Die Millionengeschichte. Edgar Wallace

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Die Millionengeschichte - Edgar Wallace


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märchenhafte Weise sind Sie in mein Leben getreten.«

      »Aber nehmen wir einmal an, daß ich mit all Ihren Vorbereitungen nicht einverstanden bin. Wenn ich nun nicht mitmache?«

      »Dann müßte ich Sie allerdings bitten, wieder Ihre nassen, schwarzen Kleider anzuziehen. Ich würde Sie ins Auto setzen und Sie wieder an die Stelle zurückbringen, wo ich Sie heute Abend gefunden habe. Das klingt sehr unfreundlich, und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich es gar nicht so böse mit Ihnen meine. Im Gegenteil, ich bin stets für ein friedliches und beschauliches Leben und nicht für große Aufregungen. Ich erkläre Ihnen feierlich, daß ich dieses ganze Abenteuer nicht unternommen hätte, wenn ich nicht so große Sorge um meinen Freund Harry Leman hätte. Er ist ein etwas sonderbarer, älterer Herr.« Sands schüttelte bedächtig den Kopf. »Und ich muß sagen, daß ich ihn wirklich gern habe.«

      »Nun, wir brauchen ja nicht darüber zu sprechen, was passieren würde«, erwiderte sie ruhig, »denn ich bin nicht so töricht, Ihr Anerbieten ohne weiteres zurückzuweisen. Aber ich muß Ihnen doch sagen, daß ich nicht so scharf darauf aus bin, noch einmal zu heiraten.«

      »Dann waren Sie also schon einmal verheiratet?« fragte John Sands, der plötzlich aus seiner beschaulichen, ruhigen Stimmung in die raue Wirklichkeit geschleudert wurde. »Sind Sie wieder frei, so daß Sie heiraten können?«

      Sie nickte.

      »Es wäre allerdings verteufelt unangenehm gewesen, wenn Sie schon einen Mann gehabt hätten – wirklich höchst unangenehm!«

      »Was erwarten Sie denn von mir? Was soll ich tun?« fragte sie sachlich.

      »Jetzt sollen Sie sich ins Bett legen und ordentlich ausschlafen. Morgen in aller Frühe kommt eine Frau hierher und bringt das Haus in Ordnung. Ich werde ihr erklären, daß Sie meine Schwester seien, die plötzlich unerwartet zu Besuch kam. Und da Sie Ihren Koffer verloren haben, schicke ich sie in die Stadt, damit sie alles kauft, was Sie brauchen. Seien Sie aber vorsichtig. Sie braucht ja nicht nach oben in Ihr Zimmer zu kommen und Sie sehen, sonst könnte die Sache vielleicht etwas unangenehm werden«, meinte er lächelnd und betrachtete sie wieder. »Sie können ja wohl die Kleider, die Sie vorher trugen, in Ihrem Zimmer trocknen – hoffentlich sind keine Stempel vom Gefängnis darin.«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Nein, es sind gar nicht meine Kleider. Sie gehören der Gefängnisärztin. Ich habe sie mir heute früh angeeignet und den Sträflingsanzug dortgelassen. Ich habe es nämlich so einrichten können, daß ich durch ihr Haus floh.«

      »Das ist allerdings sehr gut, ganz vorzüglich.«

      Sie erhob sich.

      »Ich fühle aber deutlich, daß Sie mir noch nicht alles gesagt haben. Sie halten mit etwas zurück.«

      »Es gibt verschiedenes, was ich Ihnen bis jetzt noch nicht gesagt habe. Aber das hat noch Zeit und kann bis später warten. In Ihrer jetzigen Verfassung sind Sie nicht fähig, alles zu verstehen. Sie müssen erst ruhiger werden. Wenn erst einige Tage vergangen sind, haben Sie den nötigen Überblick und die nötige Sicherheit, dann können wir über das Weitere reden.«

      Sie ging die Treppe hinauf, aber als sie etwa auf der Hälfte war, rief er ihr nach: »Ich schlafe heute nacht nicht hier im Haus, aber morgen früh komme ich zeitig wieder her. Unten in der Diele ist ein Telefon; wenn Sie etwas brauchen sollten oder mich anrufen wollen, können Sie mich unter Paddington 1764 erreichen. Hoffentlich fällt es Ihnen nicht ein, während meiner Abwesenheit das Weite zu suchen. Geben Sie mir Ihr Wort darauf.«

      Sie lachte.

      »Keine Angst. Ich verlasse dieses Haus nicht, wenn ich nicht jemand bei mir habe, der mich in Schutz nehmen kann.«

      »Sie sind klug und vorsichtig. Und soweit ich sehe, sind Sie auch unter einem guten Stern geboren. Ich rate Ihnen nur, achten Sie sehr darauf.«

      »Auf die Sterne?« rief sie vom obersten Treppenabsatz herunter, und ihre Stimme klang etwas verächtlich.

      »Sie mögen jetzt im Augenblick darüber lachen«, entgegnete er überzeugt. »Aber für mich haben sich Astronomie und Astrologie sehr wohl bezahlt gemacht.«

      Sie ging ins Schlafzimmer hinauf und setzte sich oben auf die Bettkante. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, während sie hörte, daß er unten umherging. Einmal sang er sogar leise eine einschmeichelnde Melodie. Seine Stimme hatte einen sonderbaren Klang, der ihr zu Herzen ging. Nach einer Weile knipste er das Licht aus, dann schloß er die Haustür von außen. Sie lehnte sich lächelnd in die Kissen zurück. Seit langer Zeit fühlte sie einmal wieder zartes Leinen und weiche Daunenkissen. Sie wußte gar nicht, wie müde sie war. Das kam ihr erst zum Bewusstsein, als sie wieder aufwachte. Sie glaubte, sie hätte nur die Augen geschlossen und wieder aufgemacht, aber merkwürdigerweise war es heller, lichter Morgen.

      3

      Inzwischen wanderte Sands durch den rieselnden Regen nach dem Berkeley Square. Von diesem vornehmen Platz, an dem nur reiche Leute wohnen, biegt die Davis Street ab, eine Durchgangsstraße, in der viele kleinere, aber vornehme Geschäfte liegen.

      Über einem dieser Läden wohnte Harry Leman. Seine Nichte führte ihm die Wirtschaft, denn obwohl er mehr als acht Millionen Dollar besaß, lebte er einfach, ja beinahe asketisch. Es grenzte fast an Geiz, daß er schon fünf Jahre in einer möblierten Wohnung zugebracht hatte.

      Als John Sands eintrat, lag Leman auf einem Sofa, das nahe am Fenster stand. John Sands war ein so vertrauter Freund, daß er Haus- und Wohnungsschlüssel besaß und zu jeder Zeit freien Zutritt hatte. Das Zimmer war nur durch eine Leselampe mit einem schönen, grünen Seidenschirm erleuchtet. Sie stand auf einem kleinen Tisch in der Nähe des Sofas. Im Kamin brannte ein behagliches Feuer. Leman wandte sich um – er hatte eben aus dem Fenster gesehen – und erhob sich langsam. Er war groß, aber etwas zu hager. Sein schwarzer Anzug war ihm mit der Zeit etwas zu weit geworden, und auch der glatte weiße Kragen ließ darauf schließen, daß der Mann in den letzten Jahren abgenommen haben mußte. Das schmale Gesicht hatte eine bräunliche Färbung. Als einziges Schmuckstück trug er eine große, elegante Goldkette, die von einer Westentasche zur anderen reichte.

      Seine Wäsche war sehr einfach, aber tadellos sauber, und seine Schuhe sahen gut gepflegt aus. Harry Leman putzte sie jeden Morgen selbst. An Größe war er John Sands bei weitem überlegen; selbst jetzt in der gebückten Haltung überragte er ihn. Er nickte nach dem kleinen Büfett an der Wand hinüber. Dort standen auf einem Tablett zwei gefüllte Kristallgläser mit goldbraunem, altem Kognak. Sands reichte seinem Gastgeber ein Glas, das andere trank er selbst mit einem Zug aus. Diese kleine seltsame Zeremonie wiederholte sich jedesmal, wenn sich die beiden trafen.

      »Sie sind heute zehn Minuten zu spät gekommen«, sagte Leman und wischte sich mit dem Taschentuch über den Mund. »Holen Sie die Karten.«

      »Ja. Und ich werde auch Licht machen«, erwiderte Sands und drehte am Schalter.

      Er ging zu einem kleinen Schrank, nahm zwei Pack Karten und einen Anschreibeblock heraus und legte beides auf den Tisch.

      »Warum schauen Sie denn aus dem Fenster? Was interessiert Sie so sehr?« fragte John neugierig, denn die Nacht war dunkel, und man konnte draußen kaum etwas erkennen.

      »Ich beobachte den Zeitungsreporter, der drüben sein Zimmer hat. Ich kann ihn von hier aus sehen. Er ist wieder eifrig an der Arbeit.«

      »Was ist denn das für ein Berichterstatter?« fragte John überrascht.

      Leman räusperte sich.

      »Er hat seine Wohnung gerade mir gegenüber und ist einer der Leute von Holland Brown, dem Besitzer der ›New York Mail‹.«

      »Woher kennen Sie ihn denn?« fragte John gespannt.

      »Er kam heute in meine Wohnung und wollte mich interviewen«, entgegnete der Millionär gleichgültig. »Neugierig sind die Leute ja immer. Er wollte wissen, wann ich nach New York zurückreise, und vor allem, ob es stimmt, daß ich verheiratet sei.«


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