Quitt. Theodor Fontane
Читать онлайн книгу.kurzen Bande, trug er das Eiserne Kreuz, das sich, eben weil das Band zu lang war, bei jedem Schritt in herausfordernder und jedenfalls in respekterwartender Weise hin und her bewegte. Der ganze Mann ein Bild von Selbstbewußtsein und Hochmut.
»Guten Tag, Herr Förster«, sagte Frau Menz und stand rasch auf, um ihm einen Knicks zu machen.
Der Förster nickte kurz, streifte Lehnert, der sich nicht gerührt hatte, mit einem Blick und ging dann weiter.
»Was bliebst du nicht sitzen. Mutter? Warum hast du geknickst? Er kam, er mußte grüßen, nicht du. Aber das ist immer die alte Geschichte mit dir. Du hast nur zwei Gedanken: Angst und Vorteil, und hast keinen Stolz und keine Ehre. Du bist noch ganz aus der Kriechezeit. Und nun gar kriechen vor dem, vor solchem Schubbejack. Ist er denn dein Herr? Unser Feind ist er, weiter nichts. Gott sei Dank, er fürchtet sich vor mir. Aber ich wollt es ihm auch raten. Er kennt mich noch vom Görlitzer Scheibenstand her und weiß, ich hab eine sichere Hand und ein gutes Auge.«
»Sei doch still, Junge! Du redst dich noch ins Gericht. Und wenn du durchaus reden willst, so rede nicht so laut. Es kann's ja jeder hören.«
»Soll auch.«
Er hätte wohl noch weitergesprochen, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der alte Pastor Siebenhaar in Person von der Kirche her den Kirchhofsgang heraufgekommen wäre, neben ihm der Küster, zu dem er leise sprach.
Und jetzt erhob sich auch Lehnert.
»Ich möchte dich noch sprechen«, sagte der Alte, während er Lehnert im Vorübergehen die Hand reichte. »Komm in einer Viertelstunde! Das heißt, so dir's beliebt.« Und mit einem freundlichen Blick, der Lehnert zu Herzen ging, ging der Alte weiter, erst auf das Portal und dann, etwas rechts abbiegend, auf das hinter einer Reihe verschnittener Linden gelegene Pfarrhaus zu.
Zweites Kapitel
Lehnert – nach dieser flüchtigen Begegnung – setzte sich wieder. Sonst, wenn der Gottesdienst aus war, ging er mit seiner Mutter in den nahen Kretscham hinüber, um erst eine Stonsdorfer und hinterher einen »Grünen« oder auch wohl einen Ingwer zu trinken. Heut aber war ihm nicht danach zumute. »Laß uns sehen, Mutter, wie das Grab aussieht!«
Er meinte das seines Vaters, und während er so sprach, der alten Frau Arm nehmend, ging er mit ihr den langen Hauptgang hinauf, bis sie vor einem gut gepflegten Grabe standen, an dem nur die halb verwaschene Inschrift erkennen ließ, daß der Tote schon seit lange hier liegen müsse. Die Jahreszahl bestätigte das auch: »Hier ruhet in Gott Anton Menz, Stellmacher und Schreiner zu Wolfshau bei Krummhübel, geb. 13. März 1821, gest. 17. August 1859. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.«
Lehnert, als er die Worte las, faltete die Hände, als er aber sah, daß die Alte nach ihrem Sacktuch suchte, riß er die Hände gleich wieder auseinander und sah ärgerlich weg, weil er wußte, daß alles bloß Schein und Komödie war und die Alte nur weinte, weil sie weinen wollte. Sie steckte denn auch das Tuch wieder ein und bückte sich, um eine große gelbe Studentenblume zu pflücken.
»Das war seine Lieblingsblume«, sagte sie.
»Weißt du das gewiß, Mutter? Ich habe noch keinen Menschen gekannt...«
In diesem Augenblicke schlug die Turmuhr ein Viertel, und Lehnert unterbrach sich mitten im Satz. »Es ist Zeit«, fuhr er fort, »ich kann den Alten nicht warten lassen und muß nun hin und mir meine Litanei holen. Als ob ich in der Kirche nicht schon genug gehabt hätte. Willst du hier auf dem Kirchhof warten, oder gehst du lieber gleich nach Hause? Eine Weile wird es in der Pastorstube doch wohl dauern, Siebenhaar ist nicht immer der Kürzeste. Oder willst du lieber nach dem Kretscham hinüber und dir bei Pohl einen Ingwer geben lassen?«
Die Alte verschwor sich gegen den Kretscham und den Ingwer; ihr sei heute so andächtig wie lange nicht, und so wollte sie denn lieber gleich nach Hause. Da sei sie doch am liebsten und am nötigsten. Opitzens Christine hab ihr freilich versprochen, in der Küche nach dem Rechten zu sehen, aber vielleicht habe die gute Seele selber alle Hände voll zu tun.
Und so verließen sie denn gemeinschaftlich den Kirchhof.
Als sie draußen am Portal waren, mußte die Alte, wenn sie nach Krummhübel und Wolfshau zurück wollte, scharf nach links hin abbiegen, sie ließ sich's aber nicht nehmen, ihren Sohn erst noch bis zur Pfarre, die nach der entgegengesetzten Seite hin lag, zu begleiten, wo sie, vor dem Pfarrhaus angekommen, vorsichtig wartete, bis er eingetreten und im Flur verschwunden war. Dann aber steuerte sie sofort mit einem geschickten kleinen Umwege nach dem Kretscham hinüber, um sich hier den Ingwer geben zu lassen, den sie, »weil ihr noch so andächtig sei«, vor wenig Minuten erst abgelehnt hatte.
Lehnert stand inzwischen auf dem kühlen Fliesenflur und wartete, denn niemand erschien, trotzdem die Klingel zweimal angeschlagen hatte. Die Hoftür, hinter der ein alter Nußbaum stand, stand weit auf, und das Summen einer Wespe, die sich vom Hof her in den Flur verirrt hatte, war das einzige, was die Stille unterbrach. Endlich kam die Magd und sagte, sie wisse schon, er möge nur eintreten.
Das tat er denn auch.
Es war des Alten Studierstube, die Lehnert von seinen Kindertagen her kannte. Das Christusbild, mit Friedrich Wilhelm III. und dem Kronprinzen zur Linken und Rechten, hing noch geradeso schief wie vor vierzehn Jahren, als er hier, wöchentlich zweimal, auf einer wackligen Konfirmandenbank gesessen hatte. Alles genau wie damals und nur die Dielen noch etwas ausgehöhlter.
Lehnert hatte so seine Betrachtungen, kam aber nicht weit damit, denn in der nächsten Minute schon trat der Alte, der mittlerweile seinen Talar abgelegt und einen Imbiß genommen hatte, von der Nebenstube herein und ließ sich in einen vor seinem Schreibtisch stehenden Polstersessel nieder.
»Ja, Lehnert«, hob er an, »es ist das alte Lied. Deine Mutter hat sich wieder über dich beklagt.«
»Ach, Herr Prediger...«
»... Und daß du wieder deine Tobsucht hast und nichts wie bittere Worte sagst und ihm, ich meine natürlich deinen Nachbar Opitz, den Tod an den Hals wünschst und fluchst und dich verschwörst, daß er dran glauben solle. Lauter gotteslästerliches dummes Zeug, für das du viel zu klug und, ich muß dir das nachsagen, auch eigentlich viel zu gut bist. Ich begreife dich nicht. Du hast doch einen guten Verstand und hast die gute Schule gehabt, und wenn ich auch weiß, daß man nicht immer nach dem Worte Gottes lebt, so kennst du's doch und darfst nicht so sprechen, als ob du's nicht kenntest und als ob es gar nicht da wäre. Du weißt recht gut, daß es da ist, und weißt auch recht gut, daß Gottes Wort heilig ist und daß es das klügste und beste ist, seine Gebote zu halten. Aber du redest drauflos wie ein Heide und Türke...«
»Ach, Herr Prediger...«
»Wie ein Heide und Türke, sag ich, und tust es nicht bloß zu Haus und in deinen vier Pfählen, du sagst es auch jedem, der's hören will, und wenn du dich müde gesprochen und keine Worte mehr gegen ihn finden kannst, dann bindest du mit dem Grafen an, dem guten gnädigen Herrn, von dem du doch weißt, wie nachsichtig er ist, und hältst ihm vor, daß er was Besseres tun könne, als solchen Großtuer und Menschenquäler in die Försterei zu setzen, und daß es kein gutes Ende nehme.«
Lehnert nickte.
»Nun siehst du, du nickst und hältst es nicht mal für nötig, ›nein‹ zu sagen und deinem alten Freund und Lehrer, von dem du weißt, daß er's gut mit dir meint, in einer Entschuldigung oder so was Ähnlichem entgegenzukommen. Du bist geblieben, wie du schon warst, als du hier mit deinem blonden Krauskopf auf der Konfirmandenbank saßest. Das krause Haar haben sie dir bei den Soldaten weggekämmt, aber den krausen Sinn haben sie dir nicht wegschaffen können, du bist ein Trotzkopf, voll Selbstgerechtigkeit, und glaubst, alles am besten zu wissen. Und nun liest du auch noch allerlei dumme Blätter, in denen hochmütige Schulmeister und verlogene Winkeladvokaten ihre Weisheit zu Markte bringen, und redest hier in den Kretschams herum von Freiheit und Republik und dem glücklichen Amerika. Lehnert, Lehnert, dazu bist du mir viel zu schade! Sieh, Junge! aus dir hätt eigentlich was Ordentliches und was ganz apart Gutes werden müssen,