Stine. Theodor Fontane

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Stine - Theodor Fontane


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bekannt machen?« fragte jetzt Sarastro verbindlich und mit anscheinend ernstester Miene. »Mein Neffe Waldemar« (dieser verbeugte sich), »Frau Pauline Pittelkow geborene Rehbein, Fräulein Ernestine Rehbein, Fräulein Wanda Grützmacher. Einer Vorstellung unseres Freundes Papageno bedarf es nicht; er genießt des Vorzuges, allen Anwesenden bekannt zu sein.«

      In der Art, wie diese Vorstellung von den drei Damen aufgenommen wurde, zeigte sich durchaus die Verschiedenheit ihrer Charaktere: Wanda fand alles in der Ordnung, Pauline brummte was von Unsinn und Afferei vor sich hin, und nur Stine, das Verletzende der Komödie herausfühlend, wurde rot.

      »Hat Borchardt geschickt?«

      »Versteht sich, hat er...«

      »Nun, dann bitt ich also...«

      Der ungewöhnliche Bestimmtheitston, in dem das alles von seiten Sarastros gesagt wurde, verschnupfte die Pittelkow nicht wenig, sie hielt es aber für angemessen, ihren Ärger darüber auf andere Zeit zu vertagen, und ging mit Stine hinaus, um den schon vorher gedeckten Tisch aus dem Hinterzimmer in das Vorderzimmer zu tragen.

      Inzwischen war der alte Graf, der sehr feine Nerven hatte, durch die Feuerlilien und ihren Geruch heftig inkommodiert worden; er nahm sie darum ohne weiteres aus dem Bouquet, öffnete das Fenster und warf sie hinaus. »Ein mir unerträglicher Geruch; halb Kirchhof, halb Pfarrgarten. Und von beiden halt ich nicht viel.«

      Ehe fünf Minuten um waren, war die Tafelrunde geschlossen. Alle saßen an einem ovalen Tisch: obenan der alte Graf, neben ihm Wanda und Stine, dann Papageno und Waldemar, zuunterst aber, also dem alten Grafen gegenüber, seine Freundin Pauline. Sie saß so, daß sie bei jedem Aufblick in den Trumeau sehen mußte, was den alten Grafen, als er es merkte, zu dem halb scherzhaften, halb huldigenden Zuruf »Ehre, dem Ehre gebührt!« veranlaßte. Die Pittelkow aber gefiel sich heute in Ablehnung solcher Huldigungen und sagte: »Jott, Ehre! Mir ist nichts jräßlicher als immer meine Visage sehn.«

      »Dann bitt ich meine schöne Freundin, ihren Augenaufschlag etwas niedriger zu richten; sie sieht dann mich

      Das erheiterte sie. »Da bin ich doch lieber fürs Gewesene. Da bin ich doch noch lieber für mich.«

      Sarastro und Papageno waren entzückt und tranken ihrer schwarzen Freundin zu.

      »Immer dieselbe«, sagte Sarastro. »Nicht wahr, Fräulein Wanda?«

      Diese stimmte zu, schon einfach, weil sie mußte, begann aber doch an ihrer Rose zu zupfen, zum Zeichen, daß sie nicht hergekommen sei, sich vor den Triumphwagen der Witwe Pittelkow zu spannen. Dann lehnte sie sich zurück und sah nach der »Tellskapelle«.

      Papageno trug dieser Stimmung Rechnung und kam der Künstlerin, die durchaus versöhnt werden mußte, mit einem Kunstgespräch entgegen, was sich um so eher tun ließ, als auch der alte Graf an allem Theaterklatsch einen ehrlichen Anteil nahm und keinen Unterschied machte, gleichviel ob sich's um die Lucca oder Patti oder um die letzte Choristin in der »Fledermaus« handelte.

      »Meine Gnädigste«, begann Papageno, »was dürfen wir demnächst an Neuigkeiten auf Ihrem Kunstinstitut erwarten?«

      »Unser Alter«, erwiderte Wanda, »will es mit einem Ausstattungsstück versuchen. Er meint, es sei noch das einzige...«

      »Da hat er recht. Ist es eine Reise nach dem Mond oder in den Mittelpunkt der Erde?«

      »Hoffentlich das letztere«, warf der alte Graf ein. »Ich bin für Mittelpunkte.«

      Wanda lächelte. Das Eis war gebrochen, und es wurde ihr von diesem Augenblick an einigermaßen schwer, in einem öden, weil wenigstens zunächst noch unpersönlich verbleibenden Kunstgespräch weiter fortzufahren. Sie bezwang sich aber und sagte, während sie nur dann und wann den alten Grafen verständnisvoll streifte: »Wegen Beschaffung eines Textes hat sich der Alte natürlich kein graues Haar wachsen lassen. Er bleibt bei seiner Abneigung, für Dinge zu zahlen, die man umsonst haben kann, und glaubt, wie mein Kollege Pöltrig sagt, der übrigens studiert hat, anstandslos in das Gebiet der Dichtung übergreifen zu können. Unser Alter ist überhaupt der Mann der Übergriffe, woran ich immer nur mit Unwillen denken kann.«

      »Empörend«, sagte der alte Graf. »Übrigens ahn ich bereits, an welche Tür er geklopft haben wird. Wohl zu verstehen: an welche Dichtertür. Ich wette zehn gegen eins: Shakespeare...«

      »Der Herr Graf treffen immer ins Schwarze. Ja, das ›Wintermärchen‹, und mir ist die Hauptrolle zugefallen, die der Hermióne, von der ich vorläufig nur weiß, daß ich eine ganze Szene lang auf einem Postamente stehe, ganz schmucklos, aber doch was Weißes um.«

      Sarastro lächelte. »Diese Besetzung der Rolle kann niemand überraschen, und Sie, mein gnädigstes Fräulein, wenn Sie nicht blind gegen Ihre so deutlich hervortretenden Gaben und Vorzüge sind, am wenigsten. Die Natur hat Sie zu glücklich ausgestattet, als daß das Marmorbräutliche, das hier beinahe ausschließlich in Frage kommt, an Ihnen vorübergehen konnte. Wenn ich mir Sie so denke, ganz Stein, und mit einem Male durchdringt Sie das warme, pulsierende Leben, alles wogt, und in rötlicher Beleuchtung steigen Sie vom Sockel hernieder, um wieder Mensch unter Menschen zu sein, ein erhabener Gedanke...«

      »Der Herr Graf schmeicheln. Es ist eine Rolle, die durchaus Jugend fordert, ja, mehr als Jugend, ich möchte sagen dürfen, Jugend und Zartheit...«

      »Eigenschaften, die Sie sich in übergroßer Bescheidenheit nur absprechen, um unseres heftigsten Widerspruchs sicher zu sein. Hermióne, soviel mir vorschwebt, ist schon zu Beginn des Stücks Gattin und Mutter, zudem auf Untreue verklagt, Ereignisse, die doch nur ausnahmsweise vor das vierzehnte Lebensjahr fallen. Ich bitte Sie, was heißt jung, und vor allem, was heißt zart. Es wird mit diesem Worte ›zart‹ ein beständiger Mißbrauch getrieben, und alles, was bleich oder schwindsüchtig ist, das ist sicher, als zart bezeichnet zu werden. Eine der vielen Verirrungen unseres modernen Geschmacks. Zart, zart; zart ist etwas Innerliches, Seelisches, das auch innerhalb einer vollsten Formengebung existieren kann. Fragen Sie meinen Neffen. Er reist seit fünf Jahren in Italien umher, namentlich in Kirchen, und kennt, schlecht gerechnet, fünftausend Heilige weiblichen Geschlechts. Und was heilig ist, muß doch auch zart sein. Und nun soll er uns Rede stehen über den Begriff der Zartheit. Ich will seinem bessern Urteile nicht vorgreifen, aber ich wage vorweg die Behauptung, alles, was er von heiligen Cäcilien und Barbaras und selbstverständlich auch von Genovevas, die immer die Hauptsache bleiben, gesehen hat – alle waren Damen von Ihrer Konstitution, meine Gnädigste, Damen, denen alles Mondscheinene fehlte, Damen in schwarzem Sammet und roter Rose. Waldemar, ich bitte dich dringend, unterstütze mich in einer Sache, die meinem Herzen und meinem Kunstgefühl gleich viel bedeutet.«

      Er stieß mit Wanda an und hatte die Freude, daß Waldemar auf den angestimmten Ton einging und unter verbindlichem Lächeln versicherte: Der Onkel habe recht; alle Heiligen seien wohlproportioniert, und auch das Zarteste könne sich noch innerhalb der Wellenlinie...

      »Brav, brav«, unterbrach hier der Graf. »Und so bitt ich denn, die Gläser zu füllen, um auf das Wohl Hermiónens zu trinken – eine von Fräulein Wanda bevorzugte Akzentverschiebung, die mir eine ganz neue Auffassung verspricht. Denn die Akzente machen's im Leben und in der Kunst. Es lebe die Kunst, es lebe das Zarte, es lebe die Wellenlinie, vor allem, es lebe Hermióne-Hermióne, es lebe Fräulein Wanda, es lebe die rote Rose.«

      Wanda verneigte sich und überreichte dem alten Grafen die rote Rose, die so sinnig den Schluß seiner Rede gebildet hatte. Der alte Baron aber stieß von der andern Seite her mit beiden an.

      Es folgte nun Toast auf Toast, Papageno ließ Stine leben, und nachdem auch noch Waldemar, ebenfalls an Stine sich wendend, ein paar Worte gesprochen, sprach Wanda, wie herkömmlich, in Klappreimen, die sie sich übrigens auf die einfachste Weise, indem sie »Liebe« statt »Freundschaft« setzte, für Gelegenheiten wie die heutige aus einem alten Stammbuchvers zurechtgemacht hatte. Zuletzt ergriff der alte Graf noch einmal das Wort, um seine Freundin Pauline leben zu lassen. Er verschwieg aber ihren Namen dabei, sprach nur ganz allgemein über den Zauber und die Vorzüge der Witwenschaft und schloß mit dem Ausruf: »Es lebe meine Mohrenkönigin, meine Königin der Nacht.«

      Alles


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