Aphrodite. Pierre Louys

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Aphrodite - Pierre Louys


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sie wird sich nicht bekehren.

      Sie wird weder von einem Mönch, nach von einem Propheten, noch von einem Gott geliebt werden. In der Litteratur unserer Tage ist sie eine Originalität.

      Sie wird sich als Buhlerin zeigen mit dem Freimuth, dem Eifer und auch mit dem Stolze jedes menschlichen Wesens, welches einen Beruf hat und in der Gesellschaft einen frei gewählten Platz einnimmt. Sie wird den Ehrgeiz haben, sich bis zum höchsten Punkte erheben zu wollen. Sie wird gar nicht auf den Gedanken kommen, daß ihr Leben einer Entschuldigung oder einer Verheimlichung bedürfe. Dies soll erklärt werden.

      Die modernen Schriftsteller, die sich an ein Publikum gewendet haben, welches weniger voreingenommen ist als die jungen Mädchen und die jungen Normalschüler, haben sich bis zum heutigen Tage einer mühseligen List bedient, deren Heuchelei mir mißfällt. Sie sagen: »Ich habe die Wollust so geschildert wie sie ist, um die Tugend umso höher zu stellen.« Ich verschmähe es rundweg, an der Spitze eines Romans, dessen Handlung sich in Alexandrien abspielt, mich eines solchen Anachronismus zu bedienen.

      Die Liebe mit allen ihren Folgen war für die Griechen das tugendhafteste Gefühl, am fruchtbarsten an großen Thaten. Sie verbanden mit ihr niemals jene Ideen von Unzüchtigkeit und Unbescheidenheit, welche die jüdische Überlieferung mit der christlichen Lehre unter uns gebracht hat. Herodot (I, 10) sagt uns ganz einfach: »Bei einigen barbarischen Völkern ist es eine Schande nackt zu erscheinen.« Wenn die Griechen oder die Lateiner einen Mann beschimpfen wollten, welcher mit Freudendirnen Umgang hatte, nannten sie ihn »Maechus«, was Ehebrecher heißt. Wenn ein Mann und eine Frau, die durch kein anderes Band mit einander verknüpft waren, sich vereinigten, – und selbst wenn es öffentlich geschah und ohne Rücksicht auf ihre Jugend – so ließ man sie ungestört, als Leute, die ja Niemandem schadeten.

      Wie man sieht, darf das Leben der Alten nicht nach jenen moralischen Ideen beurtheilt werden, die uns heutzutage aus Genf übermittelt werden.

      Ich habe dieses Buch mit jener Einfachheit geschrieben, mit welcher ein Athener ähnliche Begebenheiten erzählt haben würde. Ich wünsche, daß man es in dem nämlichen Geiste lese.

      Wollte man die alten Griechen nach den heute angenommenen Ideen beurtheilen, dann dürfte man keine einzige genaue Übersetzung ihrer größten Schriftsteller einem Schüler in die Hände geben. Wenn Herr Mounet-Sully seine Oedipus-Rolle ohne Streichungen spielen sollte, würde die Polizei die Aufführung untersagen. Hätte Herr Leconte de Lisle seine Theokrit-Übersetzung nicht vorsichtigerweise gesäubert, sie wäre am Tage des Erscheinens mit Beschlag belegt worden. Man hält Aristophanes für eine Ausnahme, allein wir besitzen bedeutende Bruchstücke von 1440 Komödien, geschrieben von 132 anderen griechischen Dichtern, deren einige, wie z. B. Alexis, Philetairos, Strattis, Euboulos, Cratinos uns wunderbare Verse hinterlassen haben, und noch hat Niemand es gewagt, diese ebenso herrliche wie unzüchtige Sammlung zu übersetzen.

      Um die griechischen Sitten zu vertheidigen, zitirt man immer einige Philosophen, welche die geschlechtlichen Freuden tadelten. Allein, das heißt die Dinge verwirren. Diese wenigen Philosophen verpönten alle sinnlichen Ausschreitungen im Allgemeinen und machten keinen Unterschied zwischen den Ausschweifungen des Bettes und jenen der Tafel. Einer, der heute in einem Pariser Restaurant straflos ein Diner zu sechs Louis für sich allein bestellt, würde von ihnen ebenso strafbar befunden worden sein, wie ein Anderer, der auf offener Straße ein allzu intimes Rendezvous geben und für diese Handlung durch die in Geltung stehenden Gesetze zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt werden würde. Übrigens wurden diese sittenstrengen Philosophen in der alten Welt als kranke und gefährliche Narren betrachtet, auf allen Schaubühnen verhöhnt, in den Straßen geprügelt; die Tyrannen zogen sie als Spaßmacher an ihren Hof, die Bürger verbannten sie, wenn sie sie nicht der Todesstrafe werth erachteten.

      Es ist demnach eine bewußte und willkürliche Täuschung, wenn die modernen Erzieher, von der Renaissance angefangen bis auf den heutigen Tag, vorgeben, aus der antiken Moral die Eingebungen für ihre engbrüstigen Tugenden zu schöpfen. Wenn diese Moral groß war und in der That verdient, als Vorbild genommen und befolgt zu werden, so ist es deshalb, weil keine andere es besser verstanden hat, Recht und Unrecht nach dem Kriterium der Schönheit zu unterscheiden und das Recht zu verkünden, welches der Mensch besitzt, sein Glück innerhalb jener Schranken zu suchen, welche das gleiche Recht seiner Nebenmenschen ihm setzt und zu erklären, daß es unter dem Himmel nichts Heiligeres gibt als die physische Liebe und nichts Schöneres, als der menschliche Körper.

      Das war die Moral jenes Volkes, welches die Akropolis erbaut hat; und wenn ich hinzufüge, daß diese Moral diejenige aller großen Geister geblieben, so wird dies nur ein Gemeinplatz sein, so sehr ist es erwiesen, daß die überlegenen Geister von Künstlern, Schriftstellern, Heerführern und Staatsmännern die erhabene Duldsamkeit dieser Moral niemals unerlaubt gefunden haben. Aristoteles beginnt sein Leben damit, daß er sein väterliches Erbtheil mit Buhlerinen vergeudet; Sapho gibt einem eigenen Laster den Namen; Caesar ist der »kahle Ehebrecher«; – Racine ist den Theaterdamen nicht abhold und Napoleon übt nichts weniger als die Enthaltsamkeit. Die Romane Mirabeau’s, die griechischen Verse Chénier’s, die Korrespondenz Diderot’s und die Schriften Montesquieu’s kommen an Kühnheit dem Werke eines Catullus gleich. Und Buffon, dieser sittenstrengste und frömmste aller französischen Autoren – durch welche Maxime hat er die Liebes-Intriguen angerathen? »Liebe! Warum bist du das Glück aller Wesen und das Unglück des Menschen? – Weil von dieser Leidenschaft die physische Seite allein gut ist, die moralische aber nichts taugt.«

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      Woher kommt das? und wie ist es zu erklären, daß trotz dem Umsturz der Ideen des Alterthums die große Sinnlichkeit der Griechen gleichsam ein Strahl auf den erleuchtetesten Stirnen geblieben ist?

      Weil die Sinnlichkeit die mysteriöse aber nothwendige und schöpferische Bedingung der geistigen Entwicklung ist. Jene, welche die Forderungen des Fleisches nicht bis an ihre Grenze empfunden haben, sei es um sie zu lieben, sei es um ihnen zu fluchen, sind schon dadurch unfähig, die Forderungen des Geistes in ihrer vollen Ausdehnung zu begreifen. Gleichwie die Schönheit der Seele das ganze Antlitz erhellt, so vermag die Männlichkeit des Körpers allein das Gehirn zu befruchten; der schmählichste Schimpf, welchen Delacroix Männern zufügen konnte und welchen er thatsächlich den Verhöhnern eines Rubens und den Verleumdern eines Ingres zurief, war das furchtbare Wort: »Eunuchen!«

      Ja noch mehr: es scheint, daß das Genie der Völker, wie dasjenige der Individuen, vor Allem sinnlich ist. Alle Städte, welche die Welt beherrscht haben, Babylon, Alexandrien, Athen, Rom, Venedig, Paris waren vermöge eines allgemeinen Gesetzes je ausschweifender desto mächtiger, gleichsam als wäre ihre Zügellosigkeit zu ihrem Glanze nothwendig gewesen. Jene Städte, wo der Gesetzgeber eine künstliche, engbrüstige und unfruchtbare Tugend einzuführen sich bemühte, sahen sich vom ersten Tage angefangen zu vollständigem Tode verurteilt. So war es mit Sparta, welches inmitten des wunderbarsten Aufschwunges des menschlichen Geistes, zwischen Corinth und Alexandrien, zwischen Syrakus und Milet uns keinen Dichter, keinen Maler, keinen Philosophen, keinen Geschichtsschreiber, keinen Gelehrten zurückgelassen, kaum den volksthümlichen Ruhm eines sonderbaren Helden, der sich mit dreihundert Männern in einem Gebirgspaß tödten ließ, ohne auch nur den Erfolg des Sieges für sich zu haben. Und darum können wir noch nach zweitausend Jahren die Nichtigkeit der spartanischen Tugend ermessend, nach der Ermahnung Renan’s »den Boden verfluchen, wo diese Beherrscherin düsterer Irrthümer gestanden, und sie beschimpfen, weil sie nicht mehr ist.«

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      Werden wir jemals die Tage von Ephesus und Kyrene wiederkehren sehen? Ach, die moderne Welt geht in einer Überschwemmung des Häßlichen unter. Die Zivilisationen ziehen sich nach dem Norden zurück, in Nebel, Frost und Koth. Welche Nacht! Ein schwarz gekleidetes Volk treibt sich in den schmutzigen Straßen herum. Woran denkt es? Man weiß es nicht mehr. Aber unsere fünfundzwanzig Jahre frösteln in der Verbannung unter Greisen.

      So möge denn wenigstens Jenen, die stets bedauern werden jene entzückte Jugend der Erde, die wir das antike Leben nennen, nicht gekannt zu haben, so möge ihnen wenigstens gestattet werden, kraft einer fruchtbaren Illusion jene Zeit von Neuem zu durchleben, wo die menschliche Nacktheit – die vollkommenste


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