Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness:. Joseph Conrad

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Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness: - Joseph Conrad


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gezahlt wurden, gingen nach Manila. Es war wie ein Irrsinn. Der Bursche Massy war davon ganz am Anfang gepackt worden, wie die anderen auch; nachdem er aber erst einmal gewonnen hatte, schien er überzeugt zu sein, er brauchte es nur noch einmal zu versuchen, um noch einen Haupttreffer zu machen. Seither hatte er für jede Ziehung Dutzende und aber Dutzende von Losen gekauft. Infolge dieses Lasters und seiner geschäftlichen Unkenntnis war er seit dem Kauf des Dampfers in ständiger Geldverlegenheit gewesen.

      Dies war nach Kapitän Eliotts Meinung eine Gelegenheit für einen vernünftigen Seemann mit ein paar Pfund in der Tasche, herzugehen und den Narren vor den Folgen seiner Narrheit zu retten. Es war seine Schrulle, mit seinen Kapitänen Streit zu suchen. Er hatte ein paar wirklich tüchtige Leute gehabt, die nur zu gern geblieben wären, hätte er sie bloß gelassen. Aber nein. Er schien zu glauben, dass er nicht der Reeder sei, wenn er nicht frühmorgens jemand hinauswarf und abends mit dem Neuen einen Streit hatte. Was er brauchte, das war ein Schiffer, der sich mit ein paar hundert Pfund an dem Schiff beteiligen würde. Man entlässt keinen Menschen ohne Grund, einfach nur des Spaßes halber, ihm sagen zu können, er solle seinen Kram packen und sich an Land scheren, wenn man weiß, dass man dann seinen Anteil auszuzahlen hat. Andrerseits ist es nicht wahrscheinlich, dass ein Mensch, der am Schiff beteiligt ist, im Zorn wegen eines Nichts seinen Posten aufgeben würde. Er habe das Massy gesagt, habe gesagt: „‚Das geht nicht, Herr Massy. Wir im Seeamt sind Ihrer ziemlich überdrüssig. Nun bleibt Ihnen nichts, als einen Seemann als Teilhaber zu finden. Das scheint mir der einzige Weg.’ Und das war kein schlechter Rat, Harry.“

       Kapitän Whalley stand reglos auf seinen Stock gestützt, seine Hand, die den Bart hatte streichen wollen, war zu festem Griff angehalten worden. – Und was habe der Bursche dazu gesagt? Der Bursche habe die Frechheit gehabt, auf den Arsenaldirektor loszufahren. Er habe den Rat in unverschämtester Weise aufgenommen. „Ich bin nicht hierher gekommen, um mich auslachen zu lassen“, habe er gebrüllt. „Ich wende mich an Sie als Engländer und Reeder, der durch eine ungesetzliche Verschwörung Ihrer verdammten Seeleute an den Rand des Ruins gebracht worden ist – und alles, was Sie sich herbeilassen, für mich zu tun, ist, dass Sie mir sagen, ich sollte mir einen Teilhaber suchen...“ Der Bursche habe sich nicht entblödet, vor Wut auf den Boden des Privatkontors zu stampfen. Wo sollte er einen Teilhaber hernehmen? Hielt man ihn zum Narren? Kein einziger von der verwünschten Horde dort im ‚Heim’ habe auch nur ein Zweipencestück in der Tasche. Das wusste noch der letzte der Eingeborenendiebe in den Bazars... „Und es stimmt ja allerdings, Harry“, brummte Kapitän Eliott nachdenklich. „Bei jedem einzelnen von ihnen ist es eher wahrscheinlich, dass er einem der Chinesen in Denham Road für die Kleider am Leibe Geld schuldet. ‚Nun’, sagte ich, ‚Sie machen für meinen Geschmack zuviel Lärm deswegen, Herr Massy. Guten Morgen.’ Er schlug die Tür hinter sich zu; er wagte es, meine Tür zuzuschlagen. Gott strafe seine Frechheit!“

      Das Oberhaupt der Seeabteilung war atemlos vor Entrüstung. Dann sammelte er sich wieder: „Bei alledem werde ich noch zu spät zu Tisch kommen... schwätze da mit dir... die Frau hat es nicht gern.“

      Er kletterte schwerfällig in den Sitz, lehnte sich dann seitlich vor und begann sich dabei erst mit etwas gemachter Herzlichkeit zu erkundigen, was denn wohl in aller Welt Kapitän Whalley in letzter Zeit angefangen habe. Sie hätten sich ja Jahre und Jahre nicht gesehen, bis da neulich, wo Whalley so unerwartet im Amt aufgetaucht sei. Was in aller Welt...

      Kapitän Whalley schien still vor sich in seinen weißen Bart hineinzulächeln.

      „Die Erde ist groß“, sagte er obenhin.

       Der andere starrte von seinem Wagensitz rings in die Runde, als wollte er die Behauptung prüfen. Die Esplanade lag ganz still. Nur von weit, ganz weit weg, weit an der Küste hinauf, kam über die weiten Rasenflächen und die langen Baumreihen weg das schwache Tuten des Straßenbahnwagens, der eben von dem leeren Säulenvorbau der öffentlichen Bücherei abfuhr, um die drei Meilen bis zu den neuen Hafendocks zu durchlaufen.

      „Scheint doch nicht gar so viel Raum darin zu sein“, knurrte der Arsenaldirektor, „da diese Deutschen sich uns auf Schritt und Tritt in den Weg stellen. Das war zu unserer Zeit nicht so.“ Er verfiel in tiefes Sinnen und atmete dabei geräuschvoll, als schlummerte er mit offenen Augen. Vielleicht hatte auch er in der schweigsamen, pilgerhaften Gestalt, die still wie ein rastender Wanderer neben dem Rade stand, verschwommen die Stimme des jungen „KONDOR“-Kapitäns entdeckt. Guter Junge – Harry Whalley – niemals sehr gesprächig. Man wusste nie, wo er hinauswollte – gern ein bisschen großartig gegen einflussreiche Leute und geneigt, manche Andeutung falsch aufzufassen. Hatte wohl eine zu hohe Meinung von sich selbst. Er hätte ihn gern aufgefordert, einzusteigen und mit zum Abendessen zu fahren. Aber man wusste ja nie... die Frau hatte es vielleicht nicht gern.

      „Und es ist spaßig zu denken, Harry“, fuhr er mit seinem tiefen, halblauten Gebrumm fort, „dass von all den Leuten nur du und ich übrig sein sollen, um uns an dieses Stück Welt erinnern zu können, wie es einmal war...“ Er schien bereit, sich einer weichen Stimmung hinzugeben; doch da fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf, dass Kapitän Whalley immer noch ohne eine Regung und ohne ein Wort dastand, etwas zu erwarten schien, vielleicht damit rechnete... Er zog sofort die Zügel an und bellte mit gemachter Herzlichkeit: „Ja, mein lieber Junge, die Männer, die wir gekannt – die Schiffe, die wir gesegelt, ach ja, und die Dinge, die wir getan haben...“ Das Pony sprang an, der Sais machte einen Satz zur Seite. Kapitän Whalley hob den Arm.

      „Leb wohl.“

      * * *

      VI

       VI

       Die Sonne war untergegangen. Und als Kapitän Whalley, nachdem er mit seinem Stock ein tiefes Loch in den Sand gebohrt hatte, sich zum Weitergehen anschickte, hatte die Nacht ihre Schattenheere unter den Bäumen versammelt. Sie erfüllten die östlichen Enden der Alleen, als warteten sie nur auf das Signal für einen allgemeinen Vormarsch über die offenen Räume der Welt; sie sammelten sich auch tief unten, zwischen den von Mauern eingefassten Ufern des Kanals. Die malaiische Prau, unter den Bogen der Brücke halb verborgen, hatte ihre Lage um keinen Viertelzoll verändert. Kapitän Whalley starrte lange über die Brüstung hinunter, bis ihm schließlich das unbewegliche Schwimmen des verhüllten Dings dort unten unheimlich und unfaßbar erschien. Das letzte Zwielicht verging am Himmel; sein Widerschein verließ die Welt, und die Wasser des Kanals schienen zu flüssigem Pech zu werden. Kapitän Whalley ging weiter.

      Die Stelle, wo er auf dem Wege zum Hotel rechts abbiegen musste, lag wenige Schritte entfernt. Er blieb abermals stehen (alle die Häuser auf der Seeseite waren verschlossen, die Quais verlassen, bis auf ein oder zwei Eingeborene, die man in der Ferne dahingehen sah) und begann den Betrag seiner Rechnung zusammenzuzählen. Soundso viel Tage im Hotel, und soundso viel Pfund für den Tag. Um die Tage zu zählen, benutzte er seine Finger; die andere Hand hielt er in der Tasche und klapperte darin mit einigen Silbermünzen. Das ging noch für drei Tage; und dann musste er, wenn sich nichts ergab, die Fünfhundert angreifen – Ivys Geld, das in ihrem Vater angelegt war. Ihm schien es, als würde er an der ersten Mahlzeit, die von diesem Notpfennig bezahlt werden würde, ersticken müssen – unweigerlich. Vernunft hatte dabei nichts zu sagen. Es war eine Gefühlsfrage. Seine Gefühle hatten ihn nie betrogen.

      Er bog nicht nach rechts ab. Er ging weiter, als gäbe es noch immer ein Schiff auf der Reede, zu dem er sich des Abends hinausrudern lassen konnte. Weiter weg, jenseits der Häuser, auf dem Abhang des indigoblauen Vorgebirges, das die Aussicht über die Quais abschloss, schickte die schlanke Säule eines Fabrikschornsteins ruhig und gerade ihre Rauchwolken in die klare Luft hinauf. Ein Chinese, der zusammengekauert im Heck eines der Sampans saß, die am Ende des Quais tanzten, bemerkte eine winkende Hand. Er sprang auf, rollte schnell seinen Zopf um den Kopf, zog sich mit zwei raschen Bewegungen seine weiten, dunklen Hosen hoch über die gelben Hüften und brachte mit einer einzigen, lautlosen, floßenartigen Bewegung der Ruder den Sampan längsseits der Stufen, mit der Leichtigkeit und Genauigkeit eines schwimmenden Fisches.

       „SOFALA“, sagte Kapitän Whalley von oben; und der Chinese, wohl eben erst zugewandert, sah mit gespannter Aufmerksamkeit hinauf, als wartete


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