Der Weg des Ritters. Helmut H. Schulz

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Der Weg des Ritters - Helmut H. Schulz


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und sehr mittelmäßigen Welt. Zuletzt zersprangen wir, gespalten von unserer eigenen, frei gewordenen Energie. Ich flüchtete auf geheimen Wegen über mehrere Grenzen hinweg und kam erst zu mir, als das Schiff bereits mit südlichem Kurs auf dem Mittelmeer schwamm.

      In Afrika traten die realen Kämpfe der Welt wieder an mich heran. Europa konnte die Auseinandersetzungen nicht mehr führen. Selbstaufgabe der Nationen, der europäischen Kultur, das Ergebnis seiner endlosen Kriege.

      Als Paulis Redakteur musste ich mich einmal in der Woche bei ihm sehen lassen. Er kannte keinen Unterschied zwischen Arbeit und anders verbrachter Zeit. Die Zeitschrift, die er schließlich herausgeben durfte, hieß nun »Brückenschlag«, er bezeichnete den Vorgang als einen Modus Vivendi, nicht endgültig. Meine Arbeit bestand darin, Texte zu lesen, nicht nur die neu eingegangenen, sondern mehr noch die alten. Ich musste Auszüge aus Büchern machen und sie zwangsläufig ganz lesen. Ich erkannte, dass Pauli mir damit ein Privileg verschaffte, für das andere zahlten. Meine Arbeit war manchmal umsonst, der Herausgeber Pauli entschied nicht allein, was in den »Brückenschlag« kam. Für jede der unregelmäßig erscheinenden Nummern focht er einen Kampf mit Kontrolloffizieren aus. Nichts stand allein in seiner Macht, alles stand zur Disposition. Weshalb die Offiziere, oft ebenfalls Emigranten, ihm Schwierigkeiten machten, verstand ich nur langsam.

      Pauli offenbarte sich mir gegenüber nicht, beschränkte sich auf Anweisungen. Er hatte meist nur eine Ahnung, wo ein Zitat zu finden war, und so blieb mir nichts anderes übrig, als die Bibliotheken durchzusehen, manchmal nur, um einen Satz zu finden, den dieser oder jener Schriftsteller, Politiker oder Philosoph beiläufig geäußert hatte. Für das alles gab es eine geheime Konzeption. Leitartikel schrieb Pauli selbst, oder er ließ sie nach seinen Ideen schreiben. Mit Erstaunen sah ich der literarisch-politischen Cliquenbildung zu, verstand aber schnell, dass ein Blatt dieser Art soviel wert ist wie eine Armee.

      Ich las zu Hause, also bei meiner Tante, legte Zettel in die Bücher und tippte die Auszüge später sauber ab. Pauli wählte aus, machte das Layout und den Umbruch immer allein, wobei er gereizt und nervös war, wenn er Korrektur las. Einmal in der Woche traf ich ihn, entweder in der Villa oder in einem Café. Ich war sein Kolporteur, und ich bekam kein Gehalt. Manchmal fragte mich Pauli nach dem Stand meiner Finanzen und zahlte aus seiner Tasche. Mit dem Ausweis, der Kennkarte, hielt ich mich über Wasser, bekam Lebensmittelkarten und konnte mich anmelden. Wollte mich Pauli einstellen, so wäre ich überprüft worden, hätte vielleicht nach bestandenem Verfahren auch Anspruch auf erheblich mehr Lebensmittel gehabt aus Care-Sendungen und dergleichen.

      Aber mir war es recht so; ich wäre mir wie ein Kollaborateur vorgekommen. Pauli dachte entweder nicht daran oder ahnte, wie schwierig meine Überprüfung sein würde, und stellte sich dumm. Ich ließ mich treiben und wollte die Zeit abwarten.

      Wohl hätte ich Paulis Hilfe in Anspruch nehmen können, zum Beispiel, als das Amt ein Zimmer unserer Wohnung beschlagnahmte und eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie hineinsetzte. Pauli half vielen, warum nicht auch mir, seinem Mitarbeiter. Aber meine Tante ertrug lieber die Einschränkung, als dass sie sich erschlichen hätte, was ihr nicht zukam. Was stand uns denn aber noch zu? Als ehemals beamtete Lehrerin hatte sie ihre Rente bis zum Kriegsende erhalten. Jetzt strich ihr die von der Besatzung errichtete neue Verwaltung dieses Geld. Meine Tante hätte ein Überprüfungsverfahren anstrengen müssen, dessen Ausgang mehr als ungewiss war, denn was gab es noch an ihrem Leben zu entdecken, was nicht schon in den Akten stand? Sie unterließ es. Mit siebenundsechzig Jahren wollte sie neben der äußeren Sicherheit nicht auch noch die Selbstachtung verlieren. Auch benötigte sie wenig. Etwas bekam ich von Pauli, so ging es ganz gut, das heißt etwas besser als schlecht. Lebensmittel auf Marken waren billig, die Mieten gering. Zu kaufen gab es nichts. Pauli hätte sich für uns verwendet und vielleicht was erreicht. Damit aber wäre unser Verhältnis unerträglich geworden. Das fühlte meine Tante. Sie half mir beim Abschreiben, schrieb auch selbst manchen Kurzkommentar zu einem Buchauszug. Einmal gelang ihr der Text zu gut. Pauli merkte etwas. Das geschah in seiner unordentlichen Wohnung. Er blätterte wie immer zuerst schnell die Seiten durch, die ich ihm gegeben hatte. Sein Blick für Manuskripte fing sofort den fraglichen Text auf. Der erfahrene Redakteur entdeckt das Ungewöhnliche so schnell, wie ein Seefahrer auf einem leeren Meer eine Veränderung auf der Wasseroberfläche bemerken wird. »Wer hat das geschrieben?« Ich sagte es ihm, ging aber nicht weiter darauf ein, bot jedoch an: »So kann ich es auch, wenn Sie es wünschen.«

      Pauli war nervös oder gespannt. Ich mochte ihn aber nicht fragen, warum. Er schien bestimmten oder vielmehr unbestimmten Geräuschen zu lauschen, und auch ich glaubte, Seide oder dergleichen rascheln zu hören. Pauli sagte: »Ich habe Nachrichten aus Japan. Es muss eine Explosion von katastrophaler Wirkung gewesen sein, die Opfer gehen in die Hunderttausende. Es wird eine Strahlung frei, eine Langzeitstrahlung.» Nachrichten waren es also, die ihn beunruhigten, er schob die Arbeit weg. »Offiziell wurde eine Nachrichtensperre verhängt, aber es sickert ja immer was durch. Natürlich ist dieser Schlag nötig gewesen, um den Krieg zu be enden, gleich, wie viel Opfer der Frieden kostet, wenn es nur Feinde sind, die sterben. Dazu ist jeder Staatsmann verpflichtet. Ein großer Name deckt das Unternehmen. Ich hätte Lust, Sie nach Japan zu schicken.« - »Fangen Sie lieber mit dem Layout an«, sagte ich. Er antwortete sonderbar ruhig: »Eva wird das in Zukunft machen. Sie ist meine Lebensgefährtin, ich habe sie aus Amerika herüberkommen lassen. Sie ist da, wann immer ich sie brauche.«

      Evas Gesicht war schmal, ihre Brauen dicht und schwarz, sie blinzelte mit beiden Augenlidern, so als bewegte ein Insekt die Flügel, aber sie war nur kurzsichtig und verabscheute Brillen. Den Hals, der ziemlich hoch und gebläht war wie bei einem Schwan, umschloss ein schmaler weißer Kragen. Auch die Ärmel ihres lichtblauen Kleides hatten einen weißen Besatz, das Kleid war lang wie ein Abendkleid. Eva wirkte elegant-verführerisch.

      Paulis Redefluss stockte, als sie wie auf ein Stichwort die Szene betrat, lächelnd, ihrer Wirkung auf mich sicher. Etwas Gefährliches, Tückisches trat in Paulis Augen. Er fixierte mich lange und, wie mir schien, mit der Warnung, dieser Frau fernzubleiben. Sie wirkte neben ihm wie eine Birke neben einem Hauklotz. Vielleicht übertrieb Pauli seine Haltung noch. Wir standen verlegen herum, bis uns bewusst wurde, dass wir uns lächerlich benahmen. Pauli fasste sich, er fläzte sich auf das Sofa. Eva nahm ein Buch, setzte sich ans Fenster und begann zu lesen. Nach einer Weile redete Pauli weiter, aber seinem Vortrag fehlten Lust und Schwung. An Arbeit dachte er nicht, er wollte mich los sein. Pauli hatte sich überschätzt. Sie blickte oft zu mir hin. Uns trennten vier oder fünf Meter, und während Pauli redete, entspann sich zwischen uns eine erste Komplizenschaft, was ihm kaum entging. Wir verständigten uns mit Augen und Bewegungen. Schließlich kam sie heran, griff an mir vorbei auf Paulis Schreibtisch und nahm sich eine Zigarette. Aus der Nähe war ihre Haut weiß, glatt und schön, ohne Zweifel führte sie mir diese Haut vor.

      Eva überstieg meinen Begriff von Weiblichkeit. Wir lebten in einer Trümmerwelt am Rande des Todes, lebten von der Hand in den Mund. Manch einer tat verzweifelt etwas für eine schönere Welt. Nicht alle hatten Visionen, und inmitten dieser Auflösung und Umgestaltung landete ein Wesen wie diese Eva. Sie gehörte Pauli, sie gehorchte ihm, war sein Werkzeug, jedenfalls nach seinen eigenen Worten. Sollte ich das glauben? Ich schickte einen Blick zu Pauli hinüber, der auf dem Sofa lag und ruhig atmete, als schliefe er. Pauli, der hässliche Alte, der zynische Besitzer dieser lebenden Herrlichkeit! Er hatte keinen Anspruch auf die Liebe und die Unterwerfung dieses Wesens. Es gibt in der Jugend jedes Menschen Augenblicke, die ihn schneller reifen lassen, das geschah mir jetzt. Ich erkannte die Schwäche Paulis, ich wusste, dass Eva und ich ihn betrügen würden. Er ahnte es und konnte nichts daran ändern. Am Ende unseres Verhältnisses würde auch wieder ein Betrogener stehen, wahrscheinlich ich. Trotzdem wollte ich mit Pauli um den irdischen Besitz Evas ringen, aus dem Recht der Jugend und obwohl der Besitz einer beliebigen anderen Frau leicht zu erlangen gewesen wäre. Ich wollte aber keines dieser erschöpften, seelisch ermatteten Wesen, für die jeder Mann, der auf sich hielt, nur Mitleid empfinden konnte. Fünfundzwanzig Lebensjahre berechtigen noch zu solchen Vorstellungen. Mit dem Besitz dieser Frau wollte ich das Prophetentum erwerben und lernen, in die Zukunft zu sehen, trotz der Erziehung zum Realismus, die ich bei Pauli erhielt. Lange dauerte das Schweigen zwischen uns nicht, aber ich wollte auch nicht einfach das Feld räumen.

      Ich fragte ihn: »Wie groß


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