SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
Читать онлайн книгу."Nach links", stammelte Iorweth. "in ... zweiten Tunnel ... ganz durch ...ein Versteck."
Die Elfe mit Namen Toruviel stützte Iorweth auf der Gegenseite und sie stolperten den Gang links entlang. Der zweite, folgende Durchgang war ein dunkler schmaler Tunnel, durch den sie nur auf Knien vorankamen. Riordain ging über seine Kräfte hinaus, als er sich auf seinem Hosenboden durch den Tunnel zwängte und den inzwischen bewusstlosen Iorweth hinter sich her zog.
"Cáemm 'ere! Tháess aep!" zischte die Elfin. Auch Riordain konnte das Trampeln schwerer Stiefel auf Stein hören.
Die Soldaten waren in den Gängen der Kloake. Jemand blaffte Befehle, zwei Trupps schwirrten nach links und rechts aus. Einer der Trupps näherte sich auch ihrer Seite. Das diffuse Licht von Fackeln huschte über die feuchten Mauerwände. Die Elfen hielten den Atem an und hofften weit genug in die Schatten geraten zu sein, um unentdeckt zu bleiben. Ratten huschten aus dem Lichtschein.
"Mistratten!" grunzte ein Soldat ganz nah. "Dann weiter suchen!" rief ein anderer. Es wurde wieder dunkel und die Stimmen und Schritte entfernten sich.
Die zwei Elfen zogen erleichtert die stinkende Luft ein. Riordain nahm die Hand vom Mund Iorweths, sie war voller Blut. Dann zogen sie sich mühsam, da sie auch leise sein wollten, durch den engen Tunnel.
"Er hat sich mit Dh'oine eingelassen, das hat er nun davon. Wir sollten ihn hier krepieren lassen." hörte er die harte Stimme Toruviels sagen.
"Hilf ihm, bitte!" jammerte Riordain.
"Ich weiß nicht, warum ich dir helfe, du elender Halbelf", brummte die Elfenkriegerin. "Ich brauche Nähzeug, Kräuter, sauberes Linnen - kannst du mir das besorgen? Ah, und vergiss nicht was zu Trinken und Essen."
Die ganze rechte Gesichtsseite pochte und schmerzte ihm. Das Auge war verklebt, nur das linke konnte Iorweth öffnen. Sie waren in einem kleinen Raum des unterirdischen Labyrinths der Kloaken. Einem Versteck. Ein Feuer brannte und in einem verbeulten Kessel kochte Toruviel Wasser ab. Er selbst lag daneben, ein Stück Lumpen lag unter seinem Kopf.
Die Elfenfrau verzog den harten Mund zu einem grinsenden Lächeln. Ihr kastanienbraunes Haar war in schmalen Zöpfen geflochten und ein Lederband fixierte sie, ein Eichhörnchenschwanz war daran befestigt. Sie trug eine leichte Lederrüstung, das umbrafarbene Leder war speckig und schmutzig. Neben ihr ruhten in einem schmucken Köcher ein kurzer Jagdbogen und zwei Elfenschwerter. "Andere sterben an Ort und Stelle und du machst einen Spaziergang daraus. Ich bin Toruviel."
"Ior... weth", brachte er in zwei gestammelten Silbern aus zerfetzten Lippen hervor.
"Ich weiß." Für eine Elfin hatte sie ein viel zu ernstes, markantes Gesicht, um wirklich hübsch zu sein. Sie riss sein Hemd in Streifen, zumindest den noch einigermaßen sauberen Teil seines vom Blut durchtränkten Hemdes. Tauchte einen Teil der Fetzen ins abgekochte Wasser und begann sein Gesicht abzuwaschen. Sie zog ihm einige Glassplitter aus der Backe, dem rechten Auge und der Stirn.
"Wie... schlimm... ist... es?" wollte Iorweth wissen und vermied jegliche Gesichtsmimik, die ihm nur weitere Schmerzen durch den Kopf jagten.
"Das willst du nicht wissen, mein junger Iorweth", seufzte die Elfe und zog einen weiteren Splitter aus dem Loch in der Backe. "Wenigstens hat es zu bluten aufgehört." Sie legte ihm ein feucht-warmes Tuch über die rechte Kopfhälfte. "Was hast du in dem Haus überhaupt gewollt?"
"Ich... ...Coin... neach war... nen."
"Wenn dieser Mistkerl Coinneach sich mit einer Dh'oine vergnügt, während sein Imperium hinter ihm zu fallen beginnt, dann hat er keine Warnung verdient." Blanker Hass sprach aus Toruviels Worten.
"Die... Sco... 'tael... mög'n... Coin... neach... grade", stotterte Iorweth.
"Neén, wir Scoia’tael mögen Coinneach Dá Reo nicht. Er kämpft nicht für unsere Sache. Er verfolgt eigene - sehr egoistische - Ziele. Er paktiert mit, für meine Geschmack, zu vielen Dh'oine. Davon ist er dekadent und falsch geworden."
"Denkst... du... das... auch..." Iorweth griff sich ins schmerzende Gesicht. "Ich... bin... sein..."
"...hochgeschätzter Freund und sowas wie die rechte Hand Coinneachs", vollendete die Elfin den Satz. Sie zuckte die Schultern und blickte finster funkeln zu dem verletzten Iorweth herüber. "Aus welchem Holz du geschnitzt bist, wird sich noch zeigen müssen."
6
Die Elfenkriegerin Toruviel hatte Iorweths Gesichtswunden zusammen genäht, dick mit einem antiseptischen Kräutersud bestrichen und fast den ganzen Kopf mit sauberen Leinenstreifen umwickelt. Nur das linke Augen, ein Teil der Nase und die linke Mundseite blieben frei. Gegen die höllischen Schmerzen hatte man ihm eine betäubende Droge eingeflößt - gegen seinen Willen. Nun lief Iorweth wie ein Betrunkener an Riordain's Seite, der ihm half. Alle drei Elfen waren in dunkelgrüne Umhänge gekleidet, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.
"Wieso bringen wir ihn nicht in den Brokilon?" wollte der Halbelf wissen.
"Weil es zu weit ist. Das würde er nicht überleben. Wir bleiben erst mal im Umland. Nahe der Schwarzschwalbeninsel im Süden des Sees gibt es einen Scoia’tael-Unterschlupf. Aber erst müssen wir aus dieser verfluchten Stadt heraus!"
Es war nach Mitternacht, die Nacht war kühl und finster. Nahe dem Wohnhaus von Coinneach waren die drei aus den Kloaken aufgetaucht. Vereinzelt brennende Pechfackeln an Hauswänden spendeten notdürftig Licht. Sie betraten das Haus, durch die bereits von einem anderen Stiefelpaar eingetretene Tür. Das Innere war ein heilloses Durcheinander von verstreuten Utensilien und umgeworfenen Möbeln. Hier war nichts mehr zu holen, alles Brauchbare war entweder bereits gestohlen oder kaputt gehauen worden.
"Haben sie Coinneach gefangen?" fragte Iorweth.
"Neén. Er entkam", antwortete ihm die Elfe, die am Fenster neben der Tür stand und nach draußen blickte. "Die Patrouille ist vorbei gegangen. Wohin nun?"
Iorweth hielt sich den verbunden Kopf und versuchte sich in seinem benebelten Zustand zu konzentrieren. "Zum Osttor, dort gibt es einen Ausgang. Dann entweder schwimmen oder wir hangeln uns unter der Brücke ans andere Ufer."
Vor dem unscheinbaren Ausgang stand ein Wachsoldat. Auf den hohen Wehrmauern darüber patrouillierten weitere Soldaten. "Verdammt", flüsterte Iorweth, "es wimmelt ja nur noch von Wachen."
Jetzt half nur eine List. Toruviel schlich sich auf die Gegenseite des Wächters am Ausgang heran, so nah es ging. Iorweth blieb rechts und schaffte es bis an das Stadthaus neben der bewachten Tür. Er stand wartend im Schatten der Türnische, sah den Wachsoldaten selbst nicht. Da rollte klirrend ein alter Krug auf die Straße. Kurz darauf tauchte der Wachsoldat auf, die Hellebarde vorgestreckt. Der Elf schüttelte sich die schwindelnde Trägheit ab und stürzte vor. Ergriff den Wächter am Hals, schloss ihm den Mund bevor er schreien konnte und zog ihn an die Mauer zurück. Schon war die Elfin herbei und rammte dem verwunderten Wachsoldaten die Klinge in die Brust. Geschickt fing sie die Hellebarde auf, bevor irgendwelcher Lärm weitere Wachposten alarmieren konnte.
Riordain half Iorweth den toten Wachsoldaten in einer dunklen Ecke an der Rückseite des Hauses zu verstauen. Mit einem Dietrich schaffte es der verbundene Elf nach in ewig sich hinziehenden Minuten, den verschlossenen Ausgang zu öffnen. Die drei schlüpften nach draußen. Tasteten sich an der Mauer entlang, bis zu einer kleinen Biegung, hinter der sie gerade noch Deckung fanden. Vor ihnen lag die östliche Brücke - zwei Soldaten schoben davor Wache.
Ein kurzer felsiger Abhang führte hinunter zum Seeufer. Iorweth legte sich auf den Bauch und rollte sich - jegliches Geräusch vermeidend - hinunter. Riordain folgte ihm, war aber nicht ganz so leise. Ab und an rollten Kiesel unter seiner Bewegung weg.
Von der Brücke bewegte sich einer der Wachsoldaten in ihre Richtung. Toruviel hielt schon ihr Sihil in der Hand.
Ein lautes Platschen kam unerwartet von der anderen Seite der Brücke und lenkte die Soldaten von den Elfen ab. Der Wachsoldat rannte zurück, seinem brüllendem Kollegen entgegen: "Patty komm schnell her, dort kommt was