern alles wieder gutmachen,« sagte er schließlich.
Währenddes saß Ingmar da und ließ sich von einer großen Freude durchschauern. Brita sollte nach Amerika, und er brauchte sich nicht mit ihr zu verheiraten. Eine Mörderin sollte nicht Hausfrau auf dem alten Ingmarshofe werden. Er saß schweigend da, weil er es nicht passend fand, gleich zu zeigen, wie froh er war. Aber jetzt fand er es an der Zeit, etwas zu sagen.
Der Reichstagsabgeordnete saß nun auch ganz stumm da; er wußte, daß er den Ingmars Zeit geben mußte, sich zu besinnen. Schließlich sagte Ingmars Mutter: »Ja, jetzt hat Brita ihre Strafe gesühnt, nun kommt die Reihe an uns andere.« Die Alte meinte, daß, wenn der Reichstagsabgeordnete Hilfe von den Ingmars wünsche, als Lohn dafür, daß er ihnen den Weg geebnet hätte, so würden sie sich nicht weigern. Aber Ingmar faßte die Worte anders auf. Er zuckte zusammen, und es war, als erwache er aus einem Schlaf. »Was würde Vater hierzu sagen?« dachte er. »Wenn ich ihm diese Sache nun vorlege, was wird er dann sagen?« – »Du mußt nicht glauben, daß du Gottes Gerechtigkeit zum Narren haben kannst,« sagt Vater dann. »Du mußt nicht glauben, daß er es ungestraft läßt, falls du Brita die ganze Schuld allein auflädst. Selbst wenn ihr Vater sie verstoßen und sich bei dir einschmeicheln will und Geld von dir leihen will, so sollst du dennoch Gottes Wege gehen, kleiner Ingmar Ingmarsson!«
»Ich glaube wohl, daß der alte Vater in dieser Sache über mir wacht,« dachte er; »er hat gewiß Britas Vater hierher gesandt, um mir zu zeigen, wie häßlich es ist, alle Schuld auf sie zu wälzen, die Ärmste! Er hat wohl gesehen, daß ich in diesen letzten Tagen nicht große Lust gehabt habe, mich auf die Reise zu begeben.«
Ingmar stand auf, goß Kognak in den Kaffee und erhob die Tasse. »Nun danke ich schön, Herr Reichstagsabgeordneter, daß Sie heute hier eingesehen haben,« sagte er und stieß mit ihm an.
III.
Den ganzen Vormittag hatte Ingmar mit den Birken an der Haustür zu schaffen gehabt. Zuerst hatte er ein Gerüst errichtet, dann nahm er die Birkenwipfel und bog sie so zusammen, daß sie einen Bogen bildeten. Die Bäume ließen sich ungern biegen, sie rissen sich einmal über das andere Mal los und richteten sich kerzengerade auf. »Was machst du da?« fragte Mutter Märta. – »Ach, ich finde, sie können jetzt eine Weile so wachsen,« sagte Ingmar.
Es wurde Mittag, und als die Mahlzeit vorüber war, ging das Gesinde auf den Hofplatz hinaus und legte sich schlafen. Ingmar Ingmarsson schlief auch, aber er lag in einem breiten Bett in der Kammer hinter der guten Stube. Die einzige, die nicht schlief, war die Hausfrau, sie saß in der guten Stube und strickte.
Die Tür von der Diele tat sich leise auf, und hinein kam eine alte Frau mit zwei großen Körben an einer Tracht über dem Nacken. Sie sagte leise guten Tag, setzte sich auf einen Stuhl an der Tür und nahm, ohne etwas zu sagen, den Deckel vom Korbe. Der eine war voll von Zwieback und Kringel, der andere von frischem schimmernden Weißbrot. Die Hausfrau ging gleich hin und fing an einzukaufen. Sonst war sie sehr auf den Schilling, aber etwas gutem Gebäck zum Kaffee konnte sie schwer widerstehen.
Während sie das Weißbrot aussuchte, begann sie eine Unterhaltung mit der Frau, die, wie die meisten, die von einem Hof zum andern gehen und viele Menschen kennen, sehr geschwätzig war. »Ihr seid ja eine vernünftige Frau Kajsa, auf die man sich verlassen kann,« sagte Mutter Märta. – »Ja,« sagte die andere, »hätte ich nicht den Verstand, vieles zu verschweigen, was ich höre, so würden sich manche in die Haare geraten.« – »Aber zuweilen schweigt Ihr zuviel, Kajsa.« Die Alte sah auf und begriff, was sie meinte. »Ja, Gott sei mir gnädig,« sagte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich sprach mit der Frau des Reichstagsabgeordneten auf Bergskog, aber ich hätte zu Euch gehen sollen.« – »Nun, Ihr habt also mit der Frau des Reichstagsabgeordneten gesprochen!« Es lag eine unendliche Verachtung in dem Ton, mit dem sie das lange Wort aussprach.
Ingmar Ingmarsson fuhr aus dem Schlaf auf, als sich die Tür von der großen Stube leise öffnete. Es kam niemand herein, aber die Tür blieb angelehnt. Er wußte nicht, ob sie von selbst aufgesprungen war oder ob jemand sie geöffnet hatte. Schläfrig, wie er war, blieb er ruhig liegen und hörte daher alles, was in der äußeren Stube gesprochen wurde.
»Sagt mir jetzt, Kajsa, wie Ihr dahinter gekommen seid, daß Brita Ingmar nicht lieb hatte,« sagte die Mutter. – »Ja, gleich von Anfang an sagten die Leute ja, die Eltern hätten sie gezwungen.« – »Sprecht nur gerade heraus, Kajsa. Wenn ich frage, braucht Ihr keine Komplimente zu machen, um die Wahrheit zu sagen; ich werde wohl ertragen können, zu hören, was Ihr sagen könnt.«
»Es war ja so, daß ich jedesmal, wenn ich in der Zeit nach Bergskog kam, fand, daß sie verweint aussah. Einmal, als sie und ich allein in der Küche auf Bergskog waren, sagte ich zu ihr: ›Es ist ein schöner Mann, den du bekommst, Brita.‹ Sie sah mich an, als glaube sie, daß ich sie zum Narren haben wolle. Und dann sagte sie: ›Ja, das kannst du wohl sagen, Kajsa, schön ist er.‹ Sie sagte das auf eine Weise, daß mir war, als sähe ich Ingmar Ingmarsson vor mir, und er ist ja nicht schön, aber darüber hatte ich bisher nie nachgedacht; denn ich habe immer große Ehrfurcht vor den Ingmars gehabt. Aber nun konnte ich ja nicht lassen, ein wenig zu lächeln. Da sah mich Brita an und sagte noch einmal: ›Ja, schön ist er,‹ wandte sich von mir ab und stürzte in die Kammer, und ich hörte, daß sie zu weinen anfing.
Aber als ich ging, dachte ich bei mir selbst: Es wird schon gehen, denn den Ingmars geht ja alles gut. Ich wunderte mich nicht über die Eltern, denn hätte ich eine Tochter gehabt, und hätte Ingmar Ingmarsson um sie geworben, dann hätte ich mir auch keine Ruhe gegönnt, ehe sie ja gesagt hätte.«
Ingmar lag auf dem Bett und hörte es. »Das tut Mutter absichtlich,« dachte er. »Sie denkt sich das ihre bei dem Anstreichen und der Ehrenpforte und der Fahrt in die Stadt morgen. Mutter glaubt, daß ich die Absicht habe, hinzufahren und Brita zu holen; Mutter weiß nicht, daß ich ein Lump bin, daß ich es nicht kann.«
»Das nächste Mal, als ich Brita sah,« fuhr die Alte fort, »war sie schon hierher auf den Ingmarshof gezogen. Ich konnte sie nicht gleich fragen, wie es ihr gehe, denn da waren so viele Leute in der Stube; aber als ich eine Strecke auf das Gehölz zugegangen war, kam sie hinter mir hergelaufen. ›Kajsa,‹ sagte sie, ›bist du kürzlich in Bergskog gewesen?‹ – ›Ich war vorgestern da,‹ sagte ich. – ›Ach, lieber Gott, bist du vorgestern dagewesen, und mir ist, als sei ich schon viele Jahre von Hause fort.‹ Ich wußte nicht recht, was ich zu ihr sagen sollte; sie sah so aus, als könne sie nichts vertragen, sondern würde gleich anfangen zu weinen, was ich auch