Anna Q und die Suche nach Saphira. Norbert Wibben
Читать онлайн книгу.sehen uns morgen Nacht. Falls ich früher kommen soll, ruf mich einfach.«
»Mach ich«, ist die Antwort. Dann leuchtet es kurz bläulich unter dem Gebüsch auf und Anna ist allein. Das Gewitter verzieht sich so schnell, wie es gekommen ist, trotzdem reicht die kurze Zeit für den Weg zur Unterkunft, damit Anna bis auf die Haut nass wird. Im Zimmer überlegt sie kurz, ob sie das geträumt haben kann. Dass das nicht so ist, beweisen ihre nassen Haare und Kleidungsstücke.
Im Schlaf erlebt sie erneut die Begegnung mit Ainoa und Katherin in der Anderswelt. Das freundliche Gesicht der Elfenkönigin, das aber auch die Sorge um Saphira zeigt, geht ihr nicht aus dem Kopf. Beim Aufwachen denkt sie sofort daran, den anstehenden Unterricht zu schwänzen, um schon jetzt mit der Suche nach Schutzmöglichkeiten gegen die bösartigen Kreaturen der Anderswelt zu beginnen. Sie macht sich wie sonst für die Schulstunden fertig, stürmt dann aber nicht in den Speisesaal, sondern zur Bibliothek. Erst als sie an der verschlossenen Türklinke rüttelt, fällt ihr ein, dass der Zutritt erst ab Mittag möglich ist. Niedergeschlagen will sie jetzt doch etwas frühstücken, als ihr Schüler im Flur entgegenkommen. Ohne sie genauer anzuschauen, drängelt sie sich durch den Strom.
»Hallo Anna«, vernimmt sie plötzlich und richtet den Kopf hoch. Die Stimme kommt von …
»Robin!«, ist alles, was sie antwortet, doch sofort überzieht ein Strahlen ihr Gesicht.
»Schaut nur, Robin hat eine Verehrerin!«
»Nein, die ist doch viel zu klein!«
»Trotzdem sieht es ganz danach aus!«
»Guckt mal, jetzt werden beide rot!«
»Dann beruht das offenbar auf Gegenseitigkeit!« Die spöttischen Bemerkungen verklingen langsam, während die Jungen und Mädchen tuschelnd weiterlaufen. Manch eine der Schülerinnen blickt neidisch zu Anna zurück. Was hat die Kleine, was sie nicht hat? Robin schnaubt wütend.
»Blöde Gänse!«, stößt er zwischen schmalen Lippen hervor, um danach freundlich zu lächeln. »Ich freue mich, dich zu treffen. Geht es dir wieder besser?« Das Mädchen legt die Stirn kraus.
»Wieso sollte es nicht? Meinst du, das Getratsche könnte mich ärgern?« Sie blickt fragend in sein Gesicht.
»Du hattest doch gestern Kopfschmerzen. Wie ist es damit?«
»Oh. – Die habe ich glatt vergessen. Viel besser. Genau gesagt, sie sind weg. Danke.«
»Sehen wir uns um drei, in der Bibliothek? Wir könnten vor dem Treffen der neuen Gruppe ein Match spielen, sozusagen zum Aufwärmen.«
Anna überlegt, was er damit meinen könnte. Ihre Gedanken sind noch zu sehr mit der Anderswelt und ihren Gefahren beschäftigt. Dann weiß sie, was er meint.
»Ja, wir sehen uns dort. Jetzt muss ich mich beeilen.« Sie nicken sich zu und stürmen in entgegengesetzte Richtungen durch den Flur.
Der Unterricht zieht sich heute länger hin als sonst, das meint jedenfalls Anna. Sogar der von ihr geliebte Kunstunterricht will und will nicht enden. Als es schließlich so weit ist, blickt sie erstaunt auf das, was sie unbewusst gezeichnet hat. Ein Lächeln zieht ihre Mundwinkel nach oben. Dragon-tan ist wirklich gut wiedergegeben, findet sie. Das Thema des heutigen Unterrichts war, eine Szene aus der Märchenwelt wiederzugeben. Das ist ihr derart gut gelungen, dass die Professorin bei der Abgabe wohlwollend nickt.
»Gute Arbeit. Der Drache wirkt so echt, dass er sich jeden Moment vom Papier erheben kann, um in die Welt hinauszufliegen.«
»Danke!«, murmelt Anna schüchtern und folgt den anderen in die kurze Mittagspause. Im anschließenden Sportunterricht wird im nahegelegenen Fluss geschwommen. Wie sie es vorher erwartet hat, landet sie nur im Mittelfeld des kleinen Turniers, das sie heute durchführen. Brust- oder Rückenschwimmen gelingt ihr nicht so gut, wie das Streckentauchen oder Heraufholen von Ringen.
Endlich ist der vorbestimmte Tagesablauf vorbei und sie kann sich dem widmen, was ihr auf der Seele brennt. Im Laufschritt stürmt sie zur Bibliothek. Sie verharrt kurz vor der Tür, um sich etwas zu beruhigen, und drückt die Klinke langsam hinunter. Im Lesesaal schließt sie den Eingang und schaut sich suchend um. Etwa die Hälfte der Tische werden genutzt, aber im hinteren Bereich, in dem sie mit Robin Schach gespielt hat, sind fünf unbenutzt. Das liegt daran, dass eine neue Absperrung sie für den allgemeinen Zutritt sperrt. Ein Schild hängt an der dicken roten Kordel, die als Sperre genutzt wird. Anna geht langsam darauf zu und liest:
»Der Schachabteilung vorbehalten!«
Ein freudiges Kribbeln überläuft sie. Auf jedem der Tische steht ein Schachbrett, auf dem die Figuren bereits in Position gebracht sind. Professor Morwenna Mulham dreht sich zu ihr um, als sie die Schritte des Mädchens hört. Sofort breitet sich ein Lächeln auf dem Gesicht der Frau aus.
»Hallo Anna. Du bist aber noch zu früh, oder möchtest du ein kleines Match gegen mich wagen?« Damit hätte die Schülerin nicht gerechnet. Eine Erwachsene traut ihr zu, sich in dem Spiel der Könige mit ihr zu messen? Obwohl das verlockend klingt, schüttelt sie den Kopf.
»Vielen Dank für das Angebot. Vielleicht … darf ich später darauf zurückkommen?«
»Gerne. Dann führt dich etwas anderes zu mir! Wie kann ich dir helfen?«
»Ich … nun … Ich bin nicht sicher, ob …?«
»Jetzt mal mit der Ruhe. Du musst keine Angst haben. Alles was du mir anvertraust, bleibt unser Geheimnis, bis du mir dazu etwas Gegenteiliges sagst. Gibt es Probleme mit anderen Schülern, oder …«, sie macht eine kleine Pause. »... oder hast du möglicherweise Heimweh? Du bist erst seit ein paar Wochen hier und könntest deine Eltern vermissen. Ist es das?«
Anna lächelt etwas, holt tief Luft und beginnt mit einem Satz, mit dem die Frau nicht gerechnet hat.
»Ich weiß, wo und weshalb ein Geheimname genutzt wird. Ich habe mit einer Elfe, genauer gesagt mit Katherin, gesprochen. Sie kennt ihren, Frau Professor.« Die Lehrerin und Bibliothekarin steht kurz starr und deutet dann wortlos auf einen Stuhl. Beide setzen sich an den Tisch und blicken auf das Spielbrett, als ob sie gleich ein Match starten wollten.
»Woher … heißt das … du bist in der Anderswelt gewesen?« Schülerin und Professor blicken sich in die Augen. Anna nickt, dann berichtet sie mit leiser Stimme, was ihr in der vergangenen Nacht passiert ist. Beide schweigen. Die Hand der Lehrerin fasst beruhigend die der Schülerin.
»Mir ist das vor vielen Jahren auch passiert.«
»Ich weiß, das hat Katherin mir verraten, als ich fragte, ob ihr Geheimname dort bekannt sei.«
»Du kannst mich gerne duzen und den »Professor« weglassen. Auf die förmliche Anrede verzichte ich bei allen Mitgliedern der Schachgruppe. Bei dir ist das sogar eher angebracht, da wir beide eine Aufgabe in der Anderswelt zu lösen haben. Na ja, ich löste meine vor vielen Jahren. Aber du hast deine noch vor dir, liebe Anna. Dort ist es sehr gefährlich. Wenn ich daran zurückdenke, überläuft mich eine Gänsehaut. – Und du bist noch so klein!«
Dieser Ausspruch wurmt die Schülerin kurzzeitig. Sie will bereits ärgerlich auffahren, als sie sich besinnt. Morwenna hat sie nicht als »Baby« bezeichnet. Sie brachte lediglich ihre Sorge über die dort lauernden Gefahren zum Ausdruck.
»Ich danke ihnen, ähem, dir für deine Fürsorge. Ich bin sicher, du kannst mir einige Tipps geben, wie ich mich dort verhalten muss, um die Aufgabe erfüllen zu können. Außerdem habe ich gehofft, in alten Büchern Hinweise auf die Bestien der Anderswelt zu finden. Besonders natürlich, wie ich mögliche Angriffe abwehren kann.«
Die Professorin blickt sie erstaunt an. Damit hat sie nicht gerechnet. Als sie vor vielen Jahren den Elfen half, ist sie etwa Vierzehn gewesen. Nachdem sie ihnen erfolgreich gegen den Feuerdrachen helfen konnte, ist sie nie wieder dorthin gewechselt. Sie hatte in der Anderswelt zwar mehrere Tage verbracht, sich danach aber voll auf ihren Unterricht konzentriert. Die Schrecken, die sie dort erlebte, wollte sie anschließend nur noch vergessen. Auf die Idee, in den Büchern nach nützlichen