Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke


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liess, weil die Penetranz die Nasenschleimhaut ätzte und sich in der Kleidung festsetzte, als hätte man selbst hinein uriniert. Dr. Witthuhn wurde der Posten des 'Principal medical officer' zugewiesen und in die innere Medizin abgeschoben. Er liess es mit sich machen, weil er das Geld zum Leben brauchte und im Glauben war, dass die anachronistischen Verrücktheiten der weissen Apartheid nicht ewig dauern würden. So traten die Zeichen des Niedergangs des Rassensystems mit jedem Sonnenaufgang klarer über dem Horizont. Dr. Witthuhn hielt an diesem Glauben fest, wenn er in den Männer- und Frauensälen nach den Patienten sah und seine Anweisungen zur Behandlung gab oder die ambulanten Patienten im kleinen überhitzten Raum der Station 7 untersuchte, wo ihm ein laufender Ventilator vom Nebenstuhl die kühlere Luft ins Gesicht, oder wenn er zurückgelehnt am Tisch der diagnostischen Dürftigkeit irgendwelchen Gedanken nachging, während ihm der Patient noch gegenübersass, oder sich im Gang der Gemächlichkeit gedanklich verloren hatte, dass man ihn im Vorbeigehen wecken musste.

      Dr. Witthuhn hatte viel Herz und viele Sorgen, als dass man ihn mit den fünf Sinnen sogleich verstehen oder messen konnte. Es war seine menschliche Grösse, dass ihn Dr. Ferdinand niemals verdriesslich antraf. Das Kleinkalibrige des Neides und der Hässlichkeiten passte nicht zu ihm, doch hatte er ein waches Gespür für das, was falsch und listig war. Da das Hospital nicht von solchen Gefechten der Arglist und Hinterhältigkeit verschont blieb, traute er so schnell keinem über den Weg der Anständigkeit. Das hatte er im Leben gelernt, dass es nur wenige Freunde gibt, die zu einem halten, wenn es einem nicht gut geht.

      Der ärztliche Direktor sass weiterhin und ungestört im Range des Colonels auf dem bequemen Sessel mit der hohen Rückenlehne hinter dem leeren, hochpolierten Schreibtisch. Da hatte er Zeit genug, sich mit seinen Zähnen zu beschäftigen und mit den Zahnstochern zwischen den Zähnen herum zu stochern und das Gebiss auf dem neuesten Stand zu halten. Das tat er bedenkenlos unter dem Grossfoto des südafrikanischen Präsidenten, der hinter Glas und mit Goldrahmen versehen an der Wand aufgehängt war. Es war der Verdacht des Militärs, dass Swapokämpfer als Patienten kommen und im Hospital einsickern. Da misstrauten sie dem zivilen Superintendenten, von dem das Engagement für die notleidende Bevölkerung bekannt und auch ein Dorn im weissen Auge war. Das Militär hatte die Administration unter Druck gesetzt, und die Administration hatte erwartungsgemäss nachgegeben. Offiziere führten nun die höchsten Posten im Hospital. Der Bevölkerung, den Patienten, Schwestern und Pflegern sowie den zivilen Ärzten gefiel es nicht. Das Hospital bekam eine militär-strategische Bedeutung, die auf Kosten eines Hauses zur Behandlung kranker Menschen ging. Damit verschaffte sich das Militär einen ungehinderten Zugang zum Hospital, von dem die Koevoet Gebrauch machte, wenn sie vor allem nachts mit ihren 'Casspirs' das eingezäunte Gelände abfuhr, mit Scheinwerfern die Winkel ausleuchtete und nach Swapokämpfern absuchte.

      Eine Verbesserung für das Hospital brachte dieser Wechsel nicht. Der 'Sekretaris' hatte sein Versprechen, das er vor einem Jahr Dr. Witthuhn anlässlich eines Gespräches über die notwendigsten Reparaturarbeiten gegeben hatte, nicht eingehalten. Nicht einer der weissen Verwaltungsmänner erschien in all den Monaten im Hospital, um die Zustände der totalen Vernachlässigung und ihre Folgen in Augenschein zu nehmen, die Dinge der höchsten Dringlichkeit in einem Protokoll aufzulisten und es dem 'Sekretaris' auf seinem polierten Schreibtisch vorzulegen, damit er die Reparaturarbeiten und Neuanschaffungen in Auftrag geben konnte. Nichts dergleichen war passiert. Die zentrale Sterilisationsanlage brach von Zeit zu Zeit zusammen. Der alte, schrottreife Operationstisch wurde nicht durch einen neuen ersetzt. Neue, zeitgemässe Instrumente wurden nicht angeschafft. Die Krankensäle, denen die Verrottung durch ramponierte Türen und Fenster anzusehen war, verblieben im Zustand des Unzumutbaren.

      Die beschädigten Toilettenschüsseln wurden nicht ausgewechselt, und die dringend benötigten Betten der einfachsten Stahlbauweise wurden nicht angeschafft. Die zerrissenen, schmutzig verfleckten Schaumgummimatratzen wurden weiterhin aufgelegt, die schon lange den Verbrennungstod verdient hatten, weil aus ihnen der Geruch des eingetrockneten Urins eines Jahrzehnts nicht rauszukriegen war. Der 'Sekretaris' hielt seine Zusage nur in Sachen Wasserschlauch zum Abspritzen des Vorplatzes, weil Dr. Witthuhn ihn vor einem Jahr von der Unzumutbarkeit des platzbeherrschenden Uringestanks überzeugte, als er spontan vom Ekel befallen wurde und seine Gesichtszüge, ähnlich wie es die schwarze Matrone tat, in zuckenden Grimassen entgleisen liess. Was der neue Superintendent als Major und Doktor der Medizin tat, war die Anschaffung eines neuen Krankenwagens und zwei offener Ford-Kleinlader, von denen er sich einen für sich selbst vorbehielt. Es war unverkennbar, dass das Militär die Führung des Hospitals übernommen hat und sich von den Zivilbehörden dabei nicht reinreden liess, die ohnehin nicht daran dachten, sich in die Brisanz der Verstülpung einzumischen, da ihnen die zugesicherten Posten der abgenommenen Verantwortung und wenigen Arbeit bei hoher Bezahlung und den vielen Extras näher waren als die Probleme eines Hospitals, das der Bevölkerung vorgehalten wurde.

      Die Weissen bedienten sich des Flugzeuges in Ondangwa, das sie nach Windhoek und Pretoria brachte, um dort die weissen Ärzte vom hohen medizinischen Standard einer ersten Welt in Anspruch zu nehmen, der sie mehr vertrauten als der dritten Welt Medizin am Oshakati Hospital, wo schon das Wegspritzen des Urins vom Vorplatz als grosses Ereignis gefeiert wurde. Hinzu kam, dass diese Weissen in regelmässigen Abständen in die Stadt- und Verwaltungsmetropolen der pyramidalen Machtzentren flogen, um vertrauliche Gespräche der Beförderung und weiterer Vergünstigungen zu führen, die in eigennütziger Vorausschau in einer Zeit der zunehmenden Unsicherheit der zukünftigen Absicherung dienen und den unverdienten, hohen Lebensstandard festschreiben sollten. Mit diesen Flügen der regelmässigen Notwendigkeit wurden die zukünftigen Geschäfte abgesprochen und mit Friseur, Zahnarzt und Einkäufen der dort erhältlichen Luxusartikel gleich verbunden.

      Ein Major als Superintendent

      Obwohl die Morgenbesprechungen nun länger dauerten aufgrund der Wortspielereien des Majors und neuen Superintendenten, kam auch die schwarze Kollegin, wenn auch mit regelmässiger Verspätung hinzu, die zu Dr. Witthuhns Zeiten, als der grosse Schreibtisch voll beladen auf der anderen Seite stand, ihren Stuhl leer stehen liess und sich nur vom Ende der Besprechung überzeugte, wenn sie ihren Kopf durch die offene Tür durchsteckte und wieder zurückzog. Das wollte sie sich jetzt nicht mehr leisten, obwohl es mit weniger Fragen nun länger dauerte. Sie beteiligte sich an den Diskussionen mit Intelligenz und einer exaltierten Sprache, weil ihr durch das Fehlen bei den Morgenbesprechungen unter dem vorherigen, zivilen Superintendenten die nötige Erfahrung fehlte, sich kurz und sachbezogen auszudrücken.

      Eine weitere Veränderung war mit Dr. Hutman eingetreten, der bei diesen Besprechungen nicht mehr so vorlaut und besserwisserisch war. Das stand seiner durchschnittlichen Intelligenz besser. Er verhielt sich nun mehr zurückhaltend und verdeckter, als wollte er es mit dem Major nicht verderben. Hinzugekommen war Dr. Bernstein, ein nicht mehr junger Kollege aus der Schweiz, der fliessend deutsch, englisch und französisch sprach. Er war Facharzt der Chirurgie und hatte seine traumatologischen Kenntnisse während des Vietnamkrieges auf dem Hospitalschiff 'Vietnam' gesammelt, das vor dem damaligen Saigon vor Anker lag. Er war im Operieren talentiert und gründlich und kam mit den guten Absichten des Helfenwollens nach Oshakati, wo er die Verantwortung in der traumatologischen Orthopädie übernahm. Dr. Ferdinand, der auch Traumatologe war und vor dem Erscheinen des Schweizer Kollegen für beide operativen Gebiete zuständig war, in denen im ersten Jahr seines Dortseins fast eintausendsechshundert Operationen durchgeführt wurden, zog sich in der Verantwortung nun auf die Chirurgie zurück. Er bedauerte aufrichtig, dass er die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Dr. van der Merwe nicht fortsetzen konnte, der seinerseits den Superintendenten ersuchte, für die letzten Monate der verbliebenen Dienstzeit von der Orthopädie zur Chirurgie zu wechseln, was dieser ihm zusagte, sobald die neuen Kollegen einträfen.

      Auch Dr. Bernstein fiel es schwer zu glauben, dass ihm seine Schweizer Facharztzertifikate trotz des Weltrufes der schweizerischen Universitäten in Südafrika nicht anerkannt wurden. Er wurde wie Dr. Ferdinand in die lächerliche Gehaltsgruppe eines 'Senior medical officer' eingestuft. Dr. Bernstein empfand diese Arroganz als eine schallende Ohrfeige. Die Administration stellte ihnen in Aussicht, dass beide Chirurgen nach Ablauf eines Jahres in die höhere Gruppe eines 'Chief medical officer' eingestuft würden, das höchste, was ihnen die Bantu-Administration


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