Das Alter Ego der Protagonisten. Hans Müller-Jüngst
Читать онлайн книгу.Anziehungskraft auf den Betrachter aus, es gibt sehr unterschiedliche Farben in dem Feuer zu sehen, es gibt spratzende Flammen, Funkenflug und loderndes Feuer. Man fängt zu erzählen an, und es geht auch an die Themen, die ins Philosophische gehen, die zum Beispiel die extrem untergeordnete Stellung des Menschen im Kosmos betreffen. Sie vergessen bald das Drumherum und schlafen tief und fest in ihren Schlafsäcken, bis sie eines Tages Besuch auf einer Insel bekommen, an der sie angelegt haben. Es handelt sich um einige Jugendliche, die aus dem Ort am Flussufer herübergeschwommen sind, weil sie das Feuer von Ronald, David und Paulo gesehen haben. Zwei von den Jugendlichen können Englisch und müssen für die anderen übersetzen, was die drei Schlauchbootfahrer sagen. Als sie erzählen, dass sie mit ihrem Schlauchboot den Ili hinunterfahren, und die beiden Englischsprechenden das übersetzt haben, schauen sich die Jugendlichen ungläubig an. Schließlich laden sie Ronald, David und Paulo in ihr Dorf ein, und alle fahren sie mit dem Schlauchboot über den Fluss. Das Boot ist natürlich hoffnungslos überladen, schafft die Überfahrt aber.
„Ist denn überhaupt schon einmal ein Tourist in dem Dorf gewesen, zu dem Ihr übergesetzt seid?“
„Das kann ich nicht sagen, ich glaube aber nicht.“
Im Dorf werden auf einem riesigen Grill zwei Lämmer zubereitet, und die drei Schlauchbootfahrer sind eingeladen, sich zu beteiligen und zu essen und zu trinken. Obwohl man sich nicht versteht, ist die Stimmung ausgezeichnet, man lacht und ist ausgelassen, das Wichtige übersetzen die beiden englischsprachigen Jugendlichen. Die Schnapsflasche kreist und alle sind nach kurzer Zeit stockbetrunken Ronald, David und Paulo breiten in der Nähe des Schlauchbootes ihre Schlafsäcke aus und schlafen. Am Morgen holen die Jugendlichen die drei zum Frühstück ab und stellen sie den Eltern vor. Und wieder ist es die ganz besondere Gastfreundschaft, in deren Genuss sie kommen. Sie gehen noch einmal in den Dorfladen und stocken ihre Vorräte auf, danach setzen sie sich wieder in ihr Schlauchboot, um den Ili weiter hinunterzutreiben. Paulo angelt drei schöne Fische aus dem Boot, um sie am Abend zuzubereiten. Sie legen an Flussinseln an und wollen an diesem Abend ihre Ruhe haben, Bier und zu essen haben sie ausreichend. Kurz vor Yining legen sie noch einmal an und versorgen sich wieder in einem Dorfladen mit dem Nötigsten, bevor sie sich anziehen und in die Stadt gehen. Wie kommen sie von Yining wieder weg, das war die große Frage.
„Eure abenteuerliche Schlauchboottour bleibt doch sicher unvergessen!“
„Das kannst Du wohl sagen, Ronald, David und ich werden auf jeden Fall miteinander in Kontakt bleiben!“ Nach einigem Hin und Her nehmen sie den Sleeper-Bus nach Korla, der ungefähr 24 Stunden für die Fahrt den Ili hoch und über den Tienshan brauchen wird. In drei Reihen stehen in dem Bus Doppeldeckerbetten, in denen man während der Fahrt schlafen kann, sehr bequem. Die beiden Amerikaner wollen von Korla aus nach Kashgar fahren, Paulo will nach Turpan, weiter die Seidenstraße entlang. Korla gilt als Boomtown in China, was an den dort entdeckten Ölvorkommen liegt. Sie schlafen im „Lou Lan Hotel“, das seinen Namen der Stadt „Lou Lan“ verdankt, die Sven Hedin um 1900 in der Takalmakan-Wüste wiederentdeckt hat. Am nächsten Morgen ist die Zeit des Abschieds gekommen und Paulo bringt seine Freunde zum Bus. Dann ist er wieder allein und zieht sich zum Kladdeschreiben ins Hotel zurück. Paulo nimmt von Korla den Nachtbus nach Turpan und fährt in die riesige Senke, die in ihrer Ost-West Ausdehnung ungefähr 250 Kilometer und von Nord nach Süd 75 Kilometer misst. In ihrem mittleren Teil liegt sie 155 Meter unter dem Meeresspiegel und ist damit der tiefste Teil Chinas und der nach dem Toten Meer zweittiefste Teil der Welt. Das Tal ist trotz seiner Trockenheit sehr fruchtbar, weil seine Bewohner ein sehr ausgeklügeltes Bewässerungssystem angelegt haben, das sogenannte „Karez“-System. Darunter versteht man ein unterirdisches System von Kanälen, durch die das Gletscherwasser des Tienshan in die Senke geleitet wird und dort das Land bewässert. In China werden die Große Mauer, der Große Kanal und das „Karez“-System als die drei großen von Menschenhand geschaffenen Bauwerke aus alter Zeit genannt. Die klimatischen und Bodenbedingungen in der Turpan-Senke machen sie zu einem idealen Standort für den Weinanbau, speicherfähiger Boden, hohe Temperaturen und geringer Niederschlag. Aber aus religiösen Gründen ist im Islam der Weinanbau verboten, man nimmt bestenfalls die Weintrauben und stellt aus ihnen Rosinen her. Erst in jüngster Zeit geht man dazu über, auch Weinanbau zu betreiben, weil die jungen Menschen sich nicht viel um religiöse Schranken scheren. Paulos Bus biegt von der Nationalstraße N 312 in die Gaochang Road ein, die Hauptstraße, die Turpan durchzieht. Er kommt zum „Turpan Grand Hotel“, das in eine parkähnliche Anlage eingebunden ist. Paulo steht mitten in der Oasenstadt, holt Brot, Obst und Wasser hervor und macht es sich auf einer Bank gemütlich. Da er im Bus so gut wie gar nicht geschlafen hat, ist er sehr müde und hält nach einem Stückchen Rasen für ein Nickerchen Ausschau, wo er von niemandem gesehen werden kann. Nach zwei Stunden weckt ihn aber der Hotelgärtner mit einem Wasserstrahl, während er die Pflanzen am Hotel gießt und verscheucht Paulo. Er checkt in einem billigen Hotel ein, nimmt eine Dusche und legt sich aufs Bett. Am nächsten Tag startet Paulo sein Besichtigungsprogramm und sieht sich das „Karez“-System einmal näher an. „Karez“ heißt waagerecht in den Berg gegrabener Tunnel. Das gesamte Tunnelsystem um Turpan herum hat eine Länge von 5000 Kilometern, die Brunnen sind bis zu 70 Meter tief, die Kanäle bis zu 10 Kilometer lang. Da Turpan früher eine Karawanserei an der Seidenstraße gewesen ist, hat man Wasser gebraucht, um Mensch und Tier zu versorgen. Paulo freundet sich während seiner Tour mit zwei kanadischen Studentinnen an, Carol und Betty, wobei es ihm Carol sehr angetan hat. Er geht nach der Besichtigungstour mit beiden Mädchen in die Stadt, in der, weil Samstag ist, mächtig was los ist. Sie gehen in das Selbstbedienungsrestaurant vom Vorabend und irgendwann zum Hotel zurück. Carol schleicht heimlich zu Paulo aufs Zimmer und schläft mit ihm. Am nächsten Morgen fahren beide Mädchen aber nach Kashgar weiter, und Paulo ist wieder allein, aber das macht ihm längst nichts mehr aus.
„Wenn Du ein Mädchen kennenlernst, bist Du immer völlig unbefangen, oder täusche ich mich da?“
„Nein, nein, ich mache nie viel Wirbel darum und genauso macht es auch mein jeweiliges Gegenüber.“
Das AE sorgt dafür, dass Paulo eine Zeit lang in Turpan bleibt und nicht gleich wieder abreist.
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