Winger. Peter Schmidt
Читать онлайн книгу.zu kommen.
Die Polizei würde irgendwann im Hotel auftauchen und sich genauso wie ich nach Spuren wegen Lindas Verschwindens umsehen wollen, und es hat noch keinen Polizisten auf der Welt gegeben, dem es gefallen könnte, wenn jemand, der in ihrer Vorstellung ungefähr zwischen Toilettenfrau und Hilfsarbeiter rangiert, seine klebrigen Finger auf irgendwelche Beweismittel legt.
Ich nahm mir zuerst Lindas Kleiderschrank vor.
Aber was ich dort fand, hätte auch in jedem anderen Schrank liegen können. Der übliche Plunder, den Frauen auf Reisen bei sich tragen, die es darauf anlegen, einem Mann mit allen Mitteln der Textil- und Kosmetikindustrie davon zu überzeugen, dass es außer ihnen eigentlich keine andere für ihn geben sollte. Leider war nicht ich dieser Jemand. Doch gemessen an anderen Frauen ihres Alters hatte sie sich geradezu sparsam eingedeckt. Drei dünne Kleider, zwei davon tiefer ausgeschnitten, als sich ein eifersüchtiger Ehemann wünschen würde. Dann eine schwarze Jacke aus grobem Rindsleder mit aufgesetzten Taschen, ein heller Popelinemantel, eine seltsame Art von Kopfbedeckung, die irgendein Mittelding aus Schirmmütze und Sonnenhut darstellte, und ein ganz gewöhnlicher grüner Filzhut mit Bordüre. Dazu Blusen, ein Rock, drei Paar Schuhe, Turnschuhe und ein moderner Laptop mit hunderter Festplatte und Farbbildschirm, der unten im Kleiderschrank hochkant an der Zwischenwand zum Wäschefach lehnte.
Als ich die schwarze Lederjacke sah, dachte ich an Miras Worte: "Hose und Jacke, Turnschuhe mit flachen Absätzen, schwarze Lederjacke, glaube ich."
Aber warum hätte sich Linda so sang- und klanglos im Wald vor Elmonds Haus verabschieden und noch am gleichen Abend mein Büro durchsuchen sollen? Das ergab keinen Sinn.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, was sie an diesem Abend getragen hatte.
Doch wie immer bei Frauen, die mir imponieren, fiel mir weder ein, wie ihre Kleidung noch wie ihre Schuhe ausgesehen hatten. Ich erinnerte mich zwar genauso gut an ihre Beine wie Eduardo, aber nicht an ihr Kleid oder Kostüm. In den Anfängen einer Beziehung leide ich sogar an leichten Gedächtnisausfällen, was das Gesicht einer Frau anbelangt. Vielleicht ist das nur ein weiser Trick der Natur, einer Angebeteten möglichst nahe zu sein und sich niemals wieder weiter als auf Sichtweite von ihr zu entfernen.
Ihr Laptop war wesentlich interessanter als der Inhalt ihrer Wäschefächer. Leider hatte sie alle interessanten Texte – ich nahm an, dass es die interessanteren waren – codiert. Ich klimperte ein wenig auf der Tastatur und probierte alle Tricks durch, die ich kannte. Doch das Codewort lautete weder Gustav noch Winger. Wenn es Gustav gelautet hätte, wäre das ein deutliches Indiz auf einen Freund namens Gustav gewesen. Und dieser Freund musste mir einiges voraushaben. Wahrscheinlich Geld und eine geradere Nase.
Dann fiel mir ein, nach dem Phantombild zu suchen. Soweit ich wusste, besaß sie drei oder vier Kopien davon.
Es gab keine Kopien. Zumindest nicht da, wo ein normaler Mensch danach suchen würde. Ich rückte den Kleiderschrank ab und sah unters Bett. Aber warum hätte sie eigentlich solch ein Staatsgeheimnis daraus machen sollen? Hing Rosas Phantombild nicht auf allen Polizeirevieren?
Nach einer halben Stunde war ich sicher, dass sich in diesem Raum kein Hinweis finden ließ, der über ihr Verschwinden Auskunft gab. Ihre Postadresse lautete "Berlin, Treptower Park 22". Das entnahm ich zwei Ansichtskarten von Freundinnen, die im Seitenfach ihrer Reisetasche steckten. Ein Apartmenthaus, denn auf der einen Karte stand: "Gebäude 22b, Apartment 5". Und eine gewisse Madeleine aus Lyon fragte in einwandfreiem Schriftdeutsch an, ob sie immer noch beim Sonnenbaden auf der Terrasse von dem "gutaussehenden jungen Mann", beobachtet wurde, den Linda anfangs fälschlich für einen schwulen Friseur aus der Nachbarschaft gehalten hatte. Die Antwort lautete vermutlich "ja".
Ich stopfte Lindas Laptop in eine Tragetasche aus dem Supermarkt, um ihn mir später noch einmal anzusehen, kehrte zur Rezeption zurück, gab den Schlüssel ab und machte mich mit ihrem bulligen schwarzen Leihwagen auf den Weg zu Walter F. Born.
Walterchen würde sich sicher brennend für das Verschwinden seiner freien Mitarbeiterin interessieren. Zumindest nahm ich das an.
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