Liebe jenseits von Paarbeziehungen. frieder hentzelt

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Liebe jenseits von Paarbeziehungen - frieder hentzelt


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gegeben werden.

      Zukünftige Entwicklungen lassen sich zwar erahnen, aber nicht sicher vorhersagen. Unterschiede lassen sich derzeit wahrscheinlich am ehesten im Bereich der Sexualität, seiner Deutung und seiner Bewertung finden, weshalb dem ausdrücklich unter dem Stichwort der „Interpunktionsregeln“ nachgegangen werden wird. Im weiteren Verlauf des Nachdenkens wird die schwule Perspektive nicht mehr thematisiert werden. Sie wird einfach als gegeben vorausgesetzt. Zuerst aber sollen die Umstände und Bedingungen heutiger schwuler Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland angeschaut werden.

      Geschichte einer Annäherung

      Im Jahr 1919 wurde in einigen deutschen Kinos ein Film gezeigt mit dem Titel „Anders als die Andern“. Ein schwuler Violinvirtuose wird von einem Stricher erpresst, weigert sich aberirgendwann zu zahlen und wird wegen Vergehens gegen den §175 StGB vor Gericht gestellt. Der Film endet damit, dass die Hauptfigur den gesellschaftlichen Druck, den sie nach der Bloßstellung erlebt, nicht mehr erträgt und sich das Leben nimmt. Der Film gilt als der erste in dem damals noch jungen Genre, der das Thema Homosexualität aufgreift. Ganz sicher spiegelt sich in ihm recht gut die Situation von Männern, die Männer begehren, im ausgehenden deutschen Kaiserreich. Erpressungen waren angesichts der damaligenRechtslage keine Seltenheit und es war nur eine verschwindende Minderheit, die die Lustunter Männern einfach hinnehmen konnte. Vor allem aber kamen Schwule als diejenigen vor,die eben anders als die Anderen sind. So wurden sie von anderen gesehen und so sahen sie sich selbst.

      Für Schwule bot die Vorstellung, sie seien irgendwie anders als die Anderen, zunächst große Vorteile. Ihr Begehren war damit der Sphäre moralischer Beurteilung entzogen. Niemand sucht es sich aus freien Stücken aus, anders zu sein. Es ist ein Zustand, in dem man sich ungewollt einfach vorfindet. Wo keine Freiwilligkeit vorliegt, ist es auch nicht möglich zu verurteilen, oder von Männern zu sprechen, die sittlich verkommen sind oder sich unerlaubten Lüsten hingeben. Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der sich in dem erwähnten Film in einer Szene selbst spielt, legte in seinem Kampf gegen die strafrechtliche Verfolgung der Sexualität unter Männern immer sehr großen Wert auf diesen Aspekt. In einigen populärwissenschaftlichen Aufsätzen bezeichnete er Männer, die andere Männer begehrten, als Angehörige eines dritten Geschlechts.

      Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass diese zunächst sehr griffige Bezeichnung letztlich genauso schwammig bleibt, wie die Bezeichnung der Schwulen als die Anderen. Es wird nicht klar, was damit eigentlich inhaltlich gemeint sein soll. Nun darf allerdings nicht übersehen werden, dass es bei dieser wissenschaftlich unhaltbaren Position nicht darum geht, das Wesen schwuler Männer genauer zu bestimmen, sondern darum, Argumente gegen eine juristische Verfolgung der Sexualität unter Männern zu liefern. Bis zum heutigen Tage findet sich dieses Argumentationsmuster in den Äußerungen und dem Selbstbild zahlreicher schwuler Männer, insbesondere dann, wenn von außen moralische Gründe gegen deren Art zu leben vorgebracht werden.

      Bei allen Gefahren, die zunächst für die Betroffenen bestehen blieben, konnte sich durch diese Sichtweise etwas wie ein schwules Leben etablieren. Mit dem Rückgang der juristischen Verfolgung – in der Bundesrepublik Deutschland nach der großen Strafrechtsreform von 1969 – gab es geradezu eine Explosion in der Entwicklung dessen, was man damals die schwule Subkultur nannte. Dabei ging es um wesentlich mehr, als um die Bereitstellung von Orten und Institutionen, die die Aufnahme von sexuellen Kontakten unkompliziert und unverbindlich ermöglichten, auch wenn das selbstverständlich seine Bedeutung hatte und behielt. In der Literatur, der Philosophie, der Psychologie, dem Unterhaltungssektor und in vielen anderen Bereichen, sogar bis in Sprache und Gestik hinein entwickelte sich ein eigenständiges schwules Leben. Das wurde zum Teil heftig abgelehnt, zum Teil überschwänglich begrüßt. Es gab Stimmen, die hier ein Zeichen für den kommenden Niedergang des Abendlandes erkennen wollten, wohingegen andere in der schwulen Subkultur Elemente eines kommenden freieren, echteren und besseren Lebens sahen. Dieses Spiel brachte zum Teil bunte Blüten hervor. Es war nicht nur die heterosexuell geprägte Umwelt, die in den Schwulen die Anderen sah und sie in diese Position drängte, es waren auch einige Schwule selbst, die sich so begriffen und inszenierten.

      Neben dieser Strömung innerhalb der schwulen Welt gab es aber immer auch eine entgegengesetzte, die in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat und augenblicklich wohl die bestimmende ist. Dadurch dass es immer selbstverständlicher geworden ist, seine sexuellen Vorlieben öffentlich zu machen, ist die Zahl der Menschen, die von sich selbst und von anderen als schwul bezeichnet werden, deutlich gewachsen. Dabei wurde klar, dass es sich bei ihnen oft um ansonsten völlig unauffällige Zeitgenossen handelt. Auch Menschen, deren Beruf oder Privatleben ein hohes Maß an Normalität verlangen, gaben sich als schwul zu erkennen. Man kann sagen, dass schwule Männer auf diese Weise immermehr den Nimbus des Fremden und „Anderen“ verloren haben. Während der großen Aids-Katastrophe von 1981-1994 wurde diese Entwicklung massiv vorangetrieben. Viele Betroffene hätten ihr Sexualleben wahrscheinlich lieber verheimlicht, es wurde aber durch Krankheit und Tod in die Öffentlichkeit gezerrt.

      Zunächst sah es allerdings absolut nicht nach Verbesserung für die Schwulen aus. Man erinnere sich etwa an die Äußerungen von Peter Gauweiler, der die Infizierten gesellschaftlich isolieren wollte, oder den bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair, der von einer willkommenen Ausdünnung des gesellschaftlichen Randes sprach. Das jämmerliche und grausame Sterben so vieler Männer aber löste angesichts der empörenden Äußerungen eine Welle der öffentlichen Solidarität aus. Viele Prominente trugen die rote Schleife als Zeichen der Solidarität mit den Aidskranken.

      Schwule, die bis dahin ihre Sexualität eher geheim hielten, fanden den Mut, an die Öffentlichkeit zu treten. Daneben kamen diejenigen, die sich angewidert oder negativ über Schwule äußerten, immer mehr in die Defensive. Den Schwulen kam eine neue Rolle zu. Sie waren nicht mehr die Anderen. Sie waren jetzt die organisch Kranken oder die von Krankheit bedrohten. Im Rahmen der Politik, die sich in der Bundesrepublik Deutschland allmählich unter dem Stichwort „Aids geht uns alle an“ durch setzte, hörte schließlich auch diese Krankheit auf, ein exklusives Merkmal von Schwulen zu sein, was der Normalisierung der Schwulen weiteren Vorschub leistete.

      Wesentlicher für das Bild schwuler Beziehungen als alles bisher Beschriebene dürfte aber eine andere Entwicklung gewesen sein. Schon in den frühen Tagen der Schwulenbewegung gab es Vertreter, die die Fixierung auf ein bestimmtes sexuelles Verhalten monierten. Für sie waren Schwule nicht nur Männer, die andere Männer begehrten und mit ihnen Sex hatten. Ihnen war wichtiger, dass es Männer waren, die andere Männer liebten. Einige wollten sogar das Wort Homosexualität durch den Ausdruck Homophilie ersetzen, um von vornherein die Liebe in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Dabei wäre es sehr arrogant zu behaupten, dass hier nur die finstere und anrüchige Sexualität durch die edlere und weniger anstößige Liebe ersetzt werden sollte. Man hat zu sehen, dass auf diesem Wege für viele Schwule ihr Selbsterleben wesentlich besser getroffen wurde. Mit der Zeit wurde dabei immer mehr die Ähnlichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau mit der Liebe eines Mannes zu einem anderen Mann betont. Einem Ratgeberbuch vor allem für die Eltern schwuler und lesbischer Kinder gab der Psychologe Thomas Grossmann den Titel „Eine Liebe wie jede andere“. Damit verlieh er einem zentralen Aspekt einen treffenden und griffigen Ausdruck. Von etwas naiven Emanzipations- und Gleichberechtigungspolitikern ist aus dieser Entwicklung die Forderung nach einer juristischen Gleichstellung von lesbischen und schwulen Paaren mit Eheleuten oder einer Öffnung der Ehe abgeleitet worden.

      Das, was in nicht einmal 100 Jahren geschehen ist, kann durchaus als atemberaubend bezeichnet werden. Es begann mit denen, die anders waren als die Anderen und mündete darin, dass sie eine Liebe haben, wie jede andere. Dabei hieße es, die Bedeutung der Schwulenbewegung deutlich zu überschätzen, wenn man in ihr die einzige oder die wesentliche Triebkraft dieser Entwicklung sehen wollte. Hätte sich in dieser Zeit nicht auch das Verhältnis von Mann und Frau und die Beziehung zwischen beiden an verschiedenen Stellen fundamental verändert, dann wäre auch Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen nicht zu einer Liebe wie jeder anderen geworden.

      Diesen Veränderungen kann und soll hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Nur zwei Punkte, die unmittelbar ins Auge fallen, sollen im Folgenden beleuchtet werden. Der erste Aspekt


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