Prozess gegen Jesus. Walter Brendel

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Prozess gegen Jesus - Walter Brendel


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eine neue Weltreligion, das Christentum. Auch außerhalb des Christentums wurde Jesus bedeutsam.

      Fassen wir zusammen: Jesus wurde also zwischen 4 und 6 v. Chr. in Nazareth geboren, auch wenn in der christlichen Weihnachtsgeschichte von Bethlehem die Rede ist. In Nazareth wuchs er als erstgeborener Sohn im jüdischen Glauben auf und erlernte den Beruf seines Vaters als Bauhandwerker. Beeinflusst von Johannes dem Täufer weigerte er sich jedoch, eine bodenständige Laufbahn einzuschlagen, und verließ seine Familie, um Wanderprediger zu werden. Seine revolutionäre Auslegung der jüdischen Lehre und seine charismatische Art als Redner ließen ihn zur Gefahr für die jüdische Führungsschicht werden.

      Es ist Sonntag, als Jesus mit seinen Jüngern von Bethanien nach Jerusalem zieht. Kurz vor Bethphage, das ebenfalls auf dem Ölberg liegt, sagt er zu zwei seiner Jünger:

      „Geht in das Dorf, das man von hier aus sieht, und ihr werdet sofort eine angebundene Eselin mit ihrem Jungen finden. Bindet die beiden Tiere los und bringt sie zu mir. Wenn jemand fragt, sagt einfach: ‚Der Herr braucht sie.‘ Er wird sie dann auf der Stelle mit euch gehen lassen“.

      Die Jünger begreifen nicht, dass Jesu Anweisungen mit einer Prophezeiung zu tun haben. Erst später geht ihnen auf, dass dadurch eine Prophezeiung Sacharjas erfüllt wurde. Er hat Gottes verheißenen König bei seinem Einzug in Jerusalem wie folgt beschrieben: „[Er] ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem jungen Esel, dem Fohlen einer Eselin“.

      Als die Jünger nach Bethphage kommen und den jungen Esel und seine Mutter wegführen wollen, werden sie gefragt: „Was macht ihr da? Warum bindet ihr den jungen Esel los?“. Doch als sie sagen, dass die Tiere für den Herrn sind, dürfen sie sie mitnehmen. Bei Jesus angekommen legen die Jünger ihre Obergewänder auf die beiden Tiere und Jesus setzt sich auf den jungen Esel.

      Jesus zieht auf einem Esel in Jerusalem ein

      Während er auf Jerusalem zureitet, sammeln sich immer mehr Menschen um ihn. Viele breiten ihre Obergewänder auf der Straße aus. Andere schneiden auf den Feldern grüne Zweige ab und breiten sie vor Jesus aus.

      „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“

      Der Anruf „Hosanna“ („Gott, rette doch!“) war bei hohen jüdischen Festen und der Inthronisation eines Königs üblich. „Der kommt im Namen Gottes“ meinte den erwarteten Messias auf dem Thron König Davids, als den die Evangelien Jesus verkündigen. Mit ausgestreuten Palmzweigen, einem antiken Triumphsymbol, feierten Juden ihre Siege über Nichtjuden.

      Jesu Eselsritt sollte zeigen, dass ein machtloser Messias angekündigt wird, der die Kriegswaffen in Israel abschaffen und allen Völkern Frieden gebieten werde. Diese nachexilische Zusage hielt die frühere Verheißung universaler Abrüstung fest, die in Israel beginnen sollte (Schwerter zu Pflugscharen). Sie widersprach also der Erwartung der Bevölkerung an einen Davidnachfolger, die Fremdherrscher zu vertreiben und das Großreich Israel zu erneuern.

      Im damaligen Judentum war die Messiashoffnung mit der Sammlung aller exilierten Juden, gerechten Rechtsprechung im Innern und Befriedung der Völkergemeinschaft verbunden. Einzüge jüdischer Thronanwärter waren jedoch oft Signal für Aufstände. So strebte der Zelot Schimon bar Giora laut Josephus1 um 69 das jüdische Königtum an:

      Josephus beschreibt ihn als einen in Judäa marodieren-den Räuber, Banditen und Mörder, bevor er die Verteidigung der Ringmauer um Jerusalem übernahm. Nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels versteckte er sich in einer Höhle unter dem Tempelberg, wo er versucht haben soll, einen Tunnel durch den Belagerungsring zu graben. Das Unternehmen scheiterte, weil der Fels zu hart gewesen sei. Bar Giora musste sich so den römischen Legionären ergeben, nachdem ihm und seinen Gefährten Nahrung und Wasser ausgegangen waren. Er wurde mit 700 weiteren Gefangenen via Ägypten mit einem Schiff nach Rom transportiert und dort in einem Triumphzug der römischen Bevölkerung vorgeführt.

      Er sei dazu mit seinen Anhängern als charismatischer „Retter und Beschützer“ der Juden triumphal in Jerusalem eingezogen, aber von den Römern in einem Pur-purmantel gefangen, nach Rom überführt und dort hingerichtet worden.

      Auch Jesus weckte messianische Hoffnungen der Landbevölkerung, etwa indem er den Armen den Landbesitz zusagte, seine Heiltaten als anfängliche Realisierung dieser Zusagen erklärte und sich auf dem Weg in die Tempelstadt von Armen als Sohn Davids anreden ließ. Daher bedeutete Jesu Jerusalembesuch zum Pessach eine Konfrontation mit den dortigen Machteliten der Sadduzäer und Römer, bei der ihm das Todesrisiko bewusst gewesen sein muss. Das gewaltlose Messiasbild entspricht für echt gehaltenen Aussagen Jesu: Er sei gekommen, als Menschensohn allen wie ein Sklave zu dienen, um der Unterdrückung durch Gewaltherrscher seine herrschaftsfreie Vertrauensgemeinschaft entgegenzustellen.

      Sozialhistorische Untersuchungen erklären solche Texte aus damaligen Lebensumständen: Juden litten unter Ausbeutung, steuerlichen Abgaben für Rom und den Tempel, täglicher römischer Militärgewalt, Schuldversklavung, Hunger, Epidemien und sozialer Entwurzelung. Manchmal wird die Armentheologie in der ältesten Jesusüberlieferung aus dem Einfluss kynischer Wanderphilosophen erklärt, meist aber aus biblischen, besonders prophetischen Traditionen.

      Wolfgang Stegemann2 zufolge strebten Jesus und seine Anhänger mit ihrer Reich-Gottes-Predigt keine „Aushandlungsprozesse über ein bestimmtes Gesell-schaftsmodell“ an, sondern erwarteten die Durchsetzung einer anderen Ordnung allein von Gott. Ihre Botschaft konnte nur angenommen oder abgelehnt werden. Sie habe die Gottesherrschaft nach dem Modell eines wohltätigen, von Reichen meist vergeblich erwarteten Patronats gegen aktuell erfahrene Herrschaftsformen gestellt. John Dominic Crossan zufolge verbreitete die Jesusbewegung durch „kostenloses Heilen und gemeinsames Essen“, ohne sesshaft zu werden, einen radikalen Egalitarismus. So habe sie die Gottesherrschaft unmittelbar erlebbar werden lassen und die hierarchischen Wertmaßstäbe und Gesellschaftsstrukturen angegriffen, um sie zu entkräften. Ähnlich meint Martin Karrer, Jesus habe eine „subversive“ Bewegung der Abweichler von religiösen und gesellschaftlichen Normen bewirkt.

      Betrachten wir an dieser Stelle zum besseren Verständnis noch die vier Bewegungen, umso besser einen Einblick in das Jerusalem der damaligen Zeit zu gewinnen.

      Pharisäer3

      Pharisäer und Toragelehrte erscheinen in den Evangelien meist als Kritiker des Verhaltens Jesu und seiner Nachfolger. Sie empört seine Sündenvergebung als todeswürdige Anmaßung, sie missbilligen seine Tischgemeinschaft mit als „unrein“ ausgegrenzten „Zöllnern und Sündern“ und das Feiern seiner Jünger, so dass sie ihn stereotyp als „Fresser und Weinsäufer“ verachten. Besonders Jesu demonstrative Sabbatheilungen und Erlaubnis zum Sabbatbruch provozieren ihre Feindschaft. So planen sie darum zusammen mit Herodesanhängern seinen Tod. Vorsätzlicher Sabbatbruch war durch Steinigung zu ahnden.

      Jesus begründete das Ährensammeln seiner Jünger am Sabbat als biblisch erlaubte Gebotsübertretung bei akuter Hungersnot. Er ergänzte damit die damals diskutierten Ausnahmen vom Sabbatgebot zur Lebensrettung. Die Pharisäer luden Jesus zum Essen in ihre Häuser ein und interessierten sich dabei für seine Lehre. Auch in der Erwartung des Reiches Gottes und einer Auferstehung aller Toten stimmten die Pharisäer mit Jesus überein. Sie warnten und retteten ihn vor Nachstellungen des Herodes. Ein Pharisäer sorgte für Jesu Bestattung.

      Viele Forscher nehmen heute an, dass Jesus den Pharisäern unter damaligen Juden am nächsten stand. Dass sie dennoch zu seinen Gegnern stilisiert wurden, wird aus der Situation nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 erklärt: Danach übernahmen Pharisäer die Führungsrolle im Judentum. Juden und Christen grenzten sich verstärkt voneinander ab und legitimierten dies wechselseitig in ihren damals entstandenen Schriften.

      Herodianer

      Der von Rom eingesetzte Vasallenkönig Herodes der Große war vielen Juden als aus Idumäa stammender „Halbjude“ verhasst. Gegen die hohen Steuerauflagen für seine Palast- und Tempelbauten kam es zu Aufständen.


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