Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander
Читать онлайн книгу.der 61st Illinois Infantry ein und exakt drei Monate später zerbricht sein jugendlich-einfaches Weltbild in der Schlacht von Shiloh am Ufer des Tennessee River. Leanders gänzlich unerfahrenes, kaum in den einfachsten Grundlagen ausgebildetes Regiment ist eine jener unvorbereiteten Einheiten, denen die hoffnungslose Aufgabe zufällt, sich den Sturmangriffen der konföderierten Truppen entgegenzustellen, um General Ulysses S. Grants überrumpelter Army of the Tennessee kostbare Zeit zum Aufbau einer Verteidigungsstellung zu erkaufen. Hier schießt der junge Stillwell erstmals auf einen Menschen, hier sieht er zum ersten Male einen Menschen eines gewaltsamen Todes sterben und hier weicht seine naive Begeisterung einer grimmen Entschlossenheit. Leander Stillwell dient den gesamten Krieg hindurch mit der 61st Illinois Infantry auf dem Westlichen Kriegsschauplatz und erlebt all die wenigen Höhen und zahlreichen Tiefen des Soldatenlebens.
Auf Bitten seines Sohnes hin schreibt der 73jährige Stillwell im Jahre 1916 seine Kriegserinnerungen nieder und erweist sich dabei als talentierter und intelligenter Erzähler, der Tragisches wie Komisches gleichermaßen lebendig zu schildern versteht. Da er sich bei der Abfassung seiner "Geschichte eines einfachen Soldaten" auf die Gesamtheit seiner damaligen Feldpost sowie umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen stützen kann, sind Stillwells Aufzeichnungen zudem von einer Exaktheit und Verlässlichkeit, wie sie nur von wenigen Memoiren ehemaliger Bürgerkriegssoldaten erreicht werden. Es ist dieses Buch auch weitaus mehr als ein "Schwelgen in Soldatenerinnerungen". Der gereifte Herr, der nach einem verdienstvollen Leben als geachteter Richter auf seine bescheidenen Jugendjahre zurückblickt, begegnet dem schüchternen und gehemmten Knaben Leander zugleich mit wohlwollendem Verständnis und feiner Selbstironie, weswegen "Vier Jahre für Lincoln" nicht zuletzt auch eine bewegende und lesenswerte Geschichte vom jähen Ende einer idyllischen Kindheit und dem Eintritt ins Mannesalter inmitten einer chaotischen und gefährlichen Zeit darstellt.
Florian Dexheimer
Vorwort des Autors
Als ich mit der Niederschrift dieser Erinnerungen begann, erschien mir ein wie auch immer geartetes Vorwort noch nicht notwendig. Ich hielt die Widmung an meinen Sohn Jerry als Darlegung meiner Beweggründe für vollkommen ausreichend. Nun jedoch, da ich diese Aufzeichnungen vollendet habe und ihren gesamten Inhalt überblicke, halte ich einige kurze Vorbemerkungen für durchaus angebracht. Zunächst möchte ich anmerken, dass ich meine Aufzeichnungen ursprünglich nur zu Papier brachte, um meinem Sohn gefällig zu sein und ich noch keine Gedanken bezüglich einer eventuellen Veröffentlichung unterhielt. Tatsächlich bin ich mir einer solchen noch immer nicht vollkommen sicher, aber ich halte sie nun für durchaus möglich. Der Gedanke daran streifte mich erstmals, als ich bereits einen Teil niedergeschrieben hatte und so ist es möglich, dass von diesem Punkt an ein Wandel des Stils und der Ausdrucksweise bemerkbar wird. So viel hierzu.
Als nächstes möchte ich versichern, dass sich der Leser auf den Wahrheitsgehalt sämtlicher Tatsachenbehauptungen in diesen Aufzeichnungen nach meinem besten Wissen und Gewissen absolut verlassen kann. Meine Mutter bewahrte sämtliche Briefe, die ich ihr und meinem Vater aus dem Felde schrieb, sehr sorgfältig auf. Sie verstarb am 6. Februar 1894, woraufhin mir mein Vater (der sie um lediglich drei Jahre überlebte) meine alten Briefe zurückgab. Sofern die Umstände es gestatteten, hatte ich meinen Eltern jede Woche einen Brief geschrieben und nun, mit diesen Briefen vor mir ausgebreitet, war es mir ein leichtes, meinem Regiment kilometergenau auf seinem Weg von Camp Carrollton im Januar 1862 nach Camp Butler im September 1865 zu folgen. Darüber hinaus erstand ich am 1. Juni 1863 in Memphis, Tennessee, als wir gerade auf dem Weg waren, uns Grants Armee vor Vicksburg, Mississippi anzuschließen, ein kleines Schreibbüchlein von etwa zehn Zentimetern Höhe, sieben Zentimetern Breite und anderthalb Zentimetern Dicke. Von diesem Zeitpunkt bis zu meiner Ausmusterung führte ich in diesem kleinen Buch ein knappes Tagebuch, das ich noch immer besitze. Die alten Briefe und dieses Büchlein waren mir bei der Niederschrift meiner Erinnerungen von unschätzbarem Wert und da sie sehr zeitnah zu den in ihnen geschilderten Ereignissen verfasst wurden, dürfen sie als verlässlich und wahrheitsgetreu gelten.
Obgleich ich im Laufe meiner Militärzeit in den Offiziersrang aufstieg, so geschah dies erst gegen Ende meiner Dienstzeit und nach dem Ende des Krieges. Deswegen möchte ich betonen, dass der Titel dieser Aufzeichnungen, "Die Geschichte eines einfachen Soldaten", durchaus der Wahrheit entspricht.
Sollte dieses Manuskript jemals veröffentlicht werden, so werde ich mich für das Buch weder entschuldigen noch es über Gebühr lobpreisen. Es ist nur recht und billig anzumerken, dass ich nicht vorgebe, ein "literarischer" Mensch zu sein. Dies ist lediglich die Geschichte eines einfachen Soldaten, der während des großen Krieges im Heer diente und dabei versuchte, treu seine Pflicht zu erfüllen.
L. Stillwell
30. Dezember 1916.
Kapitel I
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Der Ausbruch des Krieges – Das Leben in Camp Carrollton (Januar und Februar 1862).
Ich wurde am 16. September 1843 auf einer Farm im Bezirk "Otter Creek", in Jersey County, Illinois geboren. Als der Bürgerkrieg ausbrach, lebte ich mit meinen Eltern in jenem alten, kleinen Blockhaus, in dem ich geboren worden war. Die Konföderierten beschossen am 12. April 1861 Fort Sumter und lösten so den Krieg aus. Am 15. April 1861 forderte Präsident Lincoln die Einberufung von 75.000 Männern, um bei der Niederschlagung der Rebellion zu helfen. Illinois erfüllte sogleich seine Quote und darüber hinaus mussten tausende von Männern abgewiesen werden, da der Staat die geforderte Anzahl bereits beisammen hatte und kein weiterer Bedarf bestand. Die unter diesem Aufruf eingemusterten Soldaten dienten lediglich für drei Monate, da die Regierung zu diesem Zeitpunkt noch der Ansicht war, der Konflikt sei innerhalb dieses Zeitraums beizulegen. Aber am 3. Mai 1861 verlangte Mr. Lincoln erneut nach Freiwilligen, diesmal etwas über 42.000 an der Zahl und ihre Dienstzeit wurde auf drei Jahre oder eine frühzeitige Entlassung durch das Land festgesetzt. Mit demselben Aufruf wurden auch die reguläre Armee und die Marine beträchtlich verstärkt. Ich selbst verpflichtete mich unter keinem dieser Aufrufe. Wie bereits erwähnt, herrschte im Norden allgemein die Ansicht, der "Krieg" sei lediglich eine sommerliche Tollheit und bis zum 4. Juli sei die ganze Sache erledigt. Wir hegten nicht den geringsten Zweifel, dass Richmond bis dahin eingenommen sein würde und dass sich Jeff Davis und sein Kabinett entweder in Gefangenschaft oder auf der Flucht befänden. Die furchtbare Erkenntnis dieses Irrtums traf die loyale Bevölkerung des Landes nach der Schlacht am Bull Run, die am 21. Juli 1861 ausgefochten wurde. Angesichts des Ergebnisses dieser Schlacht fühlten alle Freunde der Union eine niederschmetternde Enttäuschung und bittere Demütigung. Zu diesem Zeitpunkt begriffen sie, dass ihnen ein langer und blutiger Kampf bevorstand. Im Nachhinein war Bull Run wohl ein Segen. Hätte die Union die Schlacht gewonnen und die Rebellion im Keim erstickt, so hätten wir an der Versklavung der Neger festgehalten und der "ununterdrückbare Konflikt" wäre wohl in der heutigen Zeit ausgefochten worden, wobei zweifellos zehnmal mehr Menschenleben ausgelöscht und ruiniert worden wären als in den 1860er Jahren
Am Tag nach der Schlacht am Bull Run verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das Präsident Lincoln autorisierte, 500.000 weitere Freiwillige für drei Jahre zu den Waffen zu rufen. Unter diesem Gesetz und mit Zustimmung des Kriegsministers wurde auch jenes Regiment aufgestellt, in dem ich schließlich diente. Ich war damals nur ein Junge, aber ich spürte, dass der Krieg lange dauern würde und es die Pflicht eines jeden jungen Burschen von entsprechender körperlicher Verfassung war, "zu den Soldaten zu gehen" und bei der Rettung der Nation zu helfen. Ich hatte diesbezüglich einige Diskussionen mit meinem Vater. Er war ein treuer Anhänger der Union und er verstand meine Beweggründe, aber ich konnte sehen, dass ihm die Vorstellung, sein Junge könne in den Krieg ziehen und dort möglicherweise getötet oder verstümmelt werden, schier unerträglich war. Ich gab ihm allerdings zu verstehen, falls in unserer Nähe ein Regiment aufgestellt würde und diesem mehrere meiner Bekannten und Jungs aus der Nachbarschaft beiträten, so wolle auch ich mich freiwillig melden. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, zu Hause bei den Mädchen zu bleiben und die Soldaten mit dem Finger auf mich zeigen und mich einen daheimgebliebenen Feigling schelten