Der EMP-Effekt. Peter Schmidt
Читать онлайн книгу.die Toilette abzuziehen, wenn Sie schon in meine Wohnung einbrechen», sagte Karga.
«Das werden wir. Geschenkt», bestätigte Franz. «Wir sind schließlich keine Banausen.»
«Sondern?»
«Verschwenden Sie daran keine Gedanken», sagte Karl. Er versperrte Karga den Weg, als er ein zweites Mal den Telefonhörer abheben wollte. Er wirkte einen halben oder ganzen Kopf größer, und die Hände in den Taschen seines grauen Jacketts waren zu Fäusten geballt.
«Oder noch besser: Lassen Sie es sich eine Warnung sein. Sie wissen schon, wovon ich rede.»
«Warnung? Nein, ich habe keine Ahnung.»
«Er hat von nichts eine Ahnung», erklärte Karl mit einer Kopfbewegung zu Karga hin. «Wer hätte das gedacht? Der Weihnachtsmann?»
«Sie Schießbudenfigur …», sagte Karga.
«Wenn Sie beleidigend werden, bringt Ihnen das nur Ärger ein. Ziemlichen Ärger sogar.»
«Ich habe seit fünf Jahren nichts mehr mit der DKP im Sinn. Warum könnt Ihr mich nicht in Ruhe lassen?»
«Das ist eine ungeklärte Frage. Natürlich würden Sie es in dieser Situation nicht zugeben – es wäre der denkbar ungünstigste Augenblick.»
«In dieser Situation? Was meinen Sie?»
Franz klappte das aufgeschlagene Buch zu. «Lass uns gehen», sagte er. «Wir verschwenden nur unsere Zeit, Leute seines Schlages beherrschen ihre Lügen.»
Karl nickte und riss das Telefonkabel aus der Wand.
«Wenn Sie sich noch einmal hier blicken lassen, gibt‘s ein Unglück …“, rief Karga ihnen mit verhaltener Stimme nach. Vom Fenster aus beobachtete er, wie sie um die Ecke bogen. Wahrscheinlich stand ihr Wagen hinter der Bahnunterführung.
2
Er betrat das Polizeirevier und wartete ab, bis eine dickliche Marktfrau mit ihrer Beschwerde zu Rande kam. Jemand hatte ihren Stand umgestoßen. «... der ganze schöne Kohl auf dem nassen Pflaster – und die Trauben zertreten!»
Karga blickte sich ungeduldig um. In der Halle standen drei Reihen Schreibtische, seine Vernehmung zur Demonstration damals fiel ihm ein, und ein Pulk von Bildern – Verhöre, denen er an den Nachbartischen hatte zuhören können – stieg augenblicklich vor seinem inneren Auge auf, als er die Schreibmaschinen und Besucherstühle sah.
«Die Gewalt nimmt zu», erklärte der Polizeibeamte. Er hatte rötliche Koteletten und einen müden Zug um den Mund. «Gegen Menschen und Sachen, wir sind machtlos.»
«Ein Zeichen zunehmenden Wohlstands», mischte Karga sich ein. Er war selbst überrascht darüber: gewöhnlich gab er sich eher zurückhaltend, aber das Thema interessierte ihn. «Zuviel Wohlstand oder zu wenig – es hat immer die gleiche Wirkung. Die Veränderung muss von innen kommen. Wenn man etwas verändern sollte, dann nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern den einzelnen Menschen.
Gandhi hat dafür den Weg gewiesen. Massen von gewaltlosen Einzelnen sind der Schlüssel zur Zukunft.»
Die Alte wandte sich um und sah ihn missmutig an. «Ihr Gerede macht meinen Kohl nicht heil.»
«Es wäre nie so weit gekommen.»
«Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind», sagte der Beamte verdrießlich.
Karga wandte sich achselzuckend ab. So war es immer: Sobald er sich engagierte, gab es Ärger. Dabei war alles ganz einfach: nicht die Eier mußte man verändern, wenn man besseres Rührei wollte, sondern die Henne, die sie legte. Es waren Gedanken, mit denen er wie mit einer Gleichung spielte. Bloß, dass er sie nicht in die Tat umsetzen konnte. Sie waren nichts als ein theoretisches Spiel.
Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis er an die Reihe kam.
«Ich habe einen Einbruch zu melden. Genaugenommen sogar einen Überfall.»
«Bitte nehmen Sie Platz.»
Er wurde an einen der Tische gebeten, auf dem eine Schreibmaschine stand.
«Ihren Personalausweis bitte.»
«Meinen Ausweis, wozu?»
«Es erleichtert die Aufnahme, wenn ich Ihre Daten abschreibe.»
«Tja, tut mir leid. Er wurde gestohlen. Ich nehme an, dass er mir gestohlen wurde», berichtigte Karga.
«Haben Sie seinen Verlust gemeldet?»
«Beim Einwohnermeldeamt, ja. Ich beantragte gerade einen Pass, um nach Rumänien zu reisen. Deshalb konnte ich ihn nicht abholen, man verlangte dafür den Ausweis.»
«Sie sind also ohne Papiere?»
«Es … es gibt noch diesen Werksausweis», sagte Karga und zog eine graue Plastikkarte mit seinem Foto und einem an der rechten Seite durchlaufenden Magnetstreifen aus der Brieftasche.
«VVG … ist das nicht die Firma, die Stereorecorder und Taschenradios herstellt?»
«Unter anderem, ja.»
«Mein Sohn geht mit so einem Ding ins Bett, das man in die Hemdentasche stecken kann.»
«Von der Größe einer Scheckkarte», bestätigte Karga. «Unsere Entwicklung.»
«Meiner Meinung nach rauschen diese kleinen Dinger viel zu stark.
Für den Klang der größeren Anlagen fehlt ihnen einfach die Antennenleistung.»
«Das wird jetzt anders», erklärte Karga mit geheimnisvoller Miene. «Wir haben einen wirksameren Rauschfilter entwickelt.»
«Einen …? Aha.»
«Atmosphärische Störungen und so weiter.»
«So was sollten Sie in unsere Funksprechgeräte einbauen lassen.»
«Gar nicht so übel, der Gedanke. Leider produzieren wir nur Geräte der Unterhaltungselektronik.»
«Glauben Sie mir – die besten Radios waren die alten Volksempfänger. Ich erinnere mich noch gut an das Radio meiner Großmutter, eine hochglanzpolierte Holzkiste, so groß wie ein kleiner Farbfernseher. Sein Klang war unvergleichlich …»
Nach einer längeren Abschweifung, bei der Karga unbehaglich auf dem Stuhl hin und her zu rutschen begann, kamen sie endlich auf seinen Fall zu sprechen.
«Wurde etwas gestohlen?»
«Soviel ich weiß, nicht.»
«Und die Täter, sind sie Ihnen bekannt?»
«Ich sah sie zum ersten Mal.»
«Aber man drohte Ihnen Gewalt an?»
«Man hinderte mich, die Polizei zu benachrichtigen.»
«Auf welche Weise?»
«Indem man sich mir in den Weg stellte. Später riss man das Telefonkabel aus der Wand.»
Er klapperte Kargas Angaben mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine herunter und ließ sich die Personenbeschreibungen geben. «Groß, klein, dick, dünn?»
«Einer der beiden scheint krank zu sein. Er schluckt Pillen, vielleicht ein Herzmittel.»
«Wenn Sie nichts vermissen, handelt es sich nur um Hausfriedensbruch. Und Sachbeschädigung.»
«Diese Kerle waren schon öfter da. Sie ziehen nie die Toilettenspülung, lassen den Wasserhahn tropfen und verschmutzen meine Gardine – ich nehme an, weil einer von ihnen am Fenster Schmiere steht.»
«Also wiederholter Hausfriedensbruch», berichtigte er. «Meiner Meinung nach suchten sie nach etwas und wurden dabei überrascht.»
«Haben Sie eine Vorstellung, wonach?»
«Keine. Das ist mir absolut