Der große Reformbetrug. Udo Schenck
Читать онлайн книгу.seine wesentlichen Konturen gaben. Letztendlich fand so ziemlich jeder seiner Facon gemäß eine Aufgabe. Der Autor kam auf die Idee eine Sonnenuhr zu bauen, wozu er sonst womöglich sein ganzes Leben lang nicht mehr gekommen wäre. Zum Glück wurden wir das gesamte Frühjahr und den Sommer hindurch von einer gut gelaunten Sonne verwöhnt, sodass da auch einige Stunden des amüsanten Zusammenseins in angenehmer Erinnerung bleiben werden.
Wir hatten allerdings keinen Bauwagen zur Verfügung, in den wir uns bei schlechtem Wetter hätten begeben können, noch wurden uns Arbeitskleidung oder Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt, abgesehen von den billigsten Arbeitshandschuhen. Und sonst hantierten da einige von uns mit elektrischen Garten- und Baugeräten, mit denen sie nie gelernt hatten umzugehen. Versicherungstechnisch befanden wir uns da auf ziemlich dünnem Eis. Zudem wurde unsere Tätigkeit mehr oder weniger beständig von der Frage nach unserer beruflichen Zukunft überschattet bzw. von dem nicht unberechtigten Zweifel daran, ob dieser Ein-Euro-Job als Referenz für einen erfolgreichen Wiedereinstieg in das Arbeitsleben taugt, vor allem wenn man zu den höher Qualifizierten gehörte. Es fragte sich, ob man sich mit diesem Hintergrund nicht viel eher lächerlich auf dem Arbeitsmarkt machen würde, nicht zuletzt auch angesichts der damals aufkommenden Stigmatisierung der Menschen, die sich in Hartz IV befanden und allem was damit in Verbindung gebracht wurde, so auch Ein-Euro-Jobs. So kam die Überlegung auf, ob man diesen Abschnitt in seiner Biographie nicht besser vielleicht sogar verschweigen sollte, womit dann allerdings wieder eine größere Lücke im Lebenslauf entstehen würde, die ebenfalls unschön aussehen würde. Auf der anderen Seite war aber offensichtlich, dass wir qualifizierte Arbeit verrichteten, die an dieser Stelle einmal viel besser und anständig bezahlt wurde, neben der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die uns vorenthalten wurden und, und, und. Denn was viele mit Herzblut und geringen Mitteln in diesem Projekt schufen, einen prächtig blühenden Garten, konnte sich durchaus sehen lassen. Den ein oder anderen dämmerte allmählich, dass sie sozusagen die Arschkarte gezogen hatten und sich demzufolge mehr um ihre Zukunft sorgen mussten. Bemerkenswert war aber an dieser Schule auch die Erfahrung, dass man sich heutzutage offenbar schwer tut, den Kindern Achtsamkeit und Respekt zu vermitteln, denn mehr als einmal wurden Blumenbeete und Pflanzen niedergetrampelt. In gewisser Weise hatte dies Symbolcharakter.
Es wurde Herbst und es wurde Winter und die Tage unter freiem Himmel wurden immer rarer und grauer. So wurden in diese Zeit die obligatorischen „Qualifizierungseinheiten“ verlegt, die integraler Bestandteil von Ein-Euro-Jobs sind und etwa einen halben, bis zu einem ganzen Tag pro Woche in Anspruch nahmen. Zumeist überbot man sich hier in Dünnbrettbohrerei, wie etwa in der Vermittlung von Grundrechenarten, und das wohl bemerkt zumeist für Akademiker. Dann gab es einen großen Block, der sich Sozialkunde nannte und der eigentlich nur ein Sammelsurium von Allerweltsthemen und alten Hüten darstellte, nach dem Motto: hast du schon gewusst, dass… Sowenig neue Erkenntnisse dabei herum kamen, so böse überraschend war diese ganze „Qualifizierung“ an sich. Besondere „Höhepunkte“ dieser (De)Qualifizierungsoffensive beglückten uns wenn der Geschäftsführer der Beschäftigungsgesellschaft, seines Zeichens ehemaliger Physiker, höchst selbst beehrte. So wurden wir von ihm mit wahrhaft Nützlichem für den Arbeitsmarkt gerüstet, in dem er uns in Rüstungstechnik bzw. Waffensystemen – ein ehemaliges Betätigungsfeld von ihm – unterwies. Bei den Grundrechenarten kamen wir einige Male zu dem zweifelhaften Vergnügen, den Mann korrigieren zu müssen. Der Rest war Schweigen oder auch nicht und Schach spielen.
Nun im Winter, wo draußen keine Arbeit mehr zu verrichten war, wurden wir mit einer anderen, neuen Projektgruppe in einer typischen Berliner Altbauladenwohnung eingepfercht, etwa 30 Menschen beider Geschlechter auf etwa 50 qm und mit einer einzigen Toilette. In Ermangelung einer sinnvollen Tätigkeit und Arbeit beschäftigte ich mich bereits einige Zeit vor diesem Ein-Euro-Job mit Schreiben (Belletristik) und befand mich diesbezüglich bis dahin auf einem guten Weg. Das war wenigstens etwas, das mir Sinn zu machen schien, mich vielleicht voran bringen konnte bzw. eventuell neue Wege eröffnen konnte. Bedauerte ich bereits bisher wegen dieses Ein-Euro-Jobs kaum noch Gelegenheit und Muße zum Schreiben zu haben, so haderte ich nun noch um einiges mehr über diese Internierung, diese Einbuchtung und den Zwang zum Nichtstun. Denn es ging bei diesem Job nun eigentlich nur noch darum, die ganze Zeit physisch anwesend zu sein, so wie es vorgeschrieben war. Man konnte quasi allen Blödsinn machen, nur vernünftig und produktiv arbeiten, auch wenn es nur für einen selbst war, das war in einem Raum, in dem sich so viele Menschen aufhielten, schwatzten, spielten, lachten und die Luft in diesen schlecht belüfteten Räumen verbrauchten, beim besten Willen nicht möglich. Hier spürte man tatsächlich bald geradezu physisch wie einem die Lebenszeit gestohlen wurde, wie eingesperrt man war und zum Nichtstun verdammt. Und dies spürte man vielleicht noch umso mehr je älter man war, wie die demütigende Ohnmacht, die sich einem so unausweichlich in den Weg stellte. Wie verfluchte ich jede einzelne dieser nutzlosen und vergeudeten Stunden und die verlorene Lebensenergie, die der kaum zu ermessenden Aufreibung an dieser kafkaesken Situation geschuldet war.
Ansonsten bleibt noch anzumerken, dass unsinnigerweise ich, wie die Hälfte meiner Kollegen, während dieses Ein-Euro-Jobs noch einmal Zuweisungen für andere Ein-Euro-Jobs erhielten, die man mitten in der laufenden Maßnahme hätte antreten sollen. Das Geld hätte man sicher gern mitgenommen; aber wie hätte man das mit der Arbeitszeit managen sollen? Um diesen groben Unfug aufzuklären, und vor allem unserer Mitwirkungspflicht zu genügen, mussten wir uns natürlich für einige „wunderbare“ Stunden im Jobcenter einfinden. Auf meine Frage an die äußerst junge (vielleicht noch nicht einmal zwanzigjährige) Angestellte am Schalter, wie es angesichts unserer Tätigkeit in einem Ein-Euro-Job zu solchen Zuweisungen kommen könne, gab die ungerührt, die in jeder Hinsicht tief blicken lassende Antwort: „Die werden einfach so zugewiesen.“ Na dann ist ja alles in bester Ordnung. Vielleicht haben die betreffenden Sachberarbeiter/innen bloß mal blinde Kuh gespielt (aber vielleicht mussten sie das noch nicht einmal) oder gewürfelt, denn man gönnt sich ja sonst nichts. Soviel noch einmal zur „Effizienz“ und „individuellen Kundenbetreuung“ der Arbeit der Jobcenter.
Aktivierungsmaßnahme
In der betreffenden Eingliederungsvereinbarung, in der meine Teilnahme an einer ganztägigen sog. Aktivierungsmaßnahme festgeschrieben wurde, hieß es u. a.: „Die Maßnahme soll Ihre berufliche Eingliederung durch die Heranführung an den Arbeitsmarkt unterstützen. Die Maßnahme geht vom 02.04.2012 bis 27.05.2012 und verlängert sich um Tage der Arbeitsunfähigkeit. Ziel der Maßnahme zur Aktivierung und Vermittlung mit intensiver Betreuung und Anwesenheitspflicht ist es, durch Aktivierung, Qualifizierung und Unterstützung Sie in Arbeit zu vermitteln.“
Diese sog. Aktivierungsmaßnahme wurde bei einem bundesweit bekannten Träger durchgeführt, der u. a. in den obersten beiden Etagen eines neunstöckigen Hochhauses ansässig ist, welches sich in einem öden Gewerbegebiet des Berliner Bezirks Neukölln befindet. Ich wurde in eine bunte, 15-köpfige Gruppe von Menschen unterschiedlichsten Alters und Qualifikationsniveaus gesteckt. Da fanden sich sehr junge und ungelernte Erwerbslose mit gestandenen und älteren Facharbeiter/innen und Akademiker/innen zusammen. Auffällig war, dass sich in dieser Gruppe eine ganze Reihe gescheite Köpfe befanden, auch unter den jungen Ungelernten, die aber wohl nie eine echte Chance bekommen hatten. Bei allem Negativen, was noch folgen wird, muss erwähnt werden, dass wir es in unserer Gruppe mit freundlichen und hilfsbereiten Dozenten bzw. Personal zu tun hatten, worin sich aber bereits alles Positive erschöpfte. Einer unserer Parallelkurse hatte da mit seiner Dozentin nicht so viel Glück, wie auch ich und andere aus unserer Gruppe bei einigen Gelegenheiten feststellen mussten. Der Dozent, der unsere Gruppe leitete, verkaufte neben seiner freiberuflichen Tätigkeit für den Träger ebenso freiberuflich Küchen um über die Runden zu kommen, wozu er sich wenigstens jeden zweiten Freitag von einem anderen Dozenten vertreten lassen musste. Überdies war von den Dozenten, welche die unterschiedlichsten beruflichen Biographien vorwiesen, wohl kaum jemand fest angestellt. Im Hinblick auf ihre jetzige Tätigkeit erschienen die Dozenten mit ihren oft so völlig andersartigen Berufserfahrungen und Kenntnissen als wenig geeignet.
Bei unserer ersten Aufgabe war unsere Selbsteinschätzung gefragt, wozu wir eine Reihe von Fragebögen ausfüllen sollten, die offensichtlich unsere Persönlichkeitsprofile erfassen wollten, u. a. mit Fragen wie: „Sind Sie