20.000 Meilen unter dem Meer - Band 1. Jules Verne

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20.000 Meilen unter dem Meer - Band 1 - Jules Verne


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Sammlungen zu New-York an und meine Abreise nach Frankreich war auf Anfang Mai festgesetzt. Ich beschäftigte mich eben damit, inzwischen meine mineralogischen, botanischen und zoologischen Schätze zu ordnen, als der Unfall des Scotia sich begab.

      Ich war über die Tagesfrage vollständig in Kenntniß gesetzt. Ich hatte alle amerikanischen und europäischen Journale gelesen und abermals gelesen, und war dadurch nicht weiter gekommen. Das Geheimnißvolle machte mir zu schaffen. Bei der Unmöglichkeit, mir eine Meinung zu bilden, schwankte ich von einem Extrem zum andern. Daß etwas daran war, konnte nicht mehr zweifelhaft sein, und die Ungläubigen waren eingeladen, ihren Finger auf die Wunde des Scotia zu legen.

      Bei meiner Ankunft zu New-York war die Frage brennend. Die Hypothese einer schwimmenden Insel, einer unerreichbaren Klippe, welche von einigen urtheilsunfähigen Köpfen aufgebracht worden, war bereits aufgegeben. Und in der That, sofern nicht solch' eine Klippe eine Maschine im Leib hatte, wie konnte sie so reißend schnell die Stelle wechseln.

      Ebenso wurde der Gedanke an einen herumschwimmenden Schiffsrumpf aufgegeben, gleichfalls wegen der Schnelligkeit, womit der Gegenstand seinen Platz wechselte.

      Es blieben also noch zwei mögliche Lösungen der Frage, welche beide Anhänger fanden: Die Einen hielten den Gegenstand für ein Ungeheuer von kolossaler Kraft; die Anderen für ein unterseeisches Fahrzeug von außerordentlicher Bewegkraft.

      Diese letzte Annahme, obwohl statthaft, konnte doch nach den in beiden Welttheilen angestellten Untersuchungen nicht festgehalten werden. Daß ein einzelner Privatmann eine solche Maschine zur Verfügung habe, war unwahrscheinlich. Wie hätte deren Verfertigung geheim bleiben können?

      Nur eine Regierung konnte im Besitz einer solchen Zerstörungsmaschine sein, und in dieser unheilvollen Zeit, wo der Mensch sich's angelegen sein läßt, die Macht der Kriegswaffen zu verstärken, war es möglich, daß ein Staat ohne Wissen des andern mit einer solchen fürchterlichen Maschine einen Versuch machte. Auf die Chassepots folgten die Torpedo's, auf die Torpedo's die unterseeischen Sturmböcke, hernach – die Reaction.

      Aber diese Idee einer Kriegsmaschine mußte gegenüber den Erklärungen der Regierungen fallen gelassen werden. Da es sich hier um ein allgemeines öffentliches Interesse handelte, da der überseeische Verkehr darunter litt, so ließ sich die Ehrlichkeit der Regierungen nicht in Zweifel ziehen. Zudem konnte man nicht annehmen, daß der Bau eines solchen unterseeischen Fahrzeugs dem Publicum verborgen geblieben wäre. Unter solchen Umständen das Geheimniß zu bewahren, ist schon für einen Privatmann schwer, und für einen Staat, dessen Handlungen von den rivalisirenden Mächten unablässig überwacht werden, vollends unmöglich.

      Also wurde nach den in England, Frankreich, Rußland, Preußen, Spanien, Italien, Amerika, selbst in der Türkei angestellten Nachforschungen die Hypothese eines unterseeischen Monitors definitiv aufgegeben.

      Es bekam also die Idee eines »Ungeheuers« die Oberhand, trotz den unablässigen Späßen, womit die kleine Presse sie verfolgte; und auf diesem Wege ließ sich die Phantasie bald zu den lächerlichsten Träumen einer phantastischen Ichthyologie verleiten.

      Bei meiner Ankunft zu New-York erwiesen mir manche Männer die Ehre, mich über die fragliche Erscheinung um meine Ansicht zu ersuchen. Ich hatte in Frankreich einen zweibändigen Quartanten unter dem Titel: »Die Geheimnisse der großen unterseeischen Tiefe«, erscheinen lassen. Dieses besonders von der gelehrten Welt gut aufgenommene Buch machte aus mir eine Specialität in diesem noch ziemlich unklaren Theil der Naturwissenschaft. Es wurde mein Gutachten begehrt. So lange ich die Wirklichkeit des Thatsächlichen in Abrede stellen konnte, verhielt ich mich durchaus verneinend. Aber bald mußte ich, auf's Aeußerste gedrängt, mich kategorisch erklären. Und sogar wurde der »ehrenwerthe Pierre Arronax, Professor am Museum zu Paris,« vom New-York Herald öffentlich aufgefordert, irgend eine Ansicht über die Sache zu formuliren.

      Ich machte mich daran. Ich sprach, weil ich nicht mehr schweigen konnte. Ich erörterte die Frage von allen Seiten, politisch und wissenschaftlich, und gebe hier den Auszug eines sehr umfangreichen Artikels, den ich unter'm 30. April veröffentlichte.

      »Also, sagte ich, nachdem ich der Reihe nach die verschiedenen Hypothesen einer Prüfung unterzogen, muß man jede andere Annahme verwerfen und nothwendig die Existenz eines Seethieres von außerordentlicher Kraft gelten lassen.

      »Die großen Tiefen des Oceans sind uns völlig unbekannt; die Sonde hat sie nicht erreichen können. Was geht in diesen entlegenen Tiefen vor? Was für Geschöpfe leben zwölf- bis fünfzehntausend Meilen unter der Meeresoberfläche, oder können da leben? Wie sind diese Thiere organisirt? Darüber kann man kaum eine Vermuthung aufstellen.

      »Jedoch kann die Lösung des mir vorgelegten Problems die Form eines Dilemma annehmen.

      »Entweder wir kennen alle verschiedenen Gattungen von Geschöpfen, welche unsern Planeten bevölkern, oder wir kennen sie nicht.

      »Wenn wir sie nicht alle kennen, wenn die Natur in der Ichthyologie noch Dinge enthält, welche für uns Geheimnisse sind, so darf man wohl die Existenz von Fischen oder Seesäugethieren, neuen Arten oder selbst Gattungen, von einer ihnen eigentümlichen Organisation annehmen, welche die von der Sonde unerreichbaren Schichten bewohnen, und durch irgend ein Ereigniß, eine Grille, Laune, wenn man will, in langen Zwischenräumen zu dem Niveau der Oberfläche des Oceans heraufgeführt werden.

      »Kennen wir dagegen alle lebenden Gattungen, so muß man nothwendig das fragliche Thier unter den bereits aufgenommenen Seegeschöpfen suchen, und in diesem Fall wäre ich geneigt, die Existenz eines Riesen-Narwals anzunehmen.

      »Der gemeine Narwal, oder das See-Einhorn, erreicht oft eine Länge von sechzig Fuß. Nehmen wir diese Dimension fünffach, selbst zehnfach, geben wir diesem Thier eine seiner Größe entsprechende Kraft, verstärken wir seine Angriffswaffen, so haben wir das vorausgesetzte Ungeheuer, welches im Stande wäre, den Scotia anzubohren und den Rumpf eines Dampfbootes anzutasten.

      »In der That hat der Narwal zur Waffe eine Art Degen von Elfenbein, eine Hellebarde, wie einige Naturforscher sich ausdrücken. Es ist ein Hauptzahn von der Härte des Stahles. Man hat solche Zähne in den Körpern von Wallfischen gebohrt gefunden, welche der Narwal beständig mit Erfolg angreift. Andere sind mit Mühe aus Schiffskielen gezogen worden, welche sie durch und durch gebohrt hatten. Das Museum der Naturgeschichte zu Paris besitzt ein solches Horn, das zwei Meter fünfundzwanzig Centimeter lang und an seiner Basis achtundvierzig Centimeter stark ist!

      »Nun! Nehmen wir diese Waffe zehnmal so stark an, das Thier zehnmal kräftiger, lassen wir es mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde hinschießen, multipliciren wir seine Masse mit seiner Geschwindigkeit, so haben wir einen Stoß, der eine Katastrophe, wie die gedachte, hervorbringen kann.

      »Demnach, bis auf weitere Information, möchte ich meine Vermuthung auf ein See-Einhorn von kolossalen Dimensionen richten, welches nicht sowohl mit einer Hellebarde, als mit einem wirklichen Sporn bewaffnet ist, wie ihn die Panzerfregatten haben, denen es etwa an Umfang und Bewegungskraft gleich käme.

      »So würde das unerklärliche Phänomen seine Erklärung finden – sofern nicht etwa nichts daran ist, trotz dem, was man gesehen und vermuthet hat – was auch möglich ist!«

      Diese letzteren Worte waren meinerseits eine Feigheit; ich wollte bis auf einen gewissen Grad meine Professorenwürde wahren, und nicht den Amerikanern zum Lachen preisgeben, denn die lachen tüchtig, wenn sie lachen. Ich wollte nur eine Hinterthüre offen halten. Im Grunde ließ ich die Existenz des »Ungeheuers« gelten.

      Mein Artikel wurde warm besprochen und fand großen Beifall, gewann sich eine Anzahl Anhänger. Die Lösung, welche er vorschlug, ließ übrigens der Phantasie freien Spielraum. Der menschliche Geist hat Gefallen an solchen großartigen Begriffen übernatürlicher Wesen.

      Das Meer ist gerade das beste Element, der einzige Ort, wo solche Riesen – neben welchen die Elephanten und Rhinocerosse nur Zwerge sind – entstehen und sich entwickeln können! Die Massen des Oceans enthalten die größten Gattungen bekannter Seesäugethiere, und vielleicht bergen sie in ihren Tiefen noch manche Mollusken und Schaalthiere von erschrecklichem Aussehen. Vormals,


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