Der Leichenräuber. Robert Louis Stevenson

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Der Leichenräuber - Robert Louis Stevenson


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wie der eine von ihnen das genannt hatte. Dr. Morris ging rasch und kräftig, das weiße Haar ließ ein bleiches, sanftes, wenn auch energisches Antlitz hervortreten. Er war ausgezeichnet gekleidet, der Anzug aus feinstem schwarzem Tuch, die Wäsche blendend weiß; dazu kamen eine große goldene Uhrkette und Manschettenknöpfe und Brille aus dem gleichen kostbaren Material. Um den Hals hatte er einen breiten weiß und lila getupften Schal geschlungen, und über dem Arm hing ihm ein behaglicher, pelzgefütterter Reisemantel.

      Kein Zweifel, er nahm eine seinen Jahren angemessene Stellung ein, und jeder Zug kündete Reichtum und Bedeutung. Es war ein erstaunlicher Kontrast, unseren Saufkumpan - kahlköpfig, schmierig, blatternarbig, in seinem alten Rock - ihm am Fuße der Treppe gegenübertreten zu sehen.

      Martin stand unten an der Treppe und sah den Fremden unverwandt an. Wenn er nichts aus dem Weg ging, musste es gleich zu einem Zusammenstoß kommen.

      Doch der Schotte stand unbeweglich, als wäre er festgewachsen.

      Morris!“ sagte er mit ziemlich lauter Stimme, mehr wie ein Ausrufer als wie ein Freund.

      Der große Arzt blieb unmittelbar auf der vierten Treppenstufe stehen, als ob die Familiarität der Anrede ihn überraschte und in seiner Würde kränkte.

      „Gehen Sie mir aus dem Weg, Mann!“ rief Dr. Morris ärgerlich. „Oder soll ich über Sie hinwegsteigen. Ich habe es eilig, meine Kutsche wartet draußen auf mich. Warum starren Sie mich denn so an? Haben Sie noch nie einen berühmten Arzt gesehen?“.

      „Artur Morris!“ keuchte Martin. „Der berühmte Arzt Artur Morris! Das ich nicht lache.“

      Der Herr aus London taumelte fast.

      „Heute sitzt du auf einem ganz schön hohen Ross. Ich habe Dich gleich erkannt. Aber mich versoffenen Kerl kennst du wohl nicht mehr, was? Sie mich doch an, Morris!“

      „Was wollen Sie von mir?“ zischte Dr. Morris. „Ich habe Sie noch nie gesehen. Sie sind wohl betrunken, dass Sie mich einfach duzen! Gehen Sie mir endlich aus dem Weg! Sie stinken nach Alkohol, dass mir übel wird.“

      „Ich geh dir nicht aus dem Weg, Morris – du weißt auch genau, wer ich bin! Wir haben zusammen studiert. Ich bin…..“

      Nur den Bruchteil einer Sekunde starrte er den Mann vor sich an, blickte sich dann fast ängstlich um und sagte mit erschreckter Flüsterstimme: „Martin! Du!. Ja, erkenne ich dich, alter Bursche. Du bist Martin Baltimore. Siehst ja nicht so aus, als ob es Dir besonders gut ginge.“

      „Ja,“ sagte der andere, „ich. Dachtest du, ich wäre auch tot? Unsere Bekanntschaft endet nicht so leicht.“

      „Still, still!“ rief der Doktor, „still, still! Diese Begegnung ist so unerwartet - ich verstehe, dass du die Fassung verloren hast.

      Im ersten Augenblick erkannte ich dich kaum, weißt du. Aber ich bin entzückt, einfach entzückt über diesen Zufall. Zunächst muss es allerdings bei einem, wie geht's und Lebewohl verbleiben, denn mein Wagen wartet und ich darf den Zug nicht versäumen.

      Aber du - lass mich überlegen ja - du wirst mir deine Adresse aufschreiben - und du kannst bestimmt sehr bald auf eine Nachricht von mir rechnen.

      Wir müssen etwas für dich tun, Martin. Ich fürchte, du befindest dich nicht in guten Verhältnissen, aber um der schönen alten Zeiten willen, wie wir einst beim Essen sangen, muss dagegen etwas geschehen.“

      Schneeweiß im Gesicht schrie Martin „Geld!. Geld von dir! Das Geld, das ich von dir bekam, liegt noch immer dort, wo ich's im Regen hinschmiss. Von einem Mörder nehme ich keinen Groschen, Artur!“

      Dr. Morris hatte in einem etwas verlegenen und vertraulichen Ton gesprochen, aber die ungewöhnliche Energie dieser Zurückweisung stürzte ihn wieder in Verwirrung. Ein furchtbarer, böser Ausdruck kam und ging über sein fast ehrwürdiges Gesicht.

      „Mein lieber Junge,“ sagte er, „halte das ganz wie du magst. Ich hatte nicht die leiseste Absicht, dich zu beleidigen. Ich dränge mich niemandem auf. Ich werde dir meine Adresse geben, jedoch-“

      „Ich will nicht nein, ich wünsche nicht das Dach zu kennen, was dich schützt!“ unterbrach der andere. „Ich hörte deinen Namen. Ich fürchtete, du könntest es sein. Ich wollte wissen, ob es trotz allem einen Gott gäbe. Jetzt weiß ich, es gibt keinen. Scher' dich fort und lass dich nie mehr sehen. Es wäre gefährlich für dich. Denn ich könnte auch jetzt mich noch dafür rächen, was du mir angetan hast!“

      Er stand noch immer mitten auf dem Teppich zwilchen Treppe und Haustor. Der große Londoner Arzt wäre gezwungen gewesen, zur Seite zu treten, um vorbei zu kommen. Es war klar, dass er bei dem Gedanken an diese Demütigung zögerte. Kreideweiß, wie er dastand, kam ein gefährliches Funkeln in seine Augen.

      Aber während er noch unentschieden zögerte, bemerkte er, dass der Kutscher auf seinem Wagen von der Straße aus diese etwas ungewöhnliche Szene beobachtete, und gleichzeitig fing er auch die Blicke unserer kleinen, in der Ecke der Schenke zusammengedrängten Gefolgschaft auf.

      Die Gegenwart so zahlreicher Zeugen bestimmte ihn zu sofortiger Flucht. Er kauerte sich zusammen, schmiegte sich eng an die Täfelung und machte einen Sprung wie eine Schlange, um den Ausgang zu gewinnen. Aber seine Prüfung war noch immer nicht zu Ende, denn im Moment, als er vorbeischlüpfen wollte, ergriff ihn Martin beim Arm, und flüsternd und doch peinlich deutlich kamen folgende Worte heraus: „Hast du es wieder gesehen?“

      Der große, reiche Londoner Doktor stieß einen scharfen, erstickten Schrei aus, schleuderte den Frager quer über den offenen Platz und floh mit hocherhobenen Händen wie ein ertappter Dieb zur offenen Tür hinaus. Ehe noch einer von uns eine Bewegung machen konnte, ratterte die Kutsche bereits zum Bahnhof.

      Wie ein Traum war das Schauspiel vorübergezogen, aber der Traum hatte Beweise und Spuren seines Vorübergehens hinterlassen.

      Am nächsten Tage fand der Hausknecht die schöne, goldene Brille zerbrochen auf der Türschwelle, und am gleichen Abend noch standen wir alle atemlos an dem Gasthausfenster, neben uns Martin, nüchtern, bleich und mit entschiedenem Ausdruck.

      „Gott schütze uns, Herr Martin“, sagte der Wirt, der zuerst wieder seine Fassung gewann.

      „Was in aller Welt hat das zu bedeuten? Das sind seltsame Dinge, die Sie da gesprochen haben.“

      Martin wandte sich uns wieder zu, blickte jedem von uns der Reihe nach ins Gesicht uns sagte:

      „Seht zu, dass Ihr den Mund haltet! Dieses Mannes Morris Weg kreuzt man nicht ohne Gefahr. Alle, die das einmal getan haben, haben es zu spät bereut.“

      Und dann, ohne auch nur sein drittes Glas zu leeren, geschweige denn auf die beiden anderen zu warten, bot er uns ,Gute Nacht' und schritt hinaus unter der Laterne des Wirtshauses in die dunkle Nacht.

      Wir drei kehrten auf unsere Plätze in der Wirtsstube zu dem großen roten Feuer und den vier hellen Kerzen zurück.

      Und als wir dann noch einmal alles, was sich ereignet hatte, durchsprachen, verwandelte sich der erste Schauer der Überraschung in brennende Neugier.

      Noch lange saßen wir so. Es war die längste Sitzung, die ich in „Schwarzen Wolf“ erlebt habe.

      Bevor wir auseinander gingen, hatte jeder Einzelne seine bestimmte Theorie, die er sich anheischig machte, zu beweisen. Und niemand von uns hatte etwas Dringenderes auf dieser WeIt zu tun, als der Vergangenheit unseres verurteilten Kameraden nachzuspüren und das Geheimnis aufzudecken, das ihn mit dem großen Londoner Doktor verband.

      ***

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