Wiesbaden. Erik Schreiber
Читать онлайн книгу.zu sehen gewohnt sind, errichtet, nur den wiederholten zerstörenden Angriffen der Germanen und in der Folge dem Zahne der Zeit erlag, ohne indess nicht hinreichende Spuren ihres Daseins unter der Erde und den ehrwürdigen Rest eines mit ihr in enger Verbindung stehenden Bauwerks über der Erde bis auf den heutigen Tag hinterlassen zu haben.
b. Ausgrabung.
Von dem Castelle selbst waren bis in unser Jahrhundert hinein alle äusseren Spuren vollständig verwischt und so sehr alle Kenntniss seiner Lage verschwunden, dass Ebhardt (p. 25.) meint, die Heidenmauer sei seine östliche Einschliessungsmauer gewesen. Auch jetzt bezeichnet kein Merkzeichen auf der ganzen Fläche, die schon zum Theil mit den Häusern der auch dahin vorgerückten Stadt bedeckt ist und bald in ihre Mitte die grossartige Anlage eines Krankenhauses aufnehmen wird, die Stätte, wo fast drei Jahrhunderte lang das rege Leben eines römischen Lagers herrschte. Innere und äussere Gründe veranlassten im Jahre 1838 den nassauischen Verein für Alterthumskunde zu Wiesbaden, unter der Leitung seines verdienstvollen Secretärs, des Archivars Habel, hier eine umfassende Ausgrabung zu veranstalten, welche zu den erfreulichsten Resultaten führte. Das Ergebniss derselben ist in der Schrift des Herrn Obermedicinalrath Dr. Reuter „das Römercastell bei Wiesbaden“ in den Annalen des Vereins V, 2 niedergelegt; (Eine Beschreibung des Römercastells hat Habel begonnen, aber nicht vollendet, Annal. III, 2. p. 131 — 55; ergibt daselbst auch eine Geschichte der Ausgrabung. Erst 1821 und 1832 entdeckte man das Mauerwerk.) ausserdem enthält das Museum ein Gypsmodell von 5' Länge und 4' 5“ Breite, welches die Haupttheile des Castells in anschaulicher Weise vor Augen stellt. In der nachfolgenden Beschreibung schliessen wir uns an diese sorgfältigen Arbeiten an und verweisen für das Einzelne auf dieselben, namentlich in Bezug auf die Fundstücke.
c. Beschreibung.
Das Castell lag, wie oben bemerkt, am Ende einer aus dem Gebirge nach Süden vorspringenden Bergzunge, die nach drei Seiten, nach Osten, Süden und Westen ziemlich steil abfällt, nach Norden bald ansteigend sich in die waldige Höhe des Taunus verliert; es beherrschte die Seitenthäler und bot einen freien Blick über das vor ihm liegende Thal und die nach dem Rheine hin auslaufenden Hügel nach der Rheinebene mit der Stadt Mainz. Der Form nach war es ein nicht ganz genaues Rechteck mit abgerundeten Ecken und bedeckte eine Fläche von etwa 13 ½ Morgen; die südwestliche Längenseite mass 504', die nordöstliche 502', die nordwestliche Seite 459' 8“, die südöstliche 457' 3“. Die vier Thore waren mit je zwei nach innen vorspringenden Thürmen ausgestattet, an jeder der abgerundeten Ecken befand sich gleichfalls je ein Thurm, ebenso an jeder Seite in nicht ganz gleichen Entfernungen von einander je vier, sämmtlich nach innen vorspringend, also im Ganzen achtundzwanzig Thürme. Die Ringmauer war 6' breit, mit nicht eben tiefer Fundamentirung (2' — 4‘), deren unterste Steinlage zum Theil schräg auf die Kante gestellt war. Bedeckt war die Mauer wahrscheinlich mit halbcylindrischen Decksteinen von 3' Breite, so dass also hinter den bedeckten Zinnen ein Umgang von ebenfalls 3' Breite verblieb. Vor der Umfassungsmauer waren wenigstens auf drei Seiten (die nordöstliche Seite schützte die jähe Böschung des tief abfallenden Berges genug) drei parallel laufende Spitzgräben gezogen von je 8' Breite und 5' Tiefe, deren erster 6' von der Ringmauer entfernt ist; sie bildeten also zusammen ein Hinderniss von 24' Breite. Die Wege innerhalb des Lagers waren fast alle 17' breit und durchschnitten sich in rechten Winkeln; sie waren theils gepflastert, theils mit Kies und Sand fest gestampft. Die südöstliche Hälfte des Lagers war ohne steinerne Gebäude; sie enthielt die aus Holz gebauten Quartiere der Soldaten, dagegen fanden sich daselbst ein Kalkofen, wahrscheinlich aus fränkischer Zeit, ein tiefer Brunnenschacht, ein Feuerherd und mehrere Gräber, zum Theil mit Gerippen und Schmuckgegenständen aus späterer Zeit, ein Beweis, dass nach Aufhören der Römerherrschaft diese Stätte auch als Begräbnissplatz diente. Der wichtigste Fund, der in diesem Theile des Castells gemacht wurde, war das Militärdiplom vom Jahre 116, welches aber erst zwanzig Jahre nach der Ausgrabung, im Jahre 1858, beim Abtragen von Gartenerde zufallig zum Vorschein kam; es ist in den Annalen V, 1 von Rossel abgedruckt und ausführlich behandelt. Die obere nordwestliche Hälfte des Castells enthielt mehrere massive steinerne Gebäude von verschiedener Grösse und Eintheilung im Inneren; in der Mitte hart an der via principalis das Praetorium (97' und 99' lang, 84' und 83' breit, 2' 10“ dicke Mauern) mit mehreren Räumlichkeiten, darunter einem Bade; der Haupteingang von der via principalis aus führte zunächst in einen Hofraum von 65' Länge und 60' Breite, der auf drei Seiten mit einem Säulengang von 70' und 79' und 70' Länge und 8' 9“ Breite umgeben war; es fanden sich noch fünfzehn Säulenfundamente vor, neun fehlten an verschiedenen Stellen. Zu beiden Seiten des Prätoriums lagen andere Gebäude, links mehrere kleinere, rechts das umfangreichste des ganzen Castells (121' und 104', resp. 102') mit vielen Räumlichkeiten, auch einem Hypocaustum im Inneren.
Eine Vorstellung von der äusseren Erscheinung des Castells, den Thürmen und Zinnen u. s. w. mag man entnehmen aus der von Becker in den Annalen IX zu p. 148 aus der Revue riumism. VII 1862 mitgetheilten Bleimedaille.
d. Besatzung.
Die Stärke der Besatzung muss aus dem Umfang des Lagers berechnet werden, womit man die Einteilung der römischen Truppen zusammenzuhalten hat. In der Kaiserzeit bestand die Legion aus 5000 — 6000 Mann, die in zehn Cohorten abgetheilt waren; eine Cohorte zählte also ca. 550 Mann. (Marquardt, Römische Staatsverwaltung II. p. 441.) Die Auxiliarcohorten zu Fuss waren entweder cohortes quingenariae zu 500, oder miliariae zu 1000 Mann, und zwar bestanden sie entweder ausschliesslich aus 'Fussvolk, cohortes quingenartae und miliariae peditatae, oder es gehörte dazu eine bestimmte Anzahl Reiter, cohortes quingenariae equitatae mit 120 Reitern und 360 — 380 Mann zu Fuss, oder cohortes miliariae equitatae mit 240 Reitern und 760 Fusssoldaten. (ib. p. 455.) Die alae equitum waren ebenfalls entweder quingenariae zu 480 Mann, oder miliariae zu 960 Mann. (ib. p. 456.) Jede Legion erhielt eine kleine Anzahl Reiter, nämlich 120 Mann (4 Türmen), nach Bedürfniss wohl auch mehr, sowie eine Abtheilung Auxiliartruppen, die in der Regel ebenso stark war als die Legion (ib. p, 442. 443.) die Zahl der Auxiliarcohorten, welche einer Legion beigegeben waren, richtete sich also nach der Stärke und dem Charakter der Cohorten, von 3 an bis 9. Im Jahre 116 hatte die achte und zweiundzwanzigste Legion je eine Ala Reiter und acht bis neun Cohorten Fussvolk. (Rossel, Annal. V, 1. p. 64.)
Das Hauptstandlager der mittelrheinischen Legionen war Mainz; von dort aus wurden einzelne Abtheilungen der Legionen und Auxiliarcohorten als Besatzungen in die rechtsrheinischen Castelle und an den Grenzwall abgegeben, die sich in gewissen Zeiträumen ablösten. Wenn nun nach H. v. Cohausens Berechnung (Ann. V, 2. p. 66. Mommsen, C. J. L. III, p. 870.) unser Castell zur Aufnahme von 1000 — 1100 Mann hinreichenden Raum darbot und eben diese Zahl vollständig ausreichte, um das Lager im Falle eines Angriffes zu vertheidigen, wobei noch das Bedürfniss für Reserve, Thorwachen, Sorge für die Verwundeten, Ordonnanzen u. s. w. ausreichend gedeckt war, so kann man annehmen, dass entweder zwei Legionscohorten, (mm 1100 Mann) oder eine Legions- und eine Auxiliarcohorte (= 1150 Mann), denen nach Bedürfniss etwas Reiterei (1 — 2 Türmen) beigegeben war, oder eine Cohors miliaria equitata oder peditata die jedesmalige Besatzung des Castells gebildet habe.
Von den oben genannten Cohorten war die vierte der Thraker und dritte der Delmater eine equitata; (S. die Inschrift in den Ann. IV, 3. No. 58. Mommsen, C. J. L. III, No. 1577.) in Betreff der anderen fehlt die nähere Angabe; die ala I Flavia Gemina scheint eine miliaria gewesen zu sein. (Brambach, I. Rh. No. 1468.)
e. Beschäftigung der Soldaten.
Für das Verständniss mancher der unten vorkommenden Erscheinungen ist es wichtig, einiges über das Lagerleben und die Beschäftigung der Soldaten hier zuzufügen. Der Soldat diente vom siebzehnten bis zum zweiundvierzigsten Jahre und blieb während dieser ganzen Zeit unverheirathet. Für die finanziellen Verhältnisse der Soldaten war gesorgt durch Anlage einer Sparcasse für jede Cohorte, in welcher von den Donativen die Hälfte deponiit und für jeden Mann eine Summe gesammelt wurde; es gab ferner eine Begräbnisscasse und Vereinigungen, scholae, zu gegenseitiger Unterstützung; so hatten die zwanzig speculatores (Sie wurden als Couriere u. s. w. benutzt. Marquardt I. c. II. p. 530, I. p. 419.) der Legio I und II Adjutrix eine schola in Pannonien gehabt. Besonders wichtig war dem Soldaten die Aussicht auf Versorgung im Alter. Hatte er seine Dienstzeit beendet, so erhielt er seine honesta missio und seine Versorgung entweder in Geld (bei den Legionssoldaten 3000 Denare) oder