Gösta Berling. Selma Lagerlöf

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Gösta Berling - Selma Lagerlöf


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würde, wenn er nur wartete!

      Ihr Kopf schmerzte, ein jeder Nerv in ihr erbebte. Sie konnte keine Ruhe finden, solange sie wußte, daß er dasaß. Es war, als wenn sein Wille sie gebunden die Treppe hinabschleifte.

      Sie wollte wenigstens mit ihm sprechen.

      Ehe er kam, ließ sie die Rouleaus aufziehen und legte sich so hin, daß ihr das Tageslicht voll ins Gesicht schien. Es war ihre Absicht gewesen, ihn damit gewissermaßen auf die Probe zu stellen. Aber Melchior Sinclaire war an jenem Tag ein eigentümlicher Mann.

      Als er sie sah, veränderte er keine Miene, tat keinen Ausruf. Es war, als könne er keine Veränderung an ihr wahrnehmen. Sie wußte, wie stolz er auf ihre Schönheit gewesen war. Aber er ließ es sie nicht merken, daß er Kummer empfand. Er beherrschte sein ganzes Wesen, um sie nicht zu betrüben. Dies ergriff sie tief. Sie fing an zu verstehen, daß ihre Mutter fortfuhr, ihn liebzuhaben.

      Er verriet keinen Zweifel. Er kam weder mit Vorwürfen noch mit Entschuldigungen.

      »Ich hülle dich in den Wolfspelz, Marianne. Der ist nicht kalt. Er hat die ganze Zeit auf meinem Schoß gelegen.«

      Und trotzdem ging er an den Kamin und wärmte ihn. Dann half er ihr vom Sofa auf, hüllte sie in den Pelz, schlang einen Schal um ihren Kopf, legte ihn ihr kreuzweise über der Brust zusammen und knüpfte ihn auf dem Rücken zu.

      Sie ließ es geschehen. Sie war willenlos. Es tat so gut, gehegt und gepflegt zu werden. Es war schön, selber nicht wollen zu brauchen. Es tat gut für jemand, der so angegriffen war wie sie, für jemand, der nicht einen einzigen Gedanken, nicht ein Gefühl besaß, das er sein eigen nennen konnte.

      Sie schloß die Augen und seufzte, teils aus Wohlbehagen, teils aus Wehmut. Sie nahm Abschied von dem Leben, dem wirklichen Leben; aber das konnte ja auch einerlei für sie sein, die sie ja doch nicht leben, sondern nur Komödie spielen konnte.

      Ein paar Tage später sorgte ihre Mutter dafür, daß sie Gelegenheit hatte, mit Gösta zu sprechen. Sie schickte einen Boten nach Ekeby, während der Gutsherr von Hause abwesend war, und führte ihn zu Marianne hinein.

       Gösta trat ein, aber er grüßte nicht und sprach auch nicht. Er blieb an der Tür stehen und starrte vor sich nieder wie ein trotziger Junge.

      »Aber Gösta!« rief Marianne aus, die in einem Lehnstuhl saß.

      »Ja, so heiße ich!«

      »Komm doch hierher, ganz her zu mir, Gösta!«

      Er näherte sich ihr still, erhob aber den Blick nicht.

      »Komm näher heran! Knie hier nieder.«

      »Aber mein Gott, was soll das alles nur?« rief er aus, gehorchte aber dennoch.

      »Gösta, ich will dir nur sagen, daß ich glaube, es war richtig, daß ich wieder nach Hause kam.«

      »Hoffen wir, daß man Fräulein Marianne nicht wieder in den Schnee hinauswerfen wird.«

      »Ach, Gösta! Hast du mich denn nicht mehr lieb? Findest du, daß ich zu häßlich bin?«

      Er zog ihren Kopf zu sich herab und küßte sie, sah aber noch immer so kalt aus.

      Er amüsierte sie im Grunde. Wenn er es für gut befand, eifersüchtig auf ihre Eltern zu sein, was dann? Es würde wohl wieder vorübergehen. Jetzt amüsierte es sie, ihn zurückzuerobern. Sie wußte nicht recht, weshalb sie ihn festhalten wollte, aber sie wollte es nun einmal. Sie dachte daran, daß es ihm doch einmal gelungen war, sie von sich selbst zu befreien. Er war sicher der einzige, der es noch einmal zu tun vermochte.

      Und nun begann sie zu reden, entschlossen, ihn zurückzugewinnen. Sie sagte, es sei nicht ihre Absicht gewesen, ihn für beständig zu verlassen, eine Zeitlang aber müßten sie des Scheines halber ihre Verbindung aufheben. Er habe ja selber gesehen, daß ihr Vater an der Schwelle des Wahnsinns gestanden und daß ihre Mutter in steter Lebensgefahr schwebte. Er müsse ja einsehen können, daß sie gezwungen sei, heimzukehren.

      Da machte sich sein Zorn in Worten Luft. Sie brauche keine Komödie zu spielen. Er wolle nicht länger ihr Popanz sein. Sie habe ihn verlassen, sobald ihr das Elternhaus wieder offen gestanden, er könne sie nicht mehr lieben. Als er vorgestern von der Jagd heimgekehrt war und gehört hatte, daß sie verschwunden sei, ohne einen Gruß, ein Wort für ihn zu hinterlassen, da sei ihm das Blut in den Adern erstarrt; er sei nahe daran gewesen, vor Kummer zu sterben. Aber er könne diejenige nicht mehr lieben, die ihm einen solchen Schmerz zugefügt habe. Sie habe ihn übrigens niemals geliebt. Sie sei eine Kokette, die auch hier in der Gegend jemand haben wolle, der sie küssen und herzen könne, das sei das Ganze.

      Ob er denn glaubte, daß es ihre Gewohnheit sei, sich von jungen Herren herzen und küssen zu lassen?

      Natürlich glaubte er das. Die Frauen waren keine solche Heilige, wie sie sich den Anschein gaben. Eigenliebe und Koketterie von Anfang bis zu Ende! Sie sollte nur ahnen, was er empfunden hatte, als er von der Jagd heimkehrte. Es sei ihm gewesen, als wate er in Eiswasser. Den Schmerz würde er nie wieder verwinden. Der würde ihn durch das ganze Leben begleiten. Er würde nie wieder Mensch werden.

      Sie suchte ihm zu erklären, wie das Ganze sich zugetragen hatte. Sie suchte ihm zu beweisen, daß sie ihm noch immer treu sei.

       Ja, das war einerlei, denn jetzt liebe er sie nicht mehr. Jetzt habe er sie durchschaut. Sie sei eine Egoistin. Sie habe ihn nie geliebt. Ohne ein Wort, ohne einen Gruß sei sie von ihm gegangen.

      Darauf kam er wieder und wieder zurück. Sie amüsierte sich beinahe darüber. Zürnen konnte sie ihm nicht. Sie verstand seinen Zorn nur zu gut. Einen wirklichen Bruch befürchtete sie auch nicht. Schließlich wurde sie doch unruhig. War denn wirklich ein solcher Umschlag bei ihm eingetreten, daß er sie nicht mehr liebhaben konnte?

      »Gösta, war ich egoistisch, als ich nach Sjö ging, um den Major zu holen? Ich wußte sehr wohl, daß die Blattern dort waren. Es ist auch gerade nicht angenehm, in Schnee und Kälte auf dünnen Tanzschuhen zu gehen.«

      »Die Liebe lebt von Liebe allein und nicht von Dienstleistungen und Wohltaten«, sagte Gösta.

      »Du willst also, daß wir einander in Zukunft fremd sein sollen, Gösta?«

      »Ja, das will ich.«

      »Gösta Berling ist sehr launenhaft.«

      »Das sagt man mir nach.«

      Er war kalt wie Eis und nicht aufzutauen, und im Grunde war sie selber noch kälter. Die Selbstkritik lachte höhnisch über ihre Bemühungen, die Verliebte zu spielen.

      »Gösta,« sagte sie, eine letzte Anstrengung machend, »ich habe dir niemals absichtlich wehe getan, wenn es auch den Anschein haben mag. Ich bitte dich, verzeih mir!«

      »Ich kann dir nicht verzeihen.«

      Sie wußte, daß sie ihn hätte zurückgewinnen können, wenn sie nur ein einziges ungeteiltes Gefühl besessen hätte. Und sie versuchte, die Leidenschaftliche zu spielen. Die Eisaugen verhöhnten sie, aber sie versuchte es auf alle Fälle. Sie wollte ihn nicht verlieren.

      »Geh nicht, Gösta, geh nicht im Zorn von mir! Bedenke, wie häßlich ich geworden bin. Mich kann niemand mehr lieben.«

      »Auch ich liebe dich nicht mehr«, sagte er. »Du mußt dich dareinfinden, daß man auf dein Herz tritt, wie du auf das andere getreten hast.«

      »Gösta, ich habe niemals jemand lieben können außer dir! Verzeih mir! Verlaß mich nicht! Du bist der einzige, der mich vor mir selbst zu erretten vermag.«

      Er stieß sie von sich. »Du redest nicht die Wahrheit«, sagte er mit eiskalter Ruhe. »Was du von mir willst, weiß ich nicht, aber ich sehe, daß du lügst. Weshalb willst du mich festhalten? Du bist so reich, dir wird es niemals an Freiern fehlen!«

      Damit ging er.

      Und kaum hatte er die Tür geschlossen, als die Sehnsucht und der Schmerz in ihrer ganzen Majestät Einzug in Mariannens Herz hielten.

      Die


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