Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander
Читать онлайн книгу.dampfte den Ohio River hinauf zur Mündung des Tennessee River, von wo ab es diesem Fluss folgte. Am folgenden Tag passierten wir Fort Henry. Wir alle hatten von seiner Eroberung im vergangenen Monat durch die vereinten Kräfte unserer Armee und Marine gelesen und waren natürlich neugierig, dieses Bollwerk zu sehen, in dem eine Handvoll Männer solch tapferen Widerstand geleistet hatten. Meine Vorstellung von Befestigungsanlagen basierte zu jener Zeit auf Illustrationen aus Büchern über alte europäische Festungen und auf Schilderungen in Sir Walter Scotts "Marmion", die die Burg Tantallon beschreiben. Als wir uns Fort Henry näherten, rechnete ich also fest damit, ein riesiges, beeindruckendes Bauwerk mit Wehrerkern, einem Bergfried, einem Fallgatter, einer Zugbrücke und dergleichen mehr zu sehen, auf dessen Mauern womöglich noch ein hoher Offizier mit gezogenem Schwerte umherstolzieren mochte, der aus vollem Halse Dinge wie: "Heiho, ihr Krieger, frischauf!" oder ähnliche Worte ausrief. Entsprechend groß waren mein Erstaunen und meine Enttäuschung, als wir am Fort vorbeidampften und ich lediglich ein elendes, kleines Etwas aus festgestampfter Erde entdeckte, dem so rein gar nichts von "Pracht, Pomp und Rüstung des glorreichen Kriegs" anzusehen war. [Anm. d. Übers.: Hier zitiert Stillwell William Shakespeares "Othello".] Das Fort war an einer niedrigen Stelle nahe dem Ufer des Tennessee River errichtet worden und da der Strom gerade Hochwasser führte, war das umliegende Land nahezu völlig von Wasser bedeckt. Zudem glich das Innere des Forts eher einem Schweinepferch. Es war mir einfach unbegreiflich, wie sich dieses erbärmliche Konstrukt unseren Kanonenbooten so lange zu widersetzen vermocht hatte. Damals wusste ich noch nicht, dass eben diese Art von Befestigung mit Wällen aus festgestampfter Erde den bestmöglichen Schutz gegen moderne Artillerie bietet. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt meine Unwissenheit über militärische Belange breit gefächert und nahezu allumfassend.
Während wir weiter den Tennessee River hinauffuhren, bemerkten wir in den Bäumen seltsame, uns unbekannte, grüne Knäuel. Da die Bäume noch kein Laub trugen, wussten wir, dass dies keine Blätter sein konnten, aber wir vermochten nicht zu sagen, um was es sich stattdessen handeln könnte. Schließlich erfuhren wir von einem Besatzungsmitglied des Dampfers, dass es Misteln waren. Wenn ich mich recht entsinne, hatte noch kein einziger von uns Soldaten diese seltsame immergrüne Pflanze jemals zuvor gesehen und so stellte sie ein faszinierendes Kuriosum für uns dar. In der Folgezeit wurde sie uns ein alltäglicher Anblick.
Am Abend des 31. März erreichten wir bei Sonnenuntergang Pittsburg Landing. Hier schlugen wir an unserer Stellung in der Linie unser Lager auf und schliefen erstmals in unserem Soldatenleben in Zelten. Wir verfügten über sogenannte Sibley-Zelte, recht geräumige Behausungen von konischer Form, in denen zwölf Männer mitsamt ihrer Ausrüstung Platz finden konnten. Um zu verdeutlichen, wie wenig wir vom ordnungsgemäßen Aufbau eines Zeltes verstanden, gestehe ich an dieser Stelle, dass wir nicht einmal einen Graben um unser Zelt herum zogen. Prompt brach in der ersten Nacht ein schwerer Regen über uns herein und am nächsten Morgen schwammen wir förmlich auf dem Wasser und unsere Decken und Ausrüstung waren natürlich völlig durchnässt. Fortan bestand eine unserer ersten Maßnahmen nach dem Aufbau des Zeltes stets im Ausheben eines Grabens mit seitlichem Abfluss.
Ich erinnere mich noch lebhaft an die Soldatenkochkünste, die wir während unserer ersten Monate in Tennessee zu erdulden hatten. In Camp Carrollton und der Benton-Kaserne hatten wir Kompanieköche, die jeweils das Essen für eine gesamte Kompanie zubereiteten. Es waren dies einfache Soldaten, die man zu diesem Zweck eingeteilt hatte und ihre kulinarischen Fähigkeiten waren beileibe nicht der Rede wert, aber verglichen mit unserem jetzigen Essen hatten sie wahre Genüsse gezaubert. Wir bildeten Messen von jeweils vier, acht oder zwölf Mann und jeder kam nach und nach an die Reihe, als Koch für seine Messe zu fungieren. Nur sehr wenige von uns hatten auch nur die geringste Ahnung von der Nahrungszubereitung und über die Resultate unserer diesbezüglichen Experimente hätte man lachen können, hätten sie kein so erbärmliches Leid angerichtet. Nach unserer Ankunft in Pittsburg Landing wurde Mehl an uns ausgegeben, aber wir hatten nicht die notwendigen Utensilien, um Brötchen oder Brotlaibe zu backen. Wir rührten also einen Teig aus Mehl, Wasser, Schmalz und Salz an und brieten ihn in einer Pfanne. Das Ergebnis waren die Armeepfannkuchen, die sogenannten "Flapjacks". Diese waren ausnahmslos zäh wie ein Maultierohr, hatten in etwa die Dichte von Blei und waren nahezu unverdaulich. Später lernten wir, mit Lehm verputzte Holzöfen und Steinöfen zu bauen, mit denen wir schließlich in der Lage waren, gutes Brot zu backen. Trotzdem blieb bei den Soldaten auf dem westlichen Kriegsschauplatz stets der Hartkeks das Hauptnahrungsmittel und nichts, was wir mit unserem Mehl herstellen konnten, kam ihm geschmacklich auch nur nahe.
Unsere Zubereitung der "Yankee-Bohnen" (wie wir sie nannten) war lange Zeit einfach nur grauenhaft. Wie du weißt, muss man Bohnen kochen, bis sie vollkommen gar sind, da sie ansonsten giftig sind. Nun, unsere Bohnen waren in der Regel bestenfalls halbgar und das Ergebnis war eine widerliche, schleimige Pampe, deren Aussehen schon ausreichen konnte, einem den Appetit zu verderben. Und was den Reis betrifft … was davon nach unserer Zubereitung auf dem Teller landete, spottete jeder Beschreibung. Ich entwickelte einen dermaßen großen Ekel vor Reis, dass ich es noch als Zivilist, Jahre nach dem Ende des Krieges, einfach nicht über mich bringen konnte, ihn zu essen, gleich wie köstlich er auch zubereitet sein mochte.
Das mangelhaft zubereitete Essen, der Klimawechsel, das ungewohnte Wasser und die Vernachlässigung hygienefördernder Maßnahmen führten in Pittsburg Landing zu einer wahren Durchfall-Epidemie, welche besonders den "grünen" Regimentern (darunter auch unseres) arg zusetzte. Für einen Zeitraum von etwa sechs Wochen litt praktisch jeder Soldat darunter und der einzige Unterschied bestand in der Schwere der jeweiligen Erkrankung. Tatsächlich war der Zustand der Truppen in dieser Zeit so erbärmlich und widerwärtig, dass ich eine eingehendere Schilderung vermeiden möchte. Dergleichen habe ich weder vorher noch nachher jemals wieder miterlebt. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Problem von den Unmengen an Zucker, welche die Soldaten begierig aßen, noch verstärkt wurde. Nicht nur schütteten sie ihn überreichlich in ihren Kaffee und Reis, sie verschlangen auch regelmäßig Händevoll davon in purer Form. Ich kann aus dem Stegreif einen Vorfall schildern, der den übersteigerten Heißhunger der Jungs auf Zucker veranschaulicht. Das Ganze ereignete sich in unserem Lager an einem regnerischen Tag während der Belagerung von Corinth. Jake Hill aus meiner Kompanie hatte einen kleinen Zuckerberg auf einem Hartkeks aufgehäuft, so viel, wie nur irgendwie darauf passte, bevor die Körner an den Seiten herabzurieseln begannen. Er setzte sich auf seinen Tornister und begann, an seinem Festmahl herumzunagen, wobei er sich systematisch an allen Seiten zu schaffen machte. Er litt zu jenem Zeitpunkt an der oben genannten Epidemie und war dermaßen geschwächt, dass er kaum laufen konnte. Jemand sagte zu ihm: "Jake, in deinem Zustand ist der Zucker nicht gut für dich!", woraufhin er mit betroffener Miene aufblickte und im Tonfalle zutiefst gekränkter Unschuld entgegnete: "Habe ich etwa nicht das Recht, meinen eigenen Proviant zu verzehren?" Wider Erwarten gesundete Jake wieder und diente für den gesamten Rest des Krieges, wobei er sich als guter Soldat erwies.
Ich persönlich entschloss mich bereits zu Beginn meiner Soldatenzeit, überhaupt keinen Zucker mehr zu mir zu nehmen (mit Ausnahme einer gelegentlichen winzigen Menge auf eingemachtem Obst oder Beeren) und ich gewöhnte mir seinen regelmäßigen Gebrauch erst Jahre nach meiner Entlassung aus der Armee wieder an.
Aufgrund der bereits angedeuteten Bedingungen in Pittsburg Landing starben die Männer dort wie die Fliegen. Viele weitere mussten wegen Untauglichkeit aus dem Militärdienst entlassen werden und folglich stand auch ihre Kampfkraft nicht mehr zur Verfügung. Es ist wahr, dass sich einige dieser Entlassenen, besonders die jüngeren Burschen, in der Folgezeit wieder zum Heer meldeten und gute Soldaten abgaben, aber die krankheitsbedingten Verluste der Unionsarmeen in Tennessee überstiegen im Frühjahr '62 zweifellos die Verluste einer großen Schlacht. Im Gegensatz zu Verlusten im Kampf trugen sie aber rein gar nichts zu einer Beendigung des Krieges bei.
Die Schlacht von Shiloh wurde am 6. und 7. April ausgefochten. Im Jahre 1890 schrieb ich einen Bericht über diese Schlacht, welcher in der "New York Tribune" und später noch in weiteren Zeitungen erschien. Ferner wurde er zusammen mit Artikeln anderer Personen (einige handelten vom Kriege, andere widmeten sich verschiedensten Themen) in Buchform veröffentlicht. Dieser Text, den ich vor 25 Jahren abfasste, ist wohl so gut wie, wenn nicht gar besser als alles, was ich jetzt über die Schlacht schreiben könnte, weswegen ich ihn an dieser Stelle einfügen möchte.