Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg

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Am Rande. Eine Bemerkung - Anna Lohg


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Mutter, die ganz in schwarz gekleidete Witwe, bekam zunehmend graue Haare, nur vom hingucken. Während Agnes im Haus des Klempners ihr erstes Junge geworfen hatte und längst wieder trächtig war, stolzierte ihre verbliebene Hoffnung wie ein Altar geschmückt durch das Dorf und tändelte zuerst mit dem einen, später mit dem anderen. Erziehung erschien der schwarzen Witwe nunmehr wie ein vergeblicher Aufwand, am Ende würde die Brut doch sowieso tun, was sie schon immer getan hatte. Nichts, aber auch wirklich gar nichts, würde sich je ändern, obschon die schwarze Witwe so gut wie alles dafür gegeben hatte. Immerhin hatte sich Mia bislang nicht auf irgendeinem Heuboden versehentlich einen dicken Bauch einfangen, vielleicht weil sowas zu keinem ihrer Kleider gepasst hätte. Darüber hinaus tändelte Mia bloß mit stattlichen jungen Burschen, schien sich die schwarze Witwe damit zu trösten, dass hoffentlich diese Tochter eines Tages eine gute Partie machen würde. Wenn Mia schon kein eigenes Einkommen erwirtschaften wollte, dann sollte wenigstens der zukünftige Gatte für den Verlust aufkommen.

      Und wahrlich, Mia schäkerte einzig mit solchen, die was hermachten, aufgeplustert wie sie selbst, waren es nur ausgesuchte Exemplare, die es sich leisten konnten, Eindruck zu schinden. Sie schneiderte sich aus Resten den eleganten Zwirn selbst auf Maß, andere aber mussten teuer dafür bezahlen, wirkte wohl auch das unwiderstehlich, weshalb Mia meinen Großvater völlig übersehen sollte. Der aber blieb eigentümlich gelassen, manchmal würden die Dinge eben dauern, das sei keine Frage der Zeit, sondern der Geduld, schien er auf ein Wunder zu warten. Wider jede Wahrscheinlichkeit war er sich ganz und gar sicher, am Ende würde Mia seiner gewahr werden und sie würde ihn heiraten, daran hatte er keinen Zweifel. Daran hatte er sowas von überhaupt gar keinen Zweifel, weil die Welt es doch gut mit ihm meinte, also mit dem, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Zwar führen fixe Ideen weder notwendig zum Erfolg noch sind sie per se schädlich, aber sie zeugen meist von einer ausgewachsenen Sturheit, die oft genug befremdlich wirkt. Und so gesehen war mein Großvater bemerkenswert befremdlich.

      Das erste Mal sah er Mia also bei diesem einen Fest und auf all den folgenden Festen, sei es zur Ehrung des Heilands oder Huldigung irgendeiner anderen vergötterten Figur, bietet dieser Kult der Heiligkeit jene gelegentlichen Anlässe zum feiern, ohne die ansonsten ja jeden Tag ein Fest gefeiert werden müsste. Und so sah er sie gelegentlich, wie sie mal mit dem einen, mal mit dem anderen tanzte, auch sah er, wie sie ihn übersah, während er vermeinte sie zu lieben. Das lag zweifellos an seiner hormonellen Ausstattung, drangen wahllos irgendwelche Pheromone in ihn ein, rüber von der Tanzfläche bis zu ihm hin, ganz weit hinten in der Kapelle an der Pauke stehend. Dies erscheint als der Zauber der Liebe, wenn der Birkenborkenkäfer, etliche Birken von ihm entfernt, das Ziel seiner Begierden erkennt, fühlte sich mein Großvater wegen genau den gleichen scheinbar magischen Kräfte zu Mia hingezogen. Ansonsten hatte sie ein hinreißendes Lachen, alldieweil er hartnäckig verbissen sein konnte.

      Noch während er geduldig wartete, sollte ihm ein Vetter unverhofft einen Job bei der Post vermitteln und ebenso unverhofft fasste mein Großvater den weitreichenden Entschluss, seine Freunde im Wald zu verlassen. Von der sorglosen Forstarbeit zur Post kam das nachgerade einem kometenhaften Aufstieg gleich, der ihn raus aus dem Wald beförderte, raus aus der zerschlissenen Klamotte und rein in eine dunkelblaue Uniform mit silber scheinenden Knöpfen dran, mochte es auch bloß Blech sein. Das war mehr als er je gewollt hatte, mit einer schicken Montur, einem besseren Verdienst und einer Anstellung auf Lebenszeit wurde mein Großvater ein Diener des Staates, als der noch prall und satt gehalten wurde, wohingegen zum heutigen Schönheitsideal bekanntlich die Bulimie gehört, erbricht der schlanke Staat inzwischen sogar seine Bürger. Doch wegen all dem Gedöns hätte mein Großvater den Wald nicht verlassen, denn er liebte die Forstarbeit, die frische Luft, seine Freunde, den Birkenborkenkäfer. Zur Post ging er einzig und allein wegen dem Führerschein, den er machen musste. Eine verlockende, weil seltene Gelegenheit in der Gegend, in der Zeit und mit seinem Portefeuille. Und so wurde mein Großvater Briefträger in Zweiburgen und den kleinen Dörfern drumrum. Da kurvte er nun in schmucker Uniform das schmucke Postauto durch die Landschaft und alle kannten ihn, viele warteten auf ihn, für manche war er die Lichtgestalt, draussen auf den abseits liegenden Höfen war er wie die einzige Verbindung zur Außenwelt. Einen glücklicheren Menschen, als diesen Briefträger, dürfte es weit und breit nicht gegeben haben.

      Und während der Briefträger auf ein Motorrad sparte, sollte Mia immer noch tanzen, wenngleich bei zunehmend schwindender Auswahl. Mit dem adretten Sohn des Bürgermeisters tanzte sie längst nicht mehr, nachdem sie seinen Antrag abgelehnt hatte, ehelichte der die Tochter vom Bäcker, worauf Mia mit dem schicken Sohn vom Apotheker die Hüfte schwang, bis sie auch dessen Antrag ablehnte, blieb Schritt für Schritt kaum einer für ein Tänzchen übrig. Herrjemine, die Jungs wollten alle immer gleich heiraten, das verdarb wirklich jeden Spaß.

      "Es machen wie die Bienen." Das war es, was Mia wollte. "Von Blüte zu Blüte."

      Stattdessen dachten alle bloß an das Eine, schien keiner weiter als bis zur Hochzeit zu denken, obschon sogleich danach das Fest zu Ende wäre. Fortan ginge er lustlos seinen Geschäften nach, sie würde sich umgehend Holzschuhe anziehen und in einer unbefransten Schürze die undankbare Hausarbeit erledigen, tagein, tagaus, müsste sie ohne Erbarmen beizeiten auch noch seine Kinder kriegen. Und das alles für einen Mann, der mit der Hochzeit aufgehört hatte zu denken und dem es alsbald selbstverständlich werden würde, dass sie ihm die stinkenden Socken wäscht, jede einzelne Socke im Trog mit Seife schrubben und rubbeln, seine zu lange benutzen Unterhosen dazu. Die würde er sich gewiss nicht selber waschen wollen. Und Mia eben auch nicht. Sie tanzte viel lieber. Allerdings gab es da eine Sache, eine nicht ganz unerhebliche Sache, die auf gar keinen Fall passieren durfte: Mia musste unbedingt vermeiden eine alte Jungfer zu werden. Dieses höchst bedrohliche Gebrechen suchte ausschließlich unverheiratete Frauen heim und war weit schlimmer als jeder derb grobe Ehemann. Die einzige Medizin gegen den elenden Zustand einer alten Jungfer, war die Ehe, ganz egal wie elend es einer Ehefrau erginge.

      Mia hatte unverdrossen weiter getanzt, bis die ersten alarmierenden Zeichen nicht mehr zu übersehen waren, als kaum mehr einer blieb, der sie zu einem Tanz aufforderte. All die vortrefflichen Sprösslinge der ehrenwerten Gesellschaft hatten nach und nach geheiratet und sie mit jeder Hochzeit mehr und mehr zu einer alten Jungfer gemacht, schien das bald unabwendbar ihr Schicksal zu werden. Als hätte sie sich nach einer letzten Rettung umgesehen, fiel ihr Blick fast unvermeidlich auf ihn, sie kannte ihn zwar längst vom sehen, ein Dorf eben, aber erst jetzt sollte sie ihn eingehender betrachten. Dort stand er am Rand der Tanzfläche neben seinem Motorrad, als hätte er dort die ganze Zeit gestanden und auf sie gewartet: Edmund, mein Großvater. Er würde meine Großmutter auf Händen tragen, wohin er wollte.

      Die schwarze Witwe rang nach Luft, sie musste sich setzen, um nicht umzufallen. Der Briefträger! Mia wollte den Briefträger heiraten.

      

      Bevor Mia und Edmund heiraten konnten, mussten sie erst noch eine nebensächliche Formalität erledigen, nur noch eben kurz den Nachweis erbringen, dass sie in der dritten Generation Arier waren. Das machte man jetzt so. Obschon ihr Stammbaum sie als Arier auswies, waren sie nicht gerade arisch, das sollte groß, blond und blauäugig sein, aber diese läppische Unstimmigkeit schien nicht sonderlich wichtig. Sowieso wollten sie sich keine großen Gedanken machen, sondern bloß heiraten: Edmund Mia, seit er sie das erste Mal gesehen hatte und Mia Edmund, um nicht als alte Jungfer zu enden. Somit hatte dieser belanglose Nachweis rein gar nichts mit ihnen zu tun, den mussten schließlich alle vorlegen und sowas normales konnte doch auf gar keinen Fall verrückt sein. So gilt, nach der wunderbaren Auslegung einer herrlichen mathematischen Kurve, als normal, was häufig vorkommt. Demgemäß wird auch der Wahnsinn normal, sobald er häufig auftritt und sodann erscheint es vernünftig, völlig verrückt zu sein. Wie Mia und Edmund wollten ganz viele doch nur heiraten, arbeiten, einfach nur leben, so haben sie sich bei diesem unwichtigen Nachweis eben nichts gedacht, außer vielleicht jene, die ihn nicht erbringen konnten, aber das war dann deren Problem – nicht meins.

      Nach der Hochzeit zog Mia mit zwei Koffern zu Edmund in das kleine Haus, so war das vorgesehen, weil das schon immer so gemacht wurde. Wie ein Stück Vieh in den Stall gehörte, sollte die Ehefrau in das Haus des Ehemanns, um sich zuerst diesem, anschließend seiner Familie unter zu ordnen. Und auch


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