Tag und Nacht. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.tiefere Hin- und Hineinsehen in den Menschen die nötigen Erkenntnisse bringt. Sie erst machen das Leben und seine Umstände verständlich, wie sie einst von der weißen Apartheid durch die respektlose pigmentbedingte Wegnahme der Integrität und Menschenwürde den schwarzen Gesichtern aufgezwungen wurden.
Das Kräuselhaar entspringt der genetischen Wurzel ebenso wie der Melanozytenreichtum in der Haut und das Dunkelbraun der Regenbogenhaut. Doch gibt es Scheitelmitten, wo sich die ergrauten Haare sträuben, als würden die Gedanken darunter aus den Köpfen schießen. Leute mit Hüten, um was zu verstecken, wären fehl am Platz. Auch die Hälse waren dünn und faltig. So sahen schon die jüngeren Menschen alt aus. Selbst an Kindern waren die Merkmale des vorschnellen Alterns zu sehen. Die Wangen der Menschen waren eingefallen, und die Zeichen der Lebensverkürzung waren offensichtlich, dass es keine Frage war, dass den Menschen geholfen werden musste, und das so schnell wie möglich.
Selbst in der Muttersprache machen Worte große Augen, wenn sie den Verschrägungen und Verzwingungen gegenübergestellt werden, als sollten Worte herüber und nachgereicht werden über die Brücke der vertrauten Sprache. Beim genauen Hineinhören treffen die Worte jedoch nicht zu. Sie fallen, als seien die Brückenpfeiler schwach oder gesprengt worden, nach dem Herausdenken schon ins Wasser, bevor sie die Zunge ausgestoßen hat oder an der Zahnfestung steckengeblieben waren. Worte kann man sich sparen, wenn die Treffsicherheit von geringer Wahrscheinlichkeit ist. Man sollte Worte, weil sie verkehrt sein werden, ins Hirn zurückheben, selbst dann, wenn man sich in der Muttersprache zuhause zu fühlen glaubt. Was soll man denn sagen, wenn man sich in den Augen des andern bereits spiegelt und das nachgesetzte Wort auf dem Spiegel verschwimmt oder sich sonstwie verzerrt? Nichts soll man sagen, solange die Augenspiegelung in vollem Gange ist. So geht vieles über die Hutschnur bei Sachen, egal ob Haupt- oder Nebensache, die eigentlich noch darunter sind.
Auch wenn das Netz der Muttersprache einem vertraut ist, rutschen trotzdem Worte oder Wortteile durch die Maschen. So kann beim Auseinanderbrechen des Wortes ‘Abfall’ das Teil ‘Ab’ oder das Teil ‘fall’ durch das Silbenfilter rutschen. Das geschieht oft dann, wenn man es gar nicht will. Wie sich in der Musik Tonreihen von Akkorden unterscheiden, das Horizontale im Fugalen gegen das Vertikale im Zusammenklang absetzt, so geht es in der Sprache mit den Worten ‘liegenbleiben’ und ‘aufstehen’ oder ‘schwimmen’ und ‘hochklettern’. Wie im Leben allgemein, kommt es beim Sprechen auf die richtige Atmung an. Das Ankoppeln der Worte muss so ausgesprochen werden, als bewege sich alles im Fluss. Es ist das Kommen und Gehen, das doch fließend bleibt. Da fließt ein Wort dem anderen hinterher. Sie werden auf den Wellen der Sprache getragen und das bis weit weg. Das Sprachbett ist da, bevor die Worte fließen. Die Konturen sind vorgegeben, auch wenn sie unausgesprochen bleiben, als schwebe die Sprache bereits über den Dingen, verbindet sie miteinander und löst sie dann voneinander bis ins Silbige zurück. Auch ist denkbar, dass Sprache in den Dingen drinsteckt. Es ist oft schwer, das treffende Wort für die Situation des An- und Abkoppelns zu finden. Es muss gesucht, der Faden geschnürt und in der richtigen Höhe gefühlt und geführt werden, wenn das Wort aus der Ganzheit wie aus einem Fels oder dem Eisberg herausgebrochen beziehungsweise ‘losgeeist’ werden soll, um über die Brücke zu kommen, wobei es auf dem Gleis vom einen Brückenende zum andern ‘gefahren’ wird. Es ist die Mitteilung mit dem Mitgeteiltwerden (anteilig geteilt werden), dass es auf beiden Seiten das Leben gibt, das man in seiner Mitteilung herüberhören muss, um in der Antwort das Wort zurück zu sprechen.
Aus der Vielbödigkeit der Sprache trotz des Zurufs:
Sprache,
bleib mir nah,
ich möchte noch erzählen,
wie’s war, als ich in die Steppe ging.
Sprache,
auch du bist verwundet
nach dem, was geschehen ist.
Auch du bist wirklichkeitsverwundet.
Sprache,
führ mich zum Wort zurück
oder lass mich ein neues finden,
um aus der Antwortlosigkeit herauszukommen.
Sprache,
wenn du verstummst,
verglüht der Stein,
mit ihm der Mensch,
der fürchterlich erschrak,
als er hindurchging,
dir sein Vermächtnis anvertraute,
bevor er selbst die Sprache verlor.
Sprache,
sag, wie Reden gesprochen wurden
mit den tausend Finsternissen.
Sag an, was nach den Reden kam,
als Augen in Tränenmeeren ertranken und Kinderstimmen mit ihren Müttern verstummten. *1
In der Sprache steckt die Rache der Rechtfertigung und des Widerspruchs ebenso wie das Ach des Erstauntseins mit dem zweifelnden Aber. Es führt über den Nennweg des Gegenstands in der Sache, in dem das Verhalten drinsteckt zur Definition in der Relation von Ding und Idee in der Ganzheit und seiner Sinnhaftigkeit. Aus dem Problem der Wortfindung mit den hundert Prozent der Treffgenauigkeit ist ableitbar, dass das Maß der Dinge in der Vollständigkeit mit Worten nur begrenzt zu fassen ist. Der Großteil mit dem Nichtmessbaren liegt weiter in der Idee, als sei er in ihr zurückgeblieben. Deshalb gibt es noch Hoffnung, dass neue Entdeckungen an den Tag kommen und mit Hilfe der bisherigen Entdeckungen in den Raum des Nenn- und Messbaren befördert werden.
In der Sprache der Entdeckungen, der Literatur und der Kunst lauert aber auch der Teufel in Menschengestalt, um zu töten und das zu zerstören, was durch die Schöpfungen der Menschheit zugute kam. Oft sprechen Verräter und Mörder, das nicht nur in der Grammatik, dieselbe Sprache wie die Menschen der ehrlichen Arbeit, des Anstands und Respekts mit der spontanen Hilfsbereitschaft. Es gibt verstummte Gräben, Schneisen, Schächte, die nicht zu übersehen sind. Es ist eine Binsenwahrheit, dass sich die Sprache in sich selbst wegstürzt, wenn es mit dem Leben nicht mehr stimmt. Nicht anders ist es mit dem Begriff ‘Heimat’, der seine Flecken und Löcher dann bekommt, wenn die Sprache heimatlos und die eines Emigranten wird. Da werden Zusammenhänge mit Kürzeln und der Bildsprache zugedeckt, weil die Worte im Kopf und auf der Zunge, wie sie in der Kindheit und Jugend gesprochen wurden, nicht mehr gesagt werden können, ohne die abgerichteten Hunde der Diktatur an den Hals zu bekommen.
Wenn der Ernst, der tödliche, im bunten Gewand des Clowns daherkommt, der seine Späße zum Besten gibt, dann ist meist die Endphase erreicht. Die Sprache des zweiten Bodens kommt zum Tragen, wenn vom ‘Kartoffelputzer’ auf dem Diamantenfeld die Rede ist. Verbales Funkeln zündet keinen Blitz, und ein Blitz macht keinen Trompetendonner, der furchtbar dröhnen und rollen soll, damit der Sturzregen einsetzt, um das Ungeziefer zu ertränken, die Luft klar und den Weg frei zu machen für das, was für die Menschen nützlich ist. Wenn hier von den Menschen die Rede ist, dann sind es jene, die hilf- und wehrlos, die verletzt und krank sind. Es sind die Menschen mit den ‘leeren’ Händen, die verbraucht und schwach geworden sind, um aus der Tiefe des Elends und der Armut herauszukommen.
Der Schwarze musste sich von dem Gedanken befreien, dass es für ihn und seine Familie jemals ein Leben geben würde, in dem es die Sicherheit und Chancen des Aufstiegs und die Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft für seine Kinder gab. An einen bescheidenen Wohlstand sollte er erst gar nicht denken, das sollte er sich gründlich aus dem Kopf schlagen. Er war nicht in diese Welt geboren, um so etwas erwarten zu können, weil das dem europäischen Denken nicht entsprach. Das schon nicht, als die europäischen Mächte 1884 in Berlin den Plan der Aufteilung und Kolonisierung Afrikas fassten.
Dass der Herrschaftsgeist, der mit der Zerstörung afrikanischer Traditionen einherging, sich tief in die Hirnwindungen der weißen Köpfe eingegraben hatte, konnte deshalb nicht verwundern. Dass die Herrschsucht die Köpfe aber bis zum Wahnsinn trieb und noch nach dem Ableben in den von Alzheimer geschrumpften Windungen neben anderweitigen