Licht am Ende vom Filz. Julianne Becker
Читать онлайн книгу.hielt ich mich halbwegs mit Filzen an der neuen Puppe zusammen, um nicht völlig verrückt zu werden. Und die sollte sehr groß und sehr schön werden. Das monotone Sticheln in der Wolle beruhigte mich und es gelang mir dadurch viel besser, alles in mir einfach laufen zu lassen.
Mittlerweile hatte ich die Körperteile der Puppe einzeln und oft tränenüberströmt in grober Wolle modelliert und fügte sie nun mit Wollstreifen zusammen zu einem prachtvollen, sehr schlanken Körper. Ich wusste später nicht mehr, wie oft ich die Einzelteile erneut ansetzte, korrigierte, veränderte, es dauerte ewig, wirklich, bis ich das Gefühl hatte, wenigstens die Form des Körpers und die Länge der Gliedmaßen stimmte, weil alles harmonisch zusammenpasste. Nun musste die Puppe noch mit Haut überzogen werden, aber ich besaß keine Wolle in hautfarben, ich musste sie mischen. Und während ich so vor mich hin arbeitete, löste sich dieses Gefühl gänzlich in mir auf, die Göttin für immer verloren zu haben, ich fühlte mich ganz glück-seelig und dachte an die Ankündigung aus dem Vortrag, dass das, was ich in all den Leben danach für unmöglich gehalten hatte, das Unfassbare, nun doch passierte: Die Göttin, meine Göttin, kam zurück, war bei mir und ich spürte sie wieder ganz deutlich, außer wenn ich gerade in den nächsten Prozess gestürzt wurde. Nun wusste ich ja auch, mein Puppe sollte eine Göttinnen-Statue werden. Und in diesen Gedanken und Gefühlen vollendete ich meine prächtige Puppe, die sogar im Sitzen auf die stattliche Höhe von 60 cm kam.
Ich verbrachte einen ganzen Tag damit, meine Puppe einfach nur zu halten, zu streicheln und zu berühren. Dazu lag ich auf dem Sofa, in meine Kuscheldecke gehüllt und mit Blick zum Altar. Dort stand St. Germain, eine andere Puppe, und die hielt mir den Raum. Mit ihr stand die Tür zu St. Germain und dem Tempel der violetten Flamme immer einen Spalt breit offen. Ich hatte mir Kerzen und Räucherstäbchen angezündet und Musik auflegen wollen. Aber nichts passte, so viel ich auch suchte. So lag ich da in Stille. Es war soooo wunderschön! So, als würde ich meinen eigenen Körper im Arm wiegen und mit ihm das Gleiche tun, und ich heulte getröstet in meiner Einsamkeit. Diesmal waren es Tränen des Loslassens, der Reinigung, Heilung und Erneuerung. Die Göttin war zurück, in mir, die Tür zur Göttin hatte sich erneut geöffnet, ich war pure Freude. Und wie um mein Glück noch perfekt zu machen, sprach die Göttin zu mir. In meinem Kopf hörte ich wieder die lautlosen Worte:
"Die Göttin ist zurück. Ich bin Isis, der weibliche Weg in diesem Universum. Du bist ganz und geheilt. Das weibliche Mysterium wurde nie entweiht, es hat sich nur entzogen."
Es kam mir vor, als würde ein ganzer Berg Bedrückung von mir abfallen, eine immense Heilwoge fegte durch meinen Körper. Und ich spürte, dass ich mit meinem Körper, meinem Geist und meiner Seele – und mit allen Männern und der Welt – endlich in einen tiefen Frieden kam.
Und ich habe mich so gefreut!
Am nächsten Tag drängte es mich, meine Göttin anzuziehen. Dafür brauchte ich Informationen, ich hatte ja eigentlich keine Ahnung von Göttinnen und was die sie so anzogen. Von meiner Schwester, die wunderschöne Skarabäen-Käfer aus grünen Edelsteinen gravierte und mir einmal einen Skarabäus mit der Isis auf der Rückseite schenkte, wusste ich nur, dass es sich bei der Isis um eine ägyptische Göttin handelte, aber das war's auch schon. Ich hatte mich in diesem Leben noch nie damit beschäftigt.
Wie wurde Isis dargestellt im alten Ägypten? Welche Farben, welche Symbole begleiteten sie? Denn nun musste ich ja sehen, wie es weiterging. Also zog ich hochmotiviert los in die Berliner City und fand auf dem Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz einen Stand mit ägyptischen Motiven. Und dort kaufte ich alles, was der an Isis zu bieten hatte: Zwei Stofftaschen, eine Papyros-Zeichnung und einen Henkelkaffeebecher.
Gleich darauf betrat ich ein Einkaufszentrum und in meinem Ungeschick schlug die Tasche heftig gegen die Drehtür. Upps! Der Henkel am Becher zersplitterte laut und mir war, als hätte das eine Bedeutung, um mich herum spürte ich zudem ein Feld von Zorn. Zu Hause angekommen, zündete ich mir eine Kerze an, packte die gekauften Sachen aus und fragte nach innen, was los sei. Ich spürte wieder diesen puren Zorn, so mehr die Kraft selbst ohne irgend einen Zerstörungswillen, es ließ sich schlecht beschreiben. Diesmal aber als Stimme in mir und ich hörte deutlich:
„Ich bin Isis. Wie kannst du annehmen, dass eine patriarchale Souvenir-Kultur dir sagen kann, wie ich aussehen will? Was sollen diese alten Symbole und Farben? Ich bin zu dir gekommen, damit du mich so machst, wie ich jetzt aussehen will. Also höre mir zu!“
Whow! Was für eine Kraft floss da in mir! Und Isis hatte ja so recht. Betroffen warf ich alle Souvenirs weg und befragte stattdessen meine innere geliebte Isis, was sie anziehen wolle. Und fortan hielt ich mich daran. Einen Vormittag z. B. waren wir beide nur unterwegs, um Kissen für ihren Thron zu kaufen, die sie aber hinterher alle wieder verwarf. Die Göttin hielt mich sehr anspruchsvoll und königlich-weiblich in Atem, und in ihrer "edlen" Kompromisslosigkeit erinnerte sie mich ein wenig an Lady Africa.
Aber mittlerweile war es Dezember und ich fühlte mich nicht mehr in der Lage, ihre Wünsche weiter zu erfüllen, es lagen noch einige Bestellungen vor, die ich zu Weihnachten versprochen hatte und so setzte ich die noch gesichtslose Puppe mit dem Einverständnis der Göttin auf einen provisorischen Thron, hüllte sie in Tücher und vertröstete sie bis ins nächste Jahr.
Es war in der Woche vor meinem Geburtstag im Januar und ich hatte, wie ich glaubte, schon wirklich alle Verletzungen durch Männer in diesem Leben erneut durchlebt und losgelassen, und es bestand da wohl auch ein Zusammenhang zu den Themen "Göttin" und "Seelenpartner". Seit Sanat Kumaras Bemerkung zu Tom ließ ich außerdem all meine Sehnsüchte und Wünsche betreffend eines Partners hochkommen, ohne sie gleich wieder zu verdrängen, und außerdem trauerte ich um die vielen vergeblichen Hoffnungen, die ich mir in diesem Leben schon gemacht hatte.
Meine Geburtstagsstimmung hatte mich gerade in eine kindliche Vorfreude bezüglich Seelenpartner versetzt, in die Gewissheit, das würde nun werden mit Tom und mir, als Sanat Kumara unvermittelt in einer Plauderei zu mir sagte:
"Tom hat sich für eine andere Frau entschieden."
Was? Ich konnte es nicht fassen. Ich fragte nach. Ja, war er denn nun mein Seelenpartner oder nicht?
"Doch, Tom ist dein Seelenpartner, aber er hat sich für eine andere Frau entschieden. Das kommt vor."
Hatte ich das nicht verdient, so viel Glück? Offensichtlich nicht. Na klar, so war es doch schon immer in meinem Leben gewesen.
"Tom hat sich für eine andere entschieden!"
Schon in mein Poesiealbum hatte mir eine Schulkameradin damals geschrieben:
">Und ich habe mich so gefreut!< sagst du vorwurfsvoll, wenn dir eine Hoffnung zerstört wurde. Du hast dich gefreut, ist das nichts?"
Hatte dieses Mädchen geahnt, wie mein Leben verlaufen würde? Und nun das! Die aufgestiegenen Meister hatten mich doch ganz einfach verarscht! Meiner Freundin Sabeth, die gerade anrief, sagte ich, dass ich gerade schon wieder das ätherische Button am Pullover trage, auf dem steht:
"Channeln, nein danke!"
Ich war wütend, traurig, kurzum: Ich tobte schon wieder. Und heulte, heulte und heulte. Natürlich wird der Leser jetzt sagen, ja, wen hat sie denn da gechannelt, aber das muss ich als eine unzulässige Frage entschieden von mir weisen, denn ich hatte genügend Channelings erlebt, um für mich zu erkennen, dass man keinem die absolute Autorität geben sollte, jedes fühlte sich etwas anders an, sagte etwas anderes oder schon wieder das Gleiche. Aber vor allem hatte ich keine Lust mehr darauf, mir unausgesprochen unterstellen zu lassen, dass ausgerechnet ich kein sauberer Kanal sei. Nicht einmal von mir selbst! Es könnte schließlich ja auch an den anderen liegen und außerdem, die hätten es mir vielleicht auch noch bestätigt, was Sanat Kumara mir da sagte...
Aber wie sollte ich das nun einordnen? Ich kannte natürlich die Ausreden von Medien (Channel), wenn nicht eintraf, was sie vorhergesagt hatten: Der andere habe sich eben umentschieden und wäre nicht seiner Seele und damit seiner besten Lebensspur gefolgt. Aber was sollte dann das ganze Konzept von Seelenpartner, wenn dann sowieso alles so lief wie im übrigen Leben? Ich witterte plötzlich eine wichtige Einsicht.