Die Eissphinx. Jules Verne

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Die Eissphinx - Jules Verne


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entzückt nach den Kerguelen gekommen zu sein, und werde mich ihrer mit Freuden erinnern. Immerhin wäre ich jetzt nicht böse darüber, wieder abfahren zu können....

      – Oho, nur etwas Geduld, Herr Jeorling! ermahnte mich dieser Philosoph. Man soll eine Trennungsstunde nie herbeiwünschen oder gar beschleunigen! Vergessen Sie auch nicht, daß die schönen Tage nun bald wiederkommen. In fünf bis sechs Wochen...

      – Ja wohl, rief ich, inzwischen bleiben Berg und Ebene, Felsen und Strand von dicker Schneelage bedeckt und die Sonne hat nicht einmal Macht genug, die Nebel des Horizonts aufzulösen...

      – Aber ich bitte, Herr Jeorling! Schon sieht man die Grashalme durch die weiße Hülle sprießen! Sehen Sie nur gut hin....

      – Ja wohl, mit der Loupe!... Doch, unter uns, Atkins, würden Sie zu behaupten wagen, daß das Eis jetzt im August, dem Februar unserer nördlichen Halbkugel, nicht die Buchten und Baien hier bedeckt?

      – Zugegeben, Herr Jeorling. Doch noch einmal: nur etwas Geduld! Der Winter ist dieses Jahr recht mild gewesen. Bald werden im Osten oder Westen Schiffe auftauchen, denn die Fangzeit ist nahe.

      – Möge der Himmel Sie hören, Meister Atkins, und möge er das Schiff, das ja nicht mehr lange ausbleiben kann – die Goëlette »Halbrane« – glücklich in den Hafen führen....

      – »Halbrane«, Kapitän Len Guy, vervollständigte der Gastwirth. Das ist ein echter Seemann, obwohl ein Engländer – es gibt ja überall tüchtige Männer – der seine Bedürfnisse aus dem »Grünen Cormoran« bezieht.

      – Sie meinen, daß die »Halbrane«...

      – Vor Verlauf von acht Tagen von jenseits des Cap François gemeldet wird, Herr Jeorling, es müßte denn keinen Kapitän Len Guy mehr geben, doch dann... dann ist auch die »Halbrane« zwischen dem Cap der Guten Hoffnung und den Kerguelen untergegangen!«

      Mit einer bezeichnenden Handbewegung, die mir sagte, daß ein solcher Fall außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege, verließ mich Fenimore Atkins.

      Im übrigen hoffte ich, daß die Vorhersage meines Wirthes bald eintreffen würde, denn die Zeit wurde mir wirklich lang. Konnte man ihm glauben, so zeigten sich schon die Symptome der schönen Jahreszeit – was man hier eben schöne Jahreszeit nennt. Wohl liegt die Hauptinsel etwa in gleicher Breite mit Paris in Europa und mit Quebec in Canada. Hier handelt es sich aber um die südliche Halbkugel der Erde und man weiß, daß, infolge der elliptischen Bahn, die die Erde beschreibt und in deren einem Brennpunkte die Sonne steht, diese Halbkugel im Winter kälter ist als die nördliche und im Sommer wiederum wärmer als diese. Jedenfalls ist die Winterperiode auf den Kerguelen wegen heftiger Stürme geradezu schrecklich und das Meer liegt mehrere Monate erstarrt, obwohl die Kälte hier nicht besonders streng ist, denn sie hält sich im Mittel bei – 2° Celsius im Winter (bei einer Sommertemperatur von +7° Celsius), wie an den Falklandsinseln oder am Cap Horn.

      Es versteht sich von selbst, daß Christmas-Harbour diese Zeit über kein einziges Schiff beherbergt. Zur Zeit, von der ich spreche, gab es noch nicht viele Dampfer. Segelschiffe aber suchten, aus Besorgniß, hier vom Eis eingeschlossen zu werden, die Häfen Südamerikas an der Küste von Chile, oder die Afrikas – meist Capstadt am Cap der Guten Hoffnung – als Zuflucht auf. Einige Schaluppen, die einen im Eise festsitzend, die anderen auf dem Strande liegend und bis zur Mastspitze hinauf von Rauhfrost überzogen, das war Alles, was der Christmas-Hafen meinen Blicken darbot.

      Sind die Temperaturunterschiede auf den Kerguelen auch nicht beträchtlich, so ist das Klima im allgemeinen doch feucht und kalt. Sehr häufig, und vorzüglich im nördlichen Theile, wird die Inselgruppe von wilden, mit Graupeln und Regen vermischten Nord- oder Weststürmen gepeitscht. Nach Osten zu hält sich der Himmel klarer, obwohl auch hier ein halbverschleiertes Licht herrscht, und von dieser Seite reicht die Schneegrenze auf den Bergen bis auf nur fünfzig Toisen (117 Meter) ü. d. M. hinab.

      Nach meinem zweimonatigen Verweilen auf dem Archipel der Kerguelen, erwartete ich also mit einiger Ungeduld die Gelegenheit, an Bord der Goëlette »Halbrane« davon wieder abzureisen, eines Schiffes, dessen Seetüchtigkeit und sonstige Eigenschaften mein enthusiastischer Wirth zu rühmen nicht aufhörte.

      »Sie könnten es gar nicht besser treffen! wiederholte er mir früh und spät. Von allen Kapitänen langer Fahrt in der englischen Handelsflotte kann sich, was Kühnheit und Erfahrung im Berufe betrifft, mit meinem Freunde Len Guy kein einziger messen. Nur noch etwas redseliger und mittheilsamer, und er wäre vollkommen.«

      Ich hatte mir denn auch vorgenommen, die Empfehlungen des Meister Atkins zu befolgen und wollte hier so lange bleiben, bis die Goëlette bei Christmas-Harbour eintreffen würde. Nach einem Aufenthalt von sechs bis sieben Tagen sollte sie dann wieder auslaufen und nach Tristan d'Acunha gehen, wohin sie eine Ladung Zinn- und Kupfererz zu bringen hatte.

      Auf letztgenannter Insel wollte ich in der schönen Jahreszeit einige Wochen verweilen und hoffte, von da aus nach Connecticut heimzukehren. Dabei übersah ich jedoch keineswegs den Antheil, der bei menschlichen Entschließungen dem Zufall zukommt, denn es ist, wie Edgar Poe gesagt hat, allemal weise, immer »mit dem Unerwarteten, Unvorhergesehenen und Unbegreiflichen zu rechnen, nicht zu vergessen, daß Nebensachen, unvermuthete, rein zufällige Zwischenfälle oft ein gewichtiges Wort reden, das man bei streng vorsichtiger Rechnung nicht außer Acht lassen darf.«

      Wenn ich hier unseren großen amerikanischen Schriftsteller anführe, obwohl ich sehr nüchternen Geistes, ernsten Charakters und wenig phantastischer Natur bin, so geschieht es, weil ich den geistvollen Dichter menschlicher Sonderlichkeiten dennoch warm bewundere.

      Um jedoch auf die »Halbrane« oder vielmehr auf die Gelegenheiten zurückzukommen, die sich mir in Christmas-Harbour zur Wiedereinschiffung bieten dürften, so brauchte ich keine Enttäuschung zu fürchten. In der herannahenden Jahreszeit wurden die Kerguelen gewiß von vielen, mindestens fünfhundert, Schiffen aufgesucht. Der Fang von Celaceern lieferte hier reichen Ertrag, dafür spricht schon die Thatsache, daß man von einem See-Elephanten eine ganze Tonne oder ebenso viel Thran gewann, wie von tausend Pinguinen. In den letzten Jahren liefen den Archipel freilich nur etwa noch ein Dutzend Fangschiffe an, da die unbeschränkte Vernichtung der Walthiere deren Zahl sehr stark vermindert hat.

      Vorläufig brauche ich mich also gar nicht zu beunruhigen, daß und ob mir Gelegenheit geboten würde, aus Christmas-Harbour wegzukommen, selbst in dem unwahrscheinlichen Falle, daß die »Halbrane« nicht eintreffen und der Kapitän Len Guy nicht kommen sollte, seinem Freunde Atkins die Hand zu drücken.

      Tag für Tag lustwandelte ich in der Umgebung des Hafens. Die Sonne gewann allmählich an Macht. Die Felsen, Terrassen und die vulkanischen Säulenreihen legten nach und nach ihre weiße Winterkleidung ab. Am Strande unter dem basaltischen Steilufer sproßten weingelbe Moose auf und draußen auf dem Wasser schwammen und wanden sich fünfzig bis sechzig Yards lange Bänder von Algen hin. Im Hintergrunde der Bucht erhoben schon einzelne Gramineen schüchtern die grünen Spitzchen, darunter die aus den Anden stammende phanerogame Lyella neben solchen, die die Flora des Feuerlandes erzeugte, und auch der einzige Strauch des Landes, die schon erwähnte riesige Kohlart, die wegen ihrer antiskorbutischen Eigenschaften ganz besonders geschätzt wird.

      Was die Landsäugethiere betrifft – denn von Seesäugethieren wimmelte es hier – so habe ich kein einziges zu Gesicht bekommen, auch keine Batrachier oder Reptile. Nur vereinzelte Insecten, Schmetterlinge und andere, zeigten sich hin und wieder, zur Zeit aber noch ohne Flügel, und zwar deshalb, weil sie, ehe sie sich deren bedienen könnten, von den heftigen Luftströmungen auf die rollenden Wogen des Meeres verschlagen worden wären.

      Ein- oder zweimal hatte ich mich einer der festen Schaluppen anvertraut, mit denen die Fischer den Windstößen trotzen, die wie Katapulte gegen die Felsen der Kerguelen donnern. Mit diesen Fahrzeugen könnte man die Ueberfahrt nach Capstadt wagen und würde, wenn auch nach längerer Zeit, den Hafen gewiß erreichen. Meine Absicht war es indeß keineswegs, Christmas-Harbour in einer solchen Nußschale zu verlassen... nein ich »erhoffte« die Goulette »Halbrane«, und diese konnte nicht mehr lange ausbleiben.

      Bei den Spaziergängen von einer Einbuchtung zur anderen sah ich verwundert


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