Algarveflimmern. Birte Pröttel

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Algarveflimmern - Birte Pröttel


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      Von da an trafen wir uns, so oft es ging. Selten noch mit der gesamten Clique. Und Wochen später lungerte Moritz mehr bei uns zu Hause rum, als bei seiner eigenen Mutter. Es machte ihm nichts aus, wenn ich nicht dort war. Dann trank er mit Mama Kaffee und plauderte mit ihr. Das gefiel beiden mehr als mir manchmal lieb war. Es erinnerte mich an dem Song von Simon und Garfunkel „Missis Robinson“. Moritz hatte die Reifeprüfung allerdings längst hinter sich.

      Mama wirkt auf Männer ungemein anziehend. Sie hat Eigenschaften, die mir völlig abgehen. Sie schweigt vielsagend und hört aufmerksam zu. Sie schaut ihrem jeweiligen Gegenüber voll in die Augen, als wäre er das außergewöhnlichste Exemplar Mensch, das sie je getroffen hat. Sie gibt nicht immer und überall ihren Senf dazu. Sie erinnert sich genau, was jemand sich wünscht, wie er denkt, wie er sich fühlt. Und manchmal reagiert sie darauf auch sehr mitfühlend und freundlich. Bei mir leider nicht, ich bin ja „nur“ ihre Tochter. Bei mir will sie ihren „Erziehungsauftrag“ erfüllen. Überhaupt bin ich ihr Werk!

      Glaubt sie!

      Irgendwie ist ein achtzehnter Geburtstag anders als ein sechzehnter oder neunzehnter. Man hat die Lizenz, erwachsen zu sein. Man darf wählen, man darf seinen Wohnort selbst bestimmen und natürlich, den Führerschein machen. Ich hatte ihn schon und durfte gleich, wenn wir wieder zu Hause sind, allein Auto fahren. Mein Traum war ein kleiner dottergelben Smart! Oder ein Hybrid DS 3 in Ferrari Rot! Das wäre mega cool. Keiner in meiner Klasse hat das! Das war mein geheimer Geburtstagswunsch, den ich regelmäßig und gar nicht geheim von mir gab. Mal sehen, ob Papa verstanden und Mama nicht die Handbremse gezogen hat.

      Moritz reiste per Interrail Richtung iberische Halbinsel. Zum Abschied gab ich ihm ein kleines rotes Papierherz, das man zu einem Kleeblatt auseinanderfalten konnte.

      „Nicht aufmachen, bevor nicht mindestens hundert Kilometer zwischen uns liegen!“

      „Ist das explosiv?“

      „Wer weiß?“ lächelte ich, „Ich hab jetzt schon Sehnsucht!“

      In Bilbao, als er das Museum of Modern Art fotografiert hatte, setzte sich unter die Palmen am Ufer auf eine niedrige Bank. Dann holte er das kleine Herz aus seinem Filo Fax.

       denk zurück,

       zurück ans schierlingschloss.

       ich höre dich

       denk du, denk ich.

       du kommst ja wieder

       kehrst zu mir zurück

       drum tut der abschied

       nicht weh.

       in jedem abschied

       liegt ein stück vom glück

       du kommst zurück,

       zurück,

       zurück.

      Moritz wollte nicht nachdenken, was da stand. Damals war er noch voll verknallt in mich. Warum hatte ich eigentlich diesen Schwachsinn mit dem Schierlingsschloss da reingeschrieben? War das spätpubertärer Quatsch oder wollte ich ihn da schon vergiften? Gedichtinterpretationen waren Moritz ein Gräuel. Aber du kannst einem verliebten Kerl alles vorsetzen, was du willst. Er frisst alles, zur Not auch ein Schierlingsschloss. Moritz durchflutete eine heiße Welle Liebe und Sehnsucht. Sehnsucht nach mir, seiner „kleinen“ Olivia. Er zog sein Handy aus der Tasche und simste mir einen langen Liebesbrief bis das Handy keinen Saft mehr hatte. Leider hatte ich mein Ladegerät im Koffer und ich konnte seine Message erst viel später lesen.

      7 Von Moritz und Dominospielern Oder: Wenn der Wind der Erneuerung weht, dann bauen die einen Menschen Mauern und die anderen Windmühlen

      Als wir endlich wieder zusammen waren, erzählte mir Moritz klitzeklein, was alles passiert war, während Mama und ich noch auf dem Flugplatz rumlungerten.

      Als er an die große Tür der „Quinta Velha“ klopfte, öffnete niemand. Wochenlang war er per Interrail kreuz und quer durch Europa unterwegs gewesen. Nun freute er sich auf chillen, gut essen und natürlich auf mich!

      Er ging ein paar Schritte zurück durch das knisternde, trockene Gras des Vorgartens. Schaute sich das strahlend weiße Gebäude an. Begeistert starrte er den niedrigen Bau an. Die Symmetrie faszinierte ihn, den zukünftigen Architekten. Die große doppelflügelige Eingangstür, genau in der Mitte. Rechts und links hohe Sprossenfenster. Keine Jalousien hingen schräg oder halb aufgeklappt daneben. Beim näheren Hinsehen entdeckte er, dass die Fensterläden innen angebracht waren! Genial. So störten sie nicht die klassische Front. Ein blauweißer Fries ziert das Haus schlicht und edel.

      Das war also das „kleine Ferienhaus“ von dem ich geschwärmt hatte, obwohl ich mich nicht im Geringsten daran erinnern konnte. Nochmal ging er an die von der riesigen Araukarie beschattete Eingangstür. Ehrfürchtig berührte er den Türklopfer. Die Messing-Frauenhand fasste sich erstaunlich kühl an. Er klopfte drei Mal. Das Klopfen durchschnitt die sommerliche Stille wie Kanonenschläge! Keine Reaktion, dabei hätte die Detonation Tote auferweckt! Die seltsame Stille eines heißen Sommertages übertönte alles. Komisch, keine Antwort. Irritiert suchte er nach mir und Mama.

      Moritz ging um das Haus, besser gesagt um die an das Mittelgebäude geklebten, verschachtelten Häuschen rum. Sie waren ihm beim ersten Blick nicht aufgefallen, jetzt störten sie sein Architektenauge erheblich. Das Laub knisterte unter Moritz’ Flip-Flops. Erschreckt verstummten die Zikaden. Der trockene Duft dürrer Eukalyptusblätter am Boden kitzelte die Nasenschleimhaut.

      An der Rückseite sorgten Veranden mit Rundbögen für Schatten auf den Hauswänden. Als Moritz mir das erzählte, empörte er sich wieder über „Die Verschandelung der klassischen Fassade!“ Ein Glück, dass üppig blühende Bougainvilleas in allen nur erdenklichen Rottönen von schreiend Pink bis tief Violett kaschierten, was Moritz‘ Ästhetik störte.

      „Niemand da?“ rief mein blonder Freund. „Hallo, Olivia! Ich bin‘s!“ Er warf den riesigen Rucksack wieder über die Schulter, ging vorsichtig weiter in den düsteren, schattigen Garten.

      Komisch, dass sich nichts rührte. Er hatte doch gesimst, dass er heute kommen würde. „Der Bus aus Lissabon kommt um 14.00 Uhr in Lagoa an.“

      Moritz hatte eine Weile am Busbahnhof gewartet. Nacheinander verließen die meisten Reisenden den ungemütlichen, schattenlosen Platz. Nach einer halben Stunde lief er einfach zu Fuß los. Die Hitze war brüllend. Keine Menschenseele an diesem Augustnachmittag auf der glühenden Straße. Also auch keine Möglichkeit, den Finger hochzuhalten und auf eine Mitfahrgelegenheit zu hoffen. Nach einigem Suchen und mit Hilfe meiner genial von GoogleMaps kopierten Karte, fand er das Haus „Quinta Velha“. Nun arbeitete er sich durchs Gestrüpp nach hinten, weil er das Gefühl hatte, das von da Geräusche kamen. Er ging ein paar Stufen hinunter und hörte leise Stimmen.

      Unter der großen Pinie war eine alte Zisterne, sie war jetzt der Swimmingpool und nicht mehr Wasserspeicher. Bunte Badetücher leuchteten vom Rand des Beckens. Die Filteranlage brummte leise, ein leichter Chlorgeruch lag in der Luft. Im Schatten regte sich was.

      Zwei Männer beugten sich über ein niedriges Marmortischchen. Sie spielten Domino. Ein älterer Kerl mit dickem Bauch in knallbunten Bermudas saß einem jungen gebräunten Burschen gegenüber. Sie waren so ins Spiel vertieft, dass sie Moritz zunächst nicht bemerkten.

      „Hallo, ist da jemand?“ rief Moritz.

      Der Ältere hielt in der linken Hand krampfhaft einen Dominostein. Hob ihn hoch, als wollte er ihn setzen, nahm ihn zurück, zögerte und steuerte wieder das Tischchen an. Mit der rechten Hand wischte er in Richtung Moritz, wie man eine lästige Fliege vertreibt. Er hob seinen Kopf nicht. Seine kleinen runden, glatten Patschhändchen passten irgendwie nicht zu ihm. Der Jüngere lehnte sich lässig entspannt zurück. Seinen schön gezeichneten


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