Max Liebermann: Gesammelte Schriften. Max Liebermann

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Max Liebermann: Gesammelte Schriften - Max Liebermann


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keine Farbe, alles Ton; das Ganze mehr auf die Leinwand hingehaucht als gemalt.

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      Jozef Israëls Jüdische Hochzeit

      Was ich aber vor allem an ihm liebe, ist sein Temperament. Wenn ich es nicht wüsste, jedes seiner Werke würde es mir sagen, dass er nichts auf der Welt mehr liebt als die Malerei. Nicht mit der behaglichen Liebe des Ehemanns, mit der die Metsu, Mieris oder Dou malen, sondern mit der heißen, ungestümen Leidenschaft des Liebhabers schafft er seine Werke. Trotz seiner Jahre hat er sich die Seele des Jünglings bewahrt. In jedem seiner Bilder ein Ringen, jener Moment im Kampfe mit dem Engel, wo Jakob sagt; „ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Er arbeitet mit höchster Konzentration aller seiner Kraft, während er arbeitet, ganz dabei, alles andere vergessend. „Wie der Handelnde“, nach Nietzsches Ausspruch: „wissenlos. Er vergisst das, was hinter ihm liegt, und kennt nur ein Recht: das Recht dessen, was jetzt werden soll.“ Unzufrieden übermalt er oft in ein paar Stunden das ganze Bild, an dem er monatelang gearbeitet hat, mit größter Rücksichtslosigkeit ganze Stücke, die vollendet waren, opfernd; aber dadurch gibt er dem Bilde jene Frische wieder, die wir an der Skizze bewundern, jene Frische, die durch langes Überarbeiten dem Bilde abhandenkommt und nur durch flüssiges ineinander Malen erzielt werden kann.

      Israëls ist aus den kleinsten Verhältnissen emporgewachsen. Mühevoll musste er sich in Amsterdam, wo er sich nach seinen Wanderjahren festsetzte, mit Porträtmalen seinen Unterhalt verdienen. Auch darin Rembrandt ähnlich, wohnte er im Judenviertel, und oft genug, wenn er an dem Hause vorüberging, in dem sein großer geistiger Vorfahre gewohnt und gearbeitet hatte, wird er sich aus seiner Misere an ihm emporgerichtet haben. Rembrandt wurde sein Erzieher. Wie Rembrandt, so entnimmt Israëls die Anregung zu jedem Bilde, zu jeder flüchtigsten Zeichnung, der Natur. Aber wieder wie Rembrandt kopiert er sie nicht, sondern er verarbeitet sie zum Kunstwerk.

      Je naturalistischer eine Kunst sein will, desto weniger wird sie in ihren Mitteln naturalistisch sein dürfen. Der Darsteller des Wallenstein, der – wie bei den Meiningern – im echten Koller und Reiterstiefeln aus der Zeit auftritt, macht nicht etwa dadurch einen wahren Eindruck: Der Schauspieler muss seine Rolle so spielen, dass wir glauben, er stecke in echtem Koller und Reiterstiefeln. Israëls wirkt naturalistischer als unsre Genremaler, nicht obgleich, sondern weil er weniger naturalistisch malt als sie; was wir umso deutlicher sehen können, als er sich oft im Sujet mit ihnen begegnet. Nehmen wir zum Beispiel die „Salomonische Weisheit“ von Knaus – eins der meist bewunderten, und mit Recht bewunderten Bilder der deutschen Genremalerei – und daneben Israëls' „Ein Sohn des alten Volkes“.

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      Ein Sohn des alten Volkes

      Knaus zeigt uns einen alten Juden, wie er sein Enkelkind in die Geheimnisse des Trödelhandwerks einweiht; köstliche Figuren, jeder kleinste Zug, jede Bewegung der Natur abgelauscht und bis in die feinsten Details wiedergegeben. Bei Israëls dagegen nur eine Figur: ein armer Jude, einfach, ohne jede Bewegung vor seinem Trödelladen sitzend. Das ganze Bild liegt in dem Ausdruck des Kopfes, alles andere durch ein paar Farbenflecken kaum angedeutet. Aber in dem Antlitz des Mannes, der die Hände ineinander gefaltet ruhig dasitzt, verspüren wir den tausendjährigen Schmerz, von dem Heine singt.

      Die deutschen Genremaler illustrieren mehr ihren Gegenstand; sie suchen mehr das Anekdotische, die charakteristische Zufälligkeit. Israëls hingegen unterdrückt alles Detail; er sucht das Typische; statt der verstandesmäßigen Analyse die dichterische Synthese.

      Weil Israëls' Bilder mehr wahr gedacht, als wahr gemacht sind, wirken sie wahrer. Den Beweis für die Wahrheit seiner Kunst kann der Maler nur dadurch erbringen, dass er uns überzeugt. Bis dahin lachen wir ihn aus. Die sprichwörtliche Dummheit des Publikums, einen großen Künstler bei seinem Auftreten verkannt zu haben, besteht in nichts weiter, als dass es eine Sprache nicht verstanden hat, die es noch nicht gelernt hatte. Oft leider ist der Künstler dem Publikum um Generationen voraus: Millet oder Manet haben ihren Ruhm nicht mehr erlebt. Israëls hatte das Glück, schon bei Lebzeiten verstanden zu werden. Freilich drückte er sich in der allgemein verständlichen Sprache des Herzens aus; er schlug die Töne des Gemüts an, die jedem vertraut sind. Seine Popularität verdankt er – wie jeder Künstler – seinen Sujets; seine Berühmtheit aber – und man kann sehr populär sein, ohne berühmt zu sein und umgekehrt – verdankt er seinem Genius.

      Es ist das charakteristische Merkmal des Genies, dass seine Äußerung als notwendig empfunden wird. Israëls' Bilder erscheinen uns heut notwendig: es musste ein Künstler die Schönheiten Hollands, die seit den alten Meistern gleichsam brach lagen, wieder von neuem entdecken.

      Mit Recht hat man Holland das Land der Malerei par excellence genannt, und es ist kein Zufall, dass Rembrandt ein Holländer war. Die Nebel, die aus dem Wasser emporsteigen und alles wie mit einem durchsichtigen Schleier umfluten, verleihen dem Lande das spezifisch Malerische; die wässerige Atmosphäre lässt die Härte der Konturen verschwinden und gibt der Luft den weichen, silbrig-grauen Ton; die grellen Lokalfarben werden gedämpft, die Schwere der Schatten wird aufgelöst durch farbige Reflexe: alles erscheint wie in Licht und Luft gebadet. Dazu die Ebene, die das Auge meilenweit ungehindert schweifen lässt, und die mit ihren Abstufungen vom kräftigsten Grün im Vordergrunde bis zu den zartesten Tönen am Horizont für die Malerei wie geschaffen erscheint. Vielleicht ist Italien an und für sich pittoresker als Holland; aber wir sehen Italien nur noch in mehr oder weniger schlechten – und meistenteils mehr schlechten – italienischen Veduten: Italien ist zu pittoresk. Holland dagegen erscheint auf den ersten Blick langweilig: wir müssen erst seine heimlichen Schönheiten entdecken. In der Intimität liegt seine Schönheit. Und wie das Land so seine Leute; nichts Lautes, keine Pose oder Phrase.

      Mit der ganzen Innerlichkeit seiner Nation und seiner Rasse versenkt sich Israëls in die Natur, dorthin, wo sich die Äußerungen des Gefühlslebens am naivsten zeigen: in das Leben der Armen und Elenden. Wohl mit Voreingenommenheit für sie, aber nicht etwa in tendenziöser Weise wie der politische Parteigänger. Israëls schildert die Mühe und Arbeit wie der Psalmendichter, der das Leben köstlich nennt, wenn es Mühe und Arbeit gewesen. Aus Israëls spricht Versöhnung, etwas von der heiteren Ruhe des Philosophen, der alles verzeiht, weil er alles versteht.

      Nichts liegt Israëls ferner als die Brutalität, und fast sind wir geneigt, in der Epoche von Bismarck und Nietzsche einen gewissen Zusatz von Brutalität für ein notwendiges Ingrediens des Genies zu halten.

      Israëls ist kein Übermensch, und – was heutzutage seltener – er will keiner sein. – Mensch-sein genügt ihm.

      Nichts Harmloseres als die Erlebnisse und Begebenheiten, die er in seinem Buch „Spanien“ erzählt. Der Reiz beruht allein in der Persönlichkeit des Verfassers. Auf die Frage, wie er zu seinem schönen, klaren Stil gekommen, antwortete Goethe: „Ganz einfach; ich ließ die Verhältnisse auf mich wirken und suchte den passendsten Ausdruck, sie darzustellen.“ Israëls' Werke sind – was die Werke eines jeden Künstlers sein sollten – der Reflex seiner Seele. Schlicht und ungeschminkt malt er – ganz unoffiziell, nicht wie „der berühmte Meister“. Die Einfachheit ist sein Stil; er gebraucht nicht zehn Worte, wo er mit einem auskommen kann; die charakteristische ist ihm die schöne Linie; seine Kunst ist dekorativ, aber keine Dekoration. Was er nicht klar auszudrücken vermag, scheint ihm, wie, ich weiß nicht welcher Franzose sagt, nicht klar gedacht zu sein.

      An Möricke schrieb Schwind 1867; „spricht der ganz trocken aus, ein Bild soll gar nichts vorstellen, bloß Malerei – der soll sich wundern, was die in ein paar Jahren für ein Geschmier hervorbringen“.

      Heut nach dreißig Jahren hat sich „das Geschmier“, welches Schwind schaudernd vorahnte, die Welt erobert: die Errungenschaften des Impressionismus sind zum Gemeingut der Malerei geworden. Es soll nicht etwa geleugnet werden, dass der Impressionismus über Israëls hinausging, aber nimmt ihm das auch nur ein Tüpfelchen von seiner Bedeutung? Wäre er – Israëls, wenn Manet ihn hätte beeinflussen können? Liegt nicht in seiner Einseitigkeit dem Impressionismus gegenüber der Beweis für die Kraft seiner Überzeugung?

      Israëls


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