Entrüstung reicht nicht. Gerd Kallweit
Читать онлайн книгу.und Referendariat erlangt man die Befähigung zum Richteramt. Wer tatsächlich Richter wird, entscheidet ein Justizminister, denn die Anstellung, zunächst als Richter auf Probe, bleibt ebenso wie spätere Beförderungen der Exekutive vorbehalten. Das gleiche gilt für das Recht regelmäßiger Beurteilungen. Den Finanzministern obliegt es, den Gerichten das notwendige Personal und die Sachmittel zuzuweisen.
Wer die Karriereleiter bis zum Amt eines Bundesrichters hochklettern will, ist nicht allein auf die Entscheidung eines Ministers angewiesen. An einen obersten Gerichtshof – dazu gehören der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht – wird man berufen, und zwar durch den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesminister zusammen mit einem Richterwahlausschuss. Der Ausschuss besteht aus den entsprechenden Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die der Bundestag wählt. Für das Bundesverfassungsgericht, das je zur Hälfte aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht, gilt eine Sonderregelung. Dieses Gremium wird fifty-fifty von Bundestag und Bundesrat gewählt.
Bieten diese Bestimmungen nicht optimalen Schutz vor Einflussnahmen? Offenbar ist nicht alles zur vollen Zufriedenheit der Beteiligten geregelt. Das lässt sich aus einer gemeinsamen Entschließung der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe der Länder aus dem Jahr 2010 ablesen. Im Interesse der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder wird darin an die zuständigen Ministerinnen und Minister appelliert, „ihre Auswahl der Kandidaten für das Bundesverwaltungsgericht strikt und ausschließlich am Prinzip der Bestenauslese auszurichten“.
Ja, ist das denn nicht selbstverständlich? Werden für höhere Ämter nicht immer die Besten ausgewählt? Aus Sicht der Präsidentenkonferenz ist das offenbar nicht so, denn die Entschließung entstand „aus gegebenem Anlass“. Zumindest scheint die Kompetenz der MinisterInnen, die besten KandidatInnen zu präsentieren, die PräsidentInnen nicht zu überzeugen. Sie wollen gefragt werden. Die Auswahl soll mit ihnen abgestimmt werden. Und vom Richterwahlausschuss fordern sie einen Anhörungstermin.
Nun mag die eine oder der andere vielleicht einen Hauch von Hybris bei Richtern erkennen. Wenn das Grundgesetz sie doch als rechtsprechende Gewalt und damit gewissermaßen als eine besondere Menschen-Spezies hervorhebt, könnte das vielleicht hier und da zu Selbstüberschätzungen führen. Bei der Urteilsfindung ausschließlich den Gesetzen unterworfen zu sein, könnte vielleicht ein allgemeines Überlegenheits-Gefühl auslösen. Das wäre nicht sehr verwunderlich, denn auch in anderen Lebensbereichen lässt sich gelegentlich beobachten, dass – beispielsweise im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen – die fachlich höhere Kompetenz zu der Selbsteinschätzung verführt, auch außerhalb des eigenen Fachgebiets besser Bescheid zu wissen. Tatsächlich sprechen Richter zwar Recht, aber sie haben nicht immer Recht. Nicht selten vorkommende Fehlurteile verdeutlichen, wie Richter irren können. Andererseits legen Fälle wie Gustl Mollath oder Uli Hoeneß den Verdacht nahe, gerade Einflüsse von außerhalb der Judikative trügen zu unverständlichen Urteilen bei.
Trennung pur ist nicht gewollt
Laut Grundgesetz geht alle Gewalt vom Volk aus (Art. 20,2), und das gilt ausdrücklich auch für die Rechtsprechung. Die Urteile werden denn auch im Namen des Volkes gefällt, obwohl das Volk weder die Richter wählt noch an der Urteilsfindung beteiligt ist. Das Prinzip der demokratischen Legitimation überbrückt die scheinbare Lücke zwischen Volk und Richtern. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit dieser Verbindung festgeschrieben: „Alle Organe und Vertretungen, die Staatsgewalt ausüben, bedürfen hierfür einer Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der Bürger als Staatsvolk zurückführen läßt. Das demokratische Prinzip erstreckt sich nicht nur auf bestimmte, sondern auf alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt. Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern.“ (BVerfGE 77,1)
Der Wille des Volkes soll also auch gegenüber der Justiz durch seine gewählten Vertreter zum Ausdruck kommen. Das gehört zum System, das die US-Amerikaner „checks and balances“ nennen, eine Ausgewogenheit durch gegenseitige Kontrolle der drei Staatsgewalten. Das Konstrukt der Gewaltenteilung sieht keine absolute Trennung vor, Querverbindungen sind gewollt, damit der Staat insgesamt funktioniert.
In einem Urteil vom 1953 hat das Bundesverfassungsgericht das so ausgedrückt: „ Freilich ist Gewaltenteilung ein tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes. Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft. Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen, die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Überschneidungen der Funktionen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuchlich.“ (BVerfGE 3,225)
Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Verbindungslinien nicht nur zwischen den Staatsgewalten, sondern auch innerhalb von Parteien verlaufen. Ministerinnen und Minister sind in aller Regel Mitglieder einer regierungstragenden Partei. Sie steuern ihre Ministerien keineswegs politisch neutral, sondern nach den von der jeweiligen Regierungsspitze vorgegebenen „Richtlinien der Politik“, und die sind vor allem durch die Partei geprägt. Während fast alle Beschäftigten der Ministerien im Dienst zu politischer Neutralität verpflichtet sind, trifft das für einige Führungskräfte nicht zu. Als politische Beamte sollen sie die Richtung ihrer Vorgesetzten vertreten und werden nach diesem Kriterium ausgesucht. Damit das funktioniert, können sie jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn die/der Minister/in das Vertrauensverhältnis zu ihnen als gestört ansieht. Das Vertrauen basiert auf gemeinsamen politischen Überzeugungen, was sich nicht zuletzt in der Zugehörigkeit zur selben Partei äußert. Richter behalten ihren Status auf Lebenszeit, die lassen sich nicht einfach mal in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Ist da nicht anzunehmen, dass sie noch sorgfältiger danach selektiert werden, ob sie in etwa auf Linie liegen?
Nun kommt ein/e Minister/in sicher nicht umhin, die eine oder den anderen Richter/in einzusetzen, die/der seiner eigenen Partei eher ablehnend gegenübersteht. Abgesehen davon, dass sich die politische Einstellung der KandidatInnen kaum zweifelsfrei feststellen lässt und selbst Parteimitgliedschaften keine sicheren Grundlagen dafür bieten, wäre es absolut unvertretbar, nur den MinisterInnen genehme KandidatInnen mit einem Richteramt zu betrauen. Der Mechanismus, der die richterliche Unabhängigkeit einschränkt, setzt denn auch etwas später ein. RichterInnen wollen befördert werden, sie wollen Karriere machen, und dazu benötigen sie das Wohlwollen der Entscheider in der Exekutive. Selbst wenn MinisterInnen nicht nach Seilschaft-Manier handeln, sondern fachliche Kompetenz gelten lassen, können RichterInnen nicht sicher sein, ob nicht doch persönliche/politische Einschätzungen eine Rolle spielen. Das führt leicht zu Anpassungen, wenn nicht gar zu vorauseilendem Gehorsam.
Mögen parteipolitische Einflüsse bei der Einsetzung und Beförderung von RichterInnen vielleicht dem Bereich der Spekulation zugeordnet werden, spätestens ab der Stufe „Bundesrichter“ sind sie offensichtlich. Im Richterwahlausschuss gilt es, bei jeder Wahl einer Richterin oder eines Richters für ein oberstes Bundesgericht eine Mehrheit herzustellen. Da bieten sich drei Möglichkeiten an: 1) Die Mehrheit der Vertreter aller Bundesländer und der vom Bundestag in gleicher Anzahl in den Ausschuss entsandten Mitglieder sind von der außerordentlichen fachlichen Kompetenz derselben Kandidatin oder desselben Kandidaten überzeugt. 2) Die im Bundestag am stärksten vertretene Partei stellt auch mehrheitlich die Landesregierungen und kann so durchregieren. 3) Die Mitglieder des Ausschusses müssen sich verständigen. Für die erste Möglichkeit spricht keine große Wahrscheinlichkeit, denn an KandidatInnen, die aus unterschiedlichen Perspektiven als kompetent gelten, dürfte es kaum mangeln. Die Ausgangslage für ein Durchregieren bietet sich nicht oft, und sie auszunutzen birgt die Gefahr, es könnte beim nächsten Mal genau anders herum laufen. Daher ist die dritte Variante die wahrscheinlichste. Eine Verständigung innerhalb des Ausschusses wird wohl einem Handel nach dem Motto „wählst du meinen Kandidaten, wähl ich deinen Kandidaten“ sehr ähnlich sehen. Sowohl in der zweiten als auch in der dritten Möglichkeit fällt die Entscheidung auf