Der große Reformbetrug. Udo Schenck
Читать онлайн книгу.stehen gesunkene Reallöhne gegenüber. Zudem wurden jedoch die Verbrauchssteuern (Mehrwert- bzw. Umsatzsteuer) immer weiter angehoben, worunter wiederum besonders einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu leiden haben, während Vermögende und große Betriebe kräftig und stetig von Steuern entlastet wurden (vgl. Kap. 4.4ff). Bei all dem wurden die Leistungen des Wohlfahrtsstaates (der kollektive Konsum, die Transferzahlungen) kontinuierlich beschnitten, obwohl die Anteile und Belastungen der Einkommen aus unselbständiger Arbeit zu seiner Finanzierung ganz erheblich gegenüber denen aus selbständiger Arbeit wuchsen. Dazu schreibt Demirovic, A. (2007: 25): „Als ein wesentliches Mittel der Herrschaft erwies sich Sparen, indem die Staatsausgaben und die Staatsquote (Anteil der staatlichen und staatlich bedingten wirtschaftlichen Aktivität an der wirtschaftlichen Gesamtleistung einer Volkswirtschaft, d. V.) verringert, sowie die Steuerlast auf die Lohnabhängigen umverteilt werden. Die Folge entspricht dem gewünschten Ziel, dass die staatlichen Aufgabenbereiche verkleinert werden. Dies verbindet sich mit der Privatisierung eines Teils der staatlichen Dienstleistungsangebote, die eine neue Sphäre der Kapitalverwertung erschließt.“
Die mageren Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft, in den vergangenen dreißig Jahren, sind nichts anderes als eine unmittelbare Folge dieser Entwicklung, einer mehr und mehr lahmenden Binnenwirtschaft (vgl. Kap. 4ff). Der allgemeine Niedergang von einst glanzvollen und prosperierenden Einkaufsstraßen und der Einzug von Billig- und Ramschläden, wie sog. Ein-Euro-Läden u. ä., gibt beredt Auskunft über diese verheerende Entwicklung. Wiederum infolge dessen bluten Bund, Länder und Kommunen immer weiter aus, müssen sich immer tiefer verschulden und fallen damit als wichtige Arbeitgeber und Auftraggeber bzw. Konsumenten für die Wirtschaft immer weiter aus (schlanker Staat, sinkende Staatsquote!), was den Weg in die Abwärtsspirale nur noch beschleunigt. Letztendlich ist es der Verzicht auf eine Verteilungspolitik die Arbeitslosigkeit erzeugt, und es ist damit eine Abkehr vom früher politisch gewollten Vollbeschäftigungsziel (vgl. 2.2.1).
Der nun herrschende, neoliberale Geist idealisiert das freie Spiel der Kräfte des Marktes, den Wettbewerb, er will der Wirtschaft weitgehend freie Hand zu ihrer vermeintlich besseren Entfaltung geben, womit jegliche Regulierungen, Beaufsichtigungen und gemeinnützige Verbindlichkeiten als störend und hemmend hingestellt werden. Wir leben nun also in einer Zeit der Deregulierung und Privatisierung, was sich u. a. in der verminderten Regulierung der Kapitalströme, dem Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten, der Aufweichung von Umweltschutzauflagen, der Beschneidung des Einflusses von Gewerkschaften, der Privatisierung von öffentlichem Eigentum und nicht zuletzt aber in einer neuen Regulierung des Arbeitsrechts zu ungunsten der Arbeitnehmer äußert. Der neoliberale Ökonom Friedrich Hayek drückte dies einmal so aus: „Die erfolgreiche Anwendung des Wettbewerbs als des Ordnungsprinzips der Gesellschaft ist mit einigen Arten von Zwangseingriffen in das Wirtschaftsleben unvereinbar; es lässt aber andere zu, die seine Wirkung kräftig unterstützen können, ja, es macht sogar bestimmte Arten von staatlichen Aktivitäten notwendig.“ (vgl. Hayek 1944/71: 59). In unsere Tage, unter der Agenda 2010, übertragen bedeutet dies nichts anderes als, dass die Freiheit der einen die Unfreiheit der anderen benötigt.
Neben den anderen Reformen der Agenda 2010 sind ebenso die Hartz-Reformen vor diesem Hintergrund zu betrachten, sie erwuchsen einem gemeinsamen Ursprung, sind auf einen bestimmten (Zeit)Geist, eine bestimmte Ideologie zurück zu führen, sind mithin weniger das Ergebnis einer neutralen und nüchternen Überlegung und zielen offenbar weniger auf die gewissenhafte Lösung bestimmter Probleme im Sinne des Gemeinwohls, also der gesamten Gesellschaft ab, als es ihre Schöpfer glauben machen wollen. Bei näherer Betrachtung erkennt man in diesen Reformen die Handschrift knallharter egoistischer Interessen, von Lobbyisten, welchen es allein um ihren Vorteil geht, denen das Gemeinwohl bzw. seine Funktionsfähigkeit offenbar gleichgültig bis verhasst ist oder zumindest als zweitrangig erscheint, so etwa nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Diese Gesinnung des Egoismus, der Rücksichtslosigkeit und des Geizes geht letzten Endes über Leichen, sie schürt Kraft ihrer Macht Angst und Unsicherheit, die sie zum Vorteil weniger nutzt. Im August 2005 lobte das britische Wirtschaftsmagazin The Economist die Reformbemühungen der deutschen Bundesregierung, u. a. die Hartz-Gesetzgebung, denn diese Gesetze haben „bewirkt, dass viele Beschäftigte die Folgen eines Arbeitsplatzverlustes stärker fürchten. Dies hat die Position der Firmen bei neuen Lohnverhandlungen gestärkt und die Macht der Gewerkschaften geschwächt“ (vgl. Müller, A. 2007: 145). Offenbar finden es der Economist und die Bundesregierung gut, wenn die Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit haben. Was ist das anderes als menschenverachtend und was hat das noch mit Zivilisiertheit zu tun, einmal davon abgesehen, dass dadurch krank werdende Menschen nicht mehr leistungsfähig sind, Geld kosten und ein schlechtes Arbeitsklima entsteht, Stichwort Mobbing?
Unterdessen ist es geradezu bestürzend, mit ansehen zu müssen wie sich ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung, welche sich angeblich eher als links, den humanistischen Idealen und dem Gemeinwohl zugeneigt zeigt, für solch destruktive, menschenverachtende Elemente, wie die o. g. Arbeitsmarktreformen und andere ungerechte Reformen hat einspannen lassen, ja für diese aktiv gefochten hat. Mit trauriger Berühmtheit wird dies wohl einst in die Annalen Eingang finden, als ein Beispiel für die Schwäche und Manipulierbarkeit des Menschen, für bitterböses Unrecht im Namen einer Demokratie. Angesichts dessen fragt man sich unwillkürlich, ob die verantwortlichen Politiker wirklich wussten was sie da taten. Die Federführenden wussten es ganz bestimmt, sie haben sich regelrecht angebiedert und korrumpieren lassen. Dabei fällt dem Autor immer wieder ein TV-Bild ein, in dem sich der sog. „Genosse der Bosse“ mit selbstgefälligem Grinsen und einer dicken Havanna im wuchtigen Chefsessel fläzt. Bei vielen anderen, sogar ehedem Linken, hat das Trommelfeuer einer geschickten und aggressiven Propaganda gewirkt, sie haben sich durch Halb- und Unwahrheiten, im Gewand angeblich unausweichlicher Sachzwänge (Globalisierung, Demographischer Wandel usw.), beeindrucken und täuschen lassen. Auch die Alltags ferne vieler Politiker, welche von ihren behaglichen und luxuriösen Elfenbeintürmen herab das Ameisengewimmel im Schneegestöber der Straßen betrachten und dabei wohl eher von einem Wintermärchen träumen, trug und trägt sicher nicht zu einer realen Einschätzung der Situation bei. Und warum soll man denn da ins ungemütlich Kalte hinausgehen, hier hat man doch außerdem so viele „gute Freunde“, welche sich einem gegen „kleine Gefälligkeiten“ als großzügig erweisen. Neben Skrupellosigkeit mag ebenso Inkompetenz, Naivität und sogar blanke Dummheit bei vielen der Verantwortlichen wegbereitend für die o. g. Reformen gewesen sein.
Angesichts der harschen Kritik und den massiven Protesten gegen die Hartz-Reformen ist ihr Bestand bis heute auf den ersten Blick eigentlich verwunderlich; man fragt sich Augen reibend wie das nur sein kann. So ist man von Reform betreibender Seite in die Gegenoffensive gegangen und wurde und wird nicht müde gebetsmühlenartig zu behaupten, die Reformen seien alternativlos und zog und zieht alle Register der Propaganda, bis hin zur Kolportierung des Bildes von massenhaft schmarotzenden und unfähigen Arbeitslosen, die man entsprechend zu „fordern“ und „fördern“ hätte oder der angeblichen Notwendigkeit, wegen dem demographischen Wandel die Lebensarbeitszeit verlängern zu müssen. Das schlechte Erscheinungsbild der Hartz-Reformen versucht man verharmlosend durch sog. „Fehler“ zu erklären, die bei der Einführung eines so „gewaltigen“ Reformwerkes angeblich unvermeidbar wären. Näher betrachtet offenbart sich hier jedoch ein von langer Hand organisiertes „Chaos“ mit System, das zudem „sinnlos“ – wohl bemerkt nur im Sinne der Erwerbslosen und des Allgemeininteresses – gewaltige Steuermittel verschwendet, also letztendlich veruntreut und somit nur eine weitere Ebene der Umverteilung von unten nach oben bildet. Das alles hat Ursachen und diese liegen in den Wettbewerbsinteressen bzw. Weltmarkteroberungsgelüsten weniger aber sehr mächtiger Akteure begründet, denen des sog. Big Business bzw. der sog. Global Player, welche wiederum alleinige Nutznießer ihrer globalen, grenzenlosen Gier sind.
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