Quitt. Theodor Fontane
Читать онлайн книгу.sagte der mit dem Kursbuch, der auf diesen abzugebenden Zwischenschuß mit einer Art Schadenfreude gewartet zu haben schien.
»Sieben Uhr fünf oder sechs Uhr fünfundfünfzig ist gleich. Eine Differenz von zehn Minuten ist keine Differenz; jedenfalls aber durch ein rascheres Tempo leicht einzubringen. Außerdem gehen von Johannisbad aus immer Retourwagen. Aber wenn auch nicht, mit Hilfe von...«
Er kam nicht weiter in seinen Auseinandersetzungen, denn beide junge Frauen, welche die »ewige Rennerei« längst satt hatten, faßten sich in diesem Augenblick unter und traten ziemlich demonstrativ vom Tisch fort an den plätschernden Springbrunnen.
»Ach, Mathilde«, sagte die eine, »wenn wir den doch mitnehmen könnten.« Und dabei stellte sie sich aufatmend in den Sprühregen. »Weißt du, daß ich hier bleiben möchte?«
Die andere nickte.
»Und was wohl die Kinder machen mögen?«
»Ach die! Aber wir!«
Siebentes Kapitel
Siebenhaar war entzückt, ebenso von dem feierlichen Ernste, mit dem die Fehde zwischen dem Karten- und dem Kursbuchmann geführt wurde, wie von den kleinen Verstimmungen des verbleibenden Restes der Gesellschaft. Er sah denn auch, um diese Verstimmungen besser verfolgen zu können, eben neugierig nach dem Springbrunnen hinüber, auf dessen Rand sich die beiden Damen und mit ihnen der dritte, jüngere Herr (welcher der Unverheiratete der Partie zu sein schien) gesetzt hatten, als er, einigermaßen verlegen – weil es mit dem Weiterbeobachten nun natürlich vorbei sein mußte –, die gute Frau Exner auf sich zukommen sah, seine liebe, alte Freundin, die vor vierzig Jahren oder, was dasselbe sagen will, bald nach seinem Amtsantritte von ihm eingesegnet und zehn Jahre später getraut worden war. Sie nickte schon von weitem und setzte sich zu ihm, um eine kleine Plauderei mit ihm zu haben. Die machte sich denn auch – nur noch von einzelnen Streifblicken nach dem Springbrunnen hin begleitet – ebenso rasch wie gemütlich, und erst als eine Viertelstunde später die Touristen, Männlein und Weiblein, aufgebrochen waren, entsann sich Siebenhaar, mitten im Gespräch über die glänzende Vermögenslage des alten Zölfel, auch seines Amtsbruders, um dessentwillen er eigentlich gekommen war, und las nun aus dem Briefe desselben die Stelle vor, die des kranken und kinderreichen Mannes Wünsche noch einmal kurz zusammenfaßte. »So handelt es sich denn, lieber Bruder«, so hieß es im Wortlaut, »vor allem um reine Luft und gesunde Lage, wenn es sein kann, an einem Hochwalde hin, selbstverständlich mit Ausschluß von Sumpf und Wiesengrund, zum zweiten aber um drei geräumige Zimmer mit sieben Betten, am liebsten über dem Kuhstall, wenigstens das meinige. Daß ich vor Hundebleff geschützt bin, darf ich wohl voraussetzen, ebenso daß das Haus oder die Baude nicht unmittelbar an der Lomnitz steht. Ich leide nämlich seit letztem Winter an einer Trommelfellaffektion oder vielleicht auch bloß an allgemeiner Nervenüberreizung und bedarf deshalb absoluter Stille. Was ich eingangs über den Preis geschrieben habe, brauche ich Dir nicht zu wiederholen.«
Siebenhaar, als er gelesen, steckte den Brief wieder ein und sagte: »Ja, das wär es, liebe Frau Exner. Und nun sagen Sie, was meinen Sie dazu?«
Diese lachte still vor sich hin.
»Es fehlte bloß noch, daß er geschrieben hätte, nicht Wind, nicht Sonne haben zu wollen. Aber ich werde mir's überlegen, und wenn ich was finde, so schick ich einen Boten oder komm auch wohl selbst und sehe mir mal wieder die Konfirmandenstube an.«
»Das soll ein Wort sein, liebe Frau Exner. Und dann zeig ich Ihnen auch gleich meine Kanarienvogelhecke, zwei Schläger, wie sie die Harzer nicht besser haben.«
Er blieb noch eine kleine Weile, dann stand er auf und ging in einem langsamen Schritt, denn es war heiß geworden, bis zum Gerichtskretscham und dem gleich dahinter gelegenen katholischen Kapellchen, um von hier aus nach Wolfshau abzubiegen. Der Weg schlängelte sich durch Kusseln und Heidekraut und mündete zuletzt auf die breite Hauptstraße, die neben der Lomnitz hinlief und weiter aufwärts die Grenze zwischen dem Opitzschen und dem Menzschen Gewese zog. Als er diesen Teil der Straße fast schon erreicht und jedenfalls die beiden Häuser schon in Sicht hatte, hielt er noch einmal an, weil er etwas außer Atem war, und schritt dann erst auf den Brückensteg zu, der nach dem Inselchen hinüberführte.
Von dem Kapellchen her klang gerade das Mittagsläuten, Lehnert aber, der, wenigstens bei der Arbeit, nicht für strenges Stundenhalten war, blieb in seinem Schuppen und schnitzelte weiter, ohne des Läutens und der Mahnung zur Mittagsmahlzeit zu achten. Erst als der Hahn in ein ungewöhnliches Krähen kam und mit seinem ganzen Hühnergefolge nach dem Arbeitsschuppen hin retirierte, sah er auf und bemerkte nun Siebenhaar, der eben vom Brückensteg her auf den Vorgarten und die kleine Steintreppe zuschritt. Er legte nun das Schnitzeisen aus der Hand und ging auf den Alten zu, den er, seine Kappe ziehend, respektvoll begrüßte. Dabei wollte Lehnert etwas von Dank und Freude sprechen, aber Siebenhaar, der nicht bloß eine Kanarienvogelhecke hatte, sondern vor allem auch ein Rosenzüchter war, war von dem das ganze Haus umfassenden und überall hin mit Knospen und gelben Blüten überdeckten Rosenbusche viel zu sehr entzückt, um Lehnert ausreden zu lassen, und sagte nur ein Mal über das andere: »Lehnert, Junge, wo hast du diesen Busch her? Der ist ja schöner als der Hildesheimsche. Rote, die hat jeder; aber gelbe, gelbe. Wie nennt ihr sie denn? Ei, das ist ja eine wahre Gottesgabe.«
Während er noch so sprach, war er auf den Flur und gleich danach in die Stube getreten, drin Frau Menz eben am Ofenherd stand und die Kartoffeln, frische, die von ihr wie Gold behandelt wurden, in den Topf zählte. Kaum aber, daß sie des Besuchs ansichtig wurde, so fuhr sie zunächst mit der nassen Hand über die Schürze, band diese dann rasch ab und kam auf Siebenhaar zu, den sie jetzt umknickste und mit einer Flut von kriecherischen Worten überströmte.
Lehnert schüttelte den Kopf, aber die Alte sah es nicht oder wollt es nicht sehen und fuhr in ihrem Wortschwall unverändert fort: »Aber nun bitt ich, Herr Pastor; hier dieser, der hat die beste Lehne... setzen müssen Sie sich... Sie werden uns doch die Ruhe nicht mit fortnehmen wollen... Ich denke, hier an den Ofen. Oder soll ich das Fenster aufmachen? Ja, das will ich, das wird das beste sein, ich werde das Fenster aufmachen. Der Herr Pastor, soviel habe ich wohl gesehn, haben immer das eine Fenster auf, und auch noch ein Fliegenfenster dazu, da zieht es noch mehr. Ja, was die Reichen sind und die Studierten, die sind immer so sehr für frische Luft, auch wenn es kalt ist; aber unsereins will gern warm sitzen, weil man sonst nichts Warmes hat, und das bißchen Kleinholz gibt es ja auch, das heißt, wenn man den Zettel hat, sonst ist Opitz gleich bei der Hand und schreibt einen auf, und man hat seine vierzehn Tage weg, man weiß nicht wie... Gott, wenn ich nur noch von dem Hochzeitskuchen hätte... Nun hab ich so gut wie nichts für den Herrn Pastor... Aber wenn arme Leute so was im Hause haben, dann sind sie wie die Kinder, und Lehnert ist eigentlich schuld... Ja, Lehnert, du bist schuld, du sagst doch sonst immer: ›Mutter, verdirb dich nicht, Mutter, sei nicht so naschig.‹ Aber du hast kein Wort gesagt, und da hab ich alles verputzt und verurscht, und is kein Krümel mehr da.«
Lehnert war aufgestanden und trommelte vor Ungeduld an die Fensterscheibe, Siebenhaar aber, der sich noch der Zeiten erinnerte, wo so mancher aus dem armen Volk hier diese Sprache der Unfreien und Hörigen gesprochen hatte, lächelte nur und sagte: »Liebe Frau Menz, ich habe ja selber von dem Hochzeitskuchen gehabt und hab es geradeso gemacht wie Sie und hab ihn auch aufgegessen oder ›verputzt‹, wie Sie sagen, jedenfalls viel zuviel, was man eigentlich nicht soll. Und Lehnert hat ganz recht, wenn er gegen das Naschen ist. Aber das ist nun mal nicht anders, auch die Alten bleiben Kinder. Und wissen Sie, wer der dritte war, der auch zuviel gegessen hat, und noch dazu gleich oben, als der Kaffee kam? Der dritte war unser Freund Opitz...«
Die Alte nickte und kicherte vor sich hin. Siebenhaar aber wiederholte:
»Ja, unser Freund Opitz. Und sehn Sie, liebe Frau Menz, wenn ich hörte, daß er diese Nacht ein großes Alpdrücken gehabt und seine Frau mit seinem Tode geängstigt habe, so würd ich mich nicht wundern. Aber, wie gesagt, es haut eben jeder mal über die Schnur, Sie und ich und natürlich auch ein Förster. Und ist auch nicht so schlimm, wenn einer nur sonst brav und tüchtig ist. Und das ist Opitz und auch gar nicht so hart, wie die Leute glauben, und wenn man ihn nur