Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Читать онлайн книгу.jene erste Wahrheit mit Ausgeburten des Irrtums und der Verkehrtheit verunreinigt und verdeckt haben. In allen den Mythologien des Irrtums aber seien Spuren jenes Ursprungs und jener ersten Religionslehren der Wahrheit vorhanden und zu erkennen. Der Erforschung der alten Völkergeschichte wird daher wesentlich dies Interesse gegeben, in ihnen so weit aufzusteigen, um bis zu einem Punkte zu gelangen, wo solche Fragmente der ersten geoffenbarten Erkenntnis noch in größerer Reinheit anzutreffen seien. Wir haben diesem Interesse viel Schätzenswertes an Entdeckungen über orientalische Literatur und ein erneuertes Studium der früher schon aufgezeichneten Schätze über altasiatische Zustände, Mythologie, Religionen und Geschichte zu danken. Die Regierung hat sich in gebildeten katholischen Ländern den Anforderungen des Gedankens nicht länger entschlagen und das Bedürfnis gefühlt, sich in einen Bund mit Gelehrsamkeit und Philosophie zu setzen. Beredt und imposant hat der
Abbé Lamenais unter den Kriterien der wahrhaften Religion aufgezählt, dass sie die allgemeine, das heißt katholische, und die älteste sein müsse, und die Kongregation hat in Frankreich eifrig und fleißig dahin gearbeitet, dass dergleichen Behauptungen nicht mehr, wie es wohl sonst genügte, für Kanzeltiraden und Autoritätsversicherungen gelten sollten. Insbesondere hat die so ungeheuer ausgebreitete Religion des Buddha, eines Gottmenschen, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der indische Trimûrtis, wie die chinesische Abstraktion der Dreiheit, war ihrem Inhalte nach für sich klarer. Die Gelehrten, Herr Abel Remusat und Herr Saint Martin, haben in der chinesischen und von dieser aus dann in der mongolischen, und wenn es sein könnte, in der tibetanischen Literatur ihrerseits die verdienstvollsten Untersuchungen angestellt, wie Baron von Eckstein, seinerseits auf seine Weise, das ist mit oberflächlichen aus Deutschland geschöpften naturphilosophischen Vorstellungen und Manieren in Art und Nachahmung
Friedrich von Schlegels, doch geistreicher als dieser, in seinem Journal le Catholique jenem primitiven Katholizismus Vorschub tat, insbesondere aber die Unterstützung der Regierung auch auf die gelehrte Seite der Kongregation hinleitete, dass sie sogar Reisen in den Orient veranstaltete, um daselbst noch verborgene Schätze aufzufinden, aus welchen man sich über die tieferen Lehren, insbesondere das höhere Altertum und die Quellen des Buddhismus weitere Aufschlüsse versprach, und die Sache des Katholizismus durch diesen weiten, aber für die Gelehrten interessanten Umweg zu befördern. [1. Ausg. geringfügig verändert. Wir haben dem Interesse dieser Forschungen sehr viel Schätzenswertes zu danken, aber dieses Forschen zeugt unmittelbar gegen sich selbst, denn es geht darauf, dasjenige erst geschichtlich zu bewähren, was von ihm als ein Geschichtliches vorausgesetzt wird. Sowohl jener Zustand der Gotteserkenntnis, auch sonstiger wissenschaftlicher, z. B. astronomischer Kenntnisse (wie sie den Indern angefabelt worden sind), als auch, dass ein solcher Zustand an der Spitze der Weltgeschichte gestanden habe, oder dass von einem solchen die Religionen der Völker einen traditionellen Ausgangspunkt genommen hätten und durch Ausartung und Verschlechterung (wie in dem roh aufgefassten sogenannten Emanationssystem vorgestellt wird) in der Ausbildung fortgeschritten sein, – alles dieses sind Voraussetzungen, die weder eine historische Begründung haben, noch, indem wir ihrem beliebigen, aus dem subjektiven Meinen hervorgegangenen Ursprung den Begriff entgegenstellen dürfen, je eine solche erlangen können.
Der philosophischen Betrachtung ist es nur angemessen und würdig, die Geschichte da aufzunehmen, wo die Vernünftigkeit in weltliche Existenz zu treten beginnt, nicht wo sie noch erst eine Möglichkeit nur an sich ist, wo ein Zustand vorhanden, in dem sie in Bewusstsein, Willen und Tat auftritt. Die unorganische Existenz des Geistes, die der Freiheit, das ist des Guten und des Bösen und damit der Gesetze, unbewusste Stumpfheit oder, wenn man will, Vortrefflichkeit, ist selbst nicht Gegenstand der Geschichte. Die natürliche und zugleich religiöse Sittlichkeit ist die Familienpietät. Das Sittliche besteht in dieser Gesellschaft eben darin, dass die Mitglieder nicht als Individuen von freiem Willen gegeneinander, nicht als Personen sich verhalten; eben darum ist die Familie in sich dieser Entwicklung entnommen, aus welcher die Geschichte erst entsteht. Tritt die geistige Einheit aber über diesen Kreis der Empfindung und natürlichen Liebe heraus, und gelangt sie zum Bewusstsein der Persönlichkeit, so ist dieser finstere spröde Mittelpunkt vorhanden, in welchem weder Natur noch Geist offen und durchsichtig ist, und für welchen Natur und Geist nur erst durch die Arbeit fernerer und einer in der Zeit sehr fernen Bildung jenes selbstbewusst gewordenen Willens offen und durchsichtig werden können. Das Bewusstsein allein ist ja das Offene und das, für welches Gott und irgendetwas sich offenbaren kann, und in seiner Wahrheit, in seiner an und für sich seienden Allgemeinheit, kann es sich nur dem kundgewordenen Bewusstsein offenbaren. Die Freiheit ist nur das, solche allgemeine substantielle Gegenstände wie das Recht und das Gesetz zu wissen und zu wollen und eine Wirklichkeit hervorzubringen, die ihnen gemäß ist, – den Staat.
Völker können ohne Staat ein langes Leben fortgeführt haben, ehe sie dazu kommen, diese ihre Bestimmung zu erreichen, und darin selbst eine bedeutende Ausbildung nach gewissen Richtungen hin erlangt haben. Diese Vorgeschichte liegt nach dem Angegebenen ohnehin außer unsrem Zweck; es mag darauf eine wirkliche Geschichte gefolgt oder die Völker gar nicht zu einer Staatsbildung gekommen sein. Es ist eine große Entdeckung, wie einer neuen Welt, in der Geschichte, die seit etlichen und zwanzig Jahren über die Sanskritsprache und den Zusammenhang der europäischen Sprachen mit derselben gemacht worden ist. Diese hat insbesondere eine Ansicht über die Verbindung der germanischen Völkerschaften mit den indischen gegeben, eine Ansicht, die so große Sicherheit mit sich führt, als in solchen Materien nur gefordert werden kann. Noch gegenwärtig wissen wir von Völkerschaften, welche kaum eine Gesellschaft, viel weniger einen Staat bilden, aber schon lange als existierend bekannt sind; von anderen, deren gebildeter Zustand uns vornehmlich interessieren muss, reicht die Tradition über die Stiftungsgeschichte ihres Staates hinaus, und viele Veränderungen sind jenseits dieser Epoche mit ihnen vorgegangen. In dem angeführten Zusammenhange der Sprachen so weit auseinanderliegender Völker haben wir ein Resultat vor uns, welches uns die Verbreitung dieser Nationen von Asien aus und die zugleich so disparate Ausbildung einer uranfänglichen Verwandtschaft als ein unwidersprechliches Faktum zeigt, das nicht aus der beliebten räsonierenden Kombination von Umständen und Umständchen hervorgeht, welche die Geschichte mit so vielen für Fakta ausgegebenen Erdichtungen bereichert hat und immerfort bereichern wird. Jenes in sich so weitläufig scheinende Geschehene aber fällt außerhalb der Geschichte: Es ist derselben vorangegangen.
Geschichte vereinigt in unsrer Sprache die objektive sowohl als subjektive Seite und bedeutet ebenso gut die historiam rerum gestarum als die res gestas selbst; sie ist das Geschehene nicht minder wie die Geschichtserzählung. Diese Vereinigung der beiden Bedeutungen müssen wir für höherer Art als für eine bloß äußerliche Zufälligkeit ansehen: es ist dafür zu halten, dass Geschichtserzählung mit eigentlich geschichtlichen Taten und Begebenheiten gleichzeitig erscheine; es ist eine innerliche gemeinsame Grundlage, welche sie zusammen hervortreibt. Familienandenken, patriarchalische Traditionen haben ein Interesse innerhalb der Familie und des Stammes; der gleichförmige Verlauf ihres Zustandes ist kein Gegenstand für die Erinnerung, aber sich unterscheidende Taten oder Wendungen des Schicksals mögen die Mnemosyne zur Fassung solcher Bilder erregen, wie Liebe und religiöse Empfindungen die Phantasie zum Gestalten solchen gestaltlos beginnenden Dranges auffordern. Aber der Staat erst führt einen Inhalt herbei, der für die Prosa der Geschichte nicht nur geeignet ist, sondern sie selbst mit erzeugt. Statt nur subjektiver, für das Bedürfnis des Augenblicks genügender Befehle des Regierens erfordert ein festwerdendes, zum Staate sich erhebendes Gemeinwesen Gebote, Gesetze, allgemeine und allgemeingültige Bestimmungen und erzeugt damit sowohl einen Vortrag als ein Interesse von verständigen, in sich bestimmten und in ihren Resultaten dauernden Taten und Begebenheiten, welchen die Mnemosyne, zum Behuf des perennierenden Zweckes dieser Gestaltung und Beschaffenheit des Staates, die Dauer des Andenkens hinzuzufügen getrieben ist. Die tiefere Empfindung überhaupt, wie die der Liebe, und dann die religiöse Anschauung und deren Gebilde sind an ihnen selbst ganz gegenwärtig und befriedigend, aber die bei ihren vernünftigen Gesetzen und Sitten zugleich äußerliche Existenz des Staates ist eine unvollständige Gegenwart, deren Verstand zu ihrer Integrierung des Bewusstseins der Vergangenheit