Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

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Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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Akademiker ist es ja wohl kaum besser bestellt. Schlimm ist nur, daß man sich hier wie dort wenigstens bis zu einem gewissen Grade an diese Leute anpassen muß, weil die Außenseiterrolle auf längere Sicht nur schwer erträglich ist.

       Mich würde interessieren, was denn die Studenten mit ihren Statusansprüchen machen, die durchgefallen sind oder zwar ein Examen, aber keine Stelle haben.

       Ich schreibe heute erst, weil uns Ihr Brief mitten in den Vorbereitungen für den Weltkongreß erreichte. Genau heute vor zwei Wochen habe ich Frau und Kinder zu den Schwiegereltern gebracht und bin mit Herrn Stöbe nach Evian gefahren. Der Kongreß wird am besten durch einen angeblichen Ausspruch einer hochgestellten Persönlichkeit der ISA charakterisiert. Er wäre eine Katastrophe geworden, wenn das Wetter nicht so gut gewesen wäre. Meine bleibenden Eindrücke werden wohl sein: Die Fahrten zum Montblanc und zu den Diablerets, die morgendlichen und abendlichen Aperitifs, eine zunächst unerfreuliche Diskussion mit Leuten aus der DDR und aus der Kongreßarbeit eine nette Geschichte: Ein Russe benutzte das Badehandtuch mit eingewickelter Badehose seines (englischen) Vorredners, um die Tafel abzuputzen. Beim zweiten Mal resignierte der Engländer und meinte, er hätte zwar seinen Beitrag zum Kongreß schon geleistet, wolle aber noch einen Beitrag zur internationalen Kooperation leisten. Das Niveau der papers in den beiden Arbeitsgruppen, die ich besucht habe, war m. E. sehr niedrig. Bemerkenswert war, daß russisch praktisch dritte Kongreßsprache war und daß im Unterschied zu dem Kongreß in Stresa 1959 die Leute aus der Sowjetunion und der DDR sich um sachliche Beiträge ohne Propaganda bemühten.

       Mit der Habilitation geht es nun auch voran: Wie mir König gestern mitteilte ist der Umlauf der Arbeit praktisch beendet und die Probevorlesung auf die erste Fakultätssitzung, Mitte November gelegt, die Bestimmung des Themas soll im Umlaufverfahren erfolgen. So stehen die Chancen, daß wir in den ersten Januartagen nach Berkeley gehen werden, eigentlich gut. ...

       Im übrigen fand ich, als ich von Evian wiederkam, einen Brief des Hauptgeschäftsführers des Zentralverbandes des deutschen Handwerks vor. Ein Journalist hatte aus Sacks Arbeit für das Hamburger Abendblatt einen Knüller fabriziert und der zweitoberste aller deutschen Handwerker verlangte etwas beleidigt und erregt Auskunft. Ich hoffe, das sich kein größerer Briefwechsel daraus ergibt.

       Für heute alles Gute und herzliche Grüße. Ihre Elisabeth + Hansjürgen Daheim“

      Zufällig schreibt auch Fritz Sack zwei Tage später zum Kulturschock:

      „Ist Dir eigentlich gar nicht der lustige Widerspruch in der Schilderung über Eure ersten Eindrücke und Erlebnisse aufgefallen? Du schreibst zwar von dem ausgebliebenen berühmten Kulturschock, schreibst dann aber unmittelbar hinterher von der Magen und Darmverstimmung. Angesichts Deiner netten Ausführungen im Kölner Zeitschriftenartikel über Frustration, Aggression, Verschiebung, Sublimierung usw. sollte man eigentlich annehmen, daß Dir selbst die Beziehung zwischen dem Ausbleiben des Kulturschocks und dem Eintreten des Magen– und Darmschocks klar ist. Diese Geschichte hättest Du mal Frau Prof. Meistermann erzählen sollen. Du wärest bei Ihrer Reaktion sicher rot geworden.“

      Und über den Weltsoziologentag:

      „Wir sind seit wenigen Tagen aus Evian, dem großen Völkertreffen der Soziologen zurück. (Wie Du wahrscheinlich auch dort erfahren hast, ist die Sache mit Prof. Unnithan noch in Ordnung gegangen. Nach so viel Eilsendungen und Telegrammen hin und her konnte am Ende der Lohn auch nicht versagt werden.) Es gab dort ein großes Wiedersehen mit allen möglichen Leuten. Unter anderem waren Gugler, Rüschemeyer, Stendenbach, viele Bekannte für mich aus Amerika dort. Interessant war das mächtige Vordringen der osteuropäischen bzw. sozialistischen Soziologie auf dem Kongreß. Jedes Land von hinter dem Eisernen Vorhang rückte mit einer großen wohlausgerüsteten Kompanie an, und sie machten Trubel, wo sie nur konnten. Wissenschaftlich kann man von so einer Mammutveranstaltung kaum mehr ernsthaft profitieren, weil man die ganze Zeit mit sich ringen muß, wo man hingeht und wo man fort bleibt. Prof. König als Präsident hat sich seiner Sache mit Eleganz und Souveränität entledigt. Aber das war ja auch nicht anders zu erwarten.“

      Vor der Abreise Unnithans hatte ich überhaupt keine Gelegenheit mich mit den Kollegen im Department zu unterhalten, außer mit Yogendra Singh, der das Papier für Unnithan geschrieben hatte. Auch ohne ein persönliches Gespräch hatten die übrigen drei meiner Bitte entsprochen, zu Beginn meiner Lehrtätigkeit ihre Veranstaltungen besuchen zu dürfen. Das war großzügig. Nun habe ich Zeit, das nachzuholen, was schon längst fällig gewesen ist. Trotz meiner Entschuldigung sind sie reserviert. Sie sagen mir offen, daß das Department mehrheitlich gegen die Einladung an mich war. Ich werde nun für ein ganzes Jahr eine höhere Stelle für einen von ihnen blockieren, nur weil Unnithan jemanden brauchte, der für ihn zu schreiben bereit ist. Der ehemalige Vice Chancellor Metha, hat wie immer dem Wunsch Unnithans, auch gegen alle Widerstände, entsprochen. Ohne Metha wäre Unnithan nicht der Head of the Department. Bei seiner eigenen Berufung hat Metha die Unnithans mit nach Jaipur gebracht. Beide sind nun in der Universität beschäftigt.

      Auch in Indien gelte der in den USA für akademische Karriere kreierte Grundsatz „veröffentliche oder verrecke“. Das Problem für Unnithan sei, daß er nicht schreiben kann. Deshalb organisiere er sich „Schreiber“. Einer seiner Schreiber, lndra Dev, sei gerade in der Jodhpur University der Head of the Department geworden. Der andere, Yogendra Singh, gehe im Dezember für mehrere Monate an die McGill University. Nun werde ich wohl für ihn schreiben. Andere Kollegen würden für Unnithan nicht schreiben.

      Ich bin geknickt, die Kollegen merken es, aber ich diskutiere nicht. Bei der nächst bester Gelegenheit frage ich Yogendra Singh, warum er sich dafür hergibt für Unnithan zu schreiben. Nun, Unnithan könne nur organisieren, aber nicht schreiben, sagt Singh. Dagegen fiele es ihm leicht zu schreiben, insbesondere wenn alle Vorbereitungen für das eigentliche Schreiben so vorbildlich organisiert werden, wie Unnithan dies tue. Schließlich werde auch er wie Indra Dev sehr bald von Jaipur weggehen. Das Schreiben für Unnithan sei ein kleineres Übel, als deswegen einen Dauerkonflikt mit Unnithan zu riskieren. So sei es auch mit Indra Dev gewesen.

      All dies erzähle ich meiner Frau. Wir beraten und entscheiden uns für eine sanfte Ablehnung, sollten wir oder ich von Unnithan direkt angesprochen werden. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung eines hinreichend breit angelegten Instruments für die Messung vom Grad der Modernität im modernen Sektor und auf die Erprobung des Instruments bei unterschiedlichen Gruppierungen im modernen Sektor. Unnithan hat als gemeinsames Projekt eine Untersuchung über die Orientierung der indischen Bürokratie vorgeschlagen. Auch dafür werden wir ein solches Instrument gebrauchen können. Im Campus und in der Stadt sind genügend Möglichkeiten, um begleitende Voruntersuchungen durchzuführen. Dabei lernen wir die Studierenden und Lehrenden immer näher kennen. Viel näher als es nur über Beobachtungen und über zufällige Begegnungen möglich gewesen wäre. Je näher wir diesen beiden Gruppen kamen, um so mehr verfestigte sich unsere Idee, auf jeden Fall eine Befragung über deren Erwartungen, Wünsche, Einstellungen, Gedanken als mittelbare Träger der Modernisierung durchzuführen, zumal sie sehr wenig Finanzmittel beanspruchen würden. So sind wir dabei, dafür Erhebungsbögen fertigzustellen. Wir hatten dafür auch etwa vier Wochen Zeit, da Unnithan seine Teilnahme an dem Weltkongreß auch für weitere Reisen nutzen wollte.

      Noch bevor Unnithan abreiste, organisierte er für Yogendra Singh einen Arbeitsplatz im Gästehaus der Universität. Er sollte in Abwesenheit von Unnithan die Auswertung einer Untersuchung über „Tradition of Nonviolence in East and West” voranbringen. Ein Doktorand assistierte ihm dabei. Zwei Tage vor Unnithans Rückkehr, um den 25. September 1966 herum, bittet mich Singh, den Stand der Auswertung anzusehen. Er käme nicht weiter. Gut, daß wir mit unseren Fragebögen so gut wie fertig waren. Diese eher harmlose Bitte von Yogendra Singh leitet für uns, und sicherlich auch für ihn, eine unvorhergesehene Phase ein.

      Der provisorische Arbeitsplatz ist ein geräumiger Raum. Auf der Wandseite eines großen Schreibtisches sind Bücher über „Non-violence“ aufgereiht. Die übrige Fläche ist beansprucht von Ordnern, Fragebögen und Konzeptpapieren. Singh und der Doktorand wissen nicht, was sie mit den vielfältigen Antworten auf offene Fragen anfangen sollen. Der Fragebogen ist wie für demoskopische


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