Der Spalt: Wie mich – 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin – der Schlag traf.. Meike Mittmeyer-Riehl

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Der Spalt: Wie mich – 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin – der Schlag traf. - Meike Mittmeyer-Riehl


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bei meinen eigenen Recherchen herausfand. Bei zwei Drittel der Patienten mit Karotisdissektion bleibt jedoch eine Ausstülpung, also ein kleines Aneurysma, zurück.6

      Dass mein Gehirn eine Zeit lang von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten war, war auf den CT-Aufnahmen ganz eindeutig zu erkennen, erklärte mir der Arzt weiter. Hinweise auf eine Hirnblutung gab es aber keine. Somit hatte ich – „mit sehr, sehr viel Glück“, wie er gleich betonte – keine bleibenden Schäden davongetragen. Vor allem auch dank meines Alters. Denn mein junger Körper hatte es offenbar schnell genug geschafft, die Blutversorgung des Gehirns über andere Wege sicherzustellen. Auf diese Weise war meine rechte Hirnhälfte nur sehr kurz unterversorgt gewesen, darum hatte auch die Lähmung auf der linken Körperseite nur wenige Sekunden angehalten.

      Jugend allein schützt allerdings ganz und gar nicht vor gravierenden Auswirkungen eines Schlaganfalls: bleibende Lähmungen, schwere körperliche oder geistige Behinderungen oder im schlimmsten Fall der Tod können auch bei sehr jungen Patienten die Folge sein – wenn sie es nicht schnell genug in ein Krankenhaus mit Stroke Unit schaffen.

      Glück hatte ich also vor allem deshalb gehabt, weil mir schnell genug geholfen wurde. Ich hatte es Dennis, der den Ernst der Lage sofort erkannte, den besonnen Rettungsassistenten des Deutschen Roten Kreuzes und dem schnellen Handeln der Neurologen in der Stroke Unit Darmstadt zu verdanken, dass ich diesen Hirninfarkt so unglaublich glimpflich überstanden hatte. Die Rettungskette hatte vorbildlich funktioniert - selbstverständlich ist das nicht immer.

      „Aber warum ist das passiert?“, fragte ich meinen Arzt, als er mir die Hintergründe erklärt hatte. „Und warum mir?“ Er schüttelte nur leicht den Kopf. „Es ist immer noch nicht genau geklärt, warum das passiert“, sagte er. Es sei möglich, dass ich beim Tennisspielen eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf gemacht hatte, vielleicht bei einem Sturz. Ob ich denn gestürzt sei? „Kann schon sein“, sagte ich, „aber nicht besonders schlimm.“ Ich begann zu grübeln, und der Arzt lächelte mir aufmunternd zu. „Sie haben sehr, sehr viel Glück gehabt“, brachte er es noch einmal auf den Punkt.

      Tennis war für mich ab jetzt jedenfalls Geschichte. Weil man zumindest davon ausgehen musste, dass ich irgendeine Art von Schwachstelle an den Gefäßwänden haben könnte, bekam ich sozusagen eine lebenslange Sperre. Ich wäre aber auch ehrlich gesagt nicht im Traum auf die Idee gekommen, noch einmal den Schläger in die Hand zu nehmen, nach allem, was passiert war. Allein der Gedanke daran ließ mich schaudern. Auch alle Kontaktsportarten wie Fußball, Handball oder Kickboxen waren für mich nun gestorben. Ab sofort durften es nur noch sanfte Sportarten wie Schwimmen, Walken und Tanzen sein. Ich nahm dieses Sportverbot ziemlich emotionslos hin.

      Einen kleinen Stich in der Magengegend versetzte es mir nur, als der Arzt hervorhob, dass natürlich auch Achterbahnen ein absolutes Tabu seien. Ich liebe Achterbahnen. Und ich bin schon mein ganzes Leben lang gern die höchsten, schnellsten und wildesten Achterbahnen gefahren. Nie war etwas passiert. Warum denn ausgerechnet jetzt? Und warum bei einem harmlosen Tennisspiel? Der vielbeschäftigte Arzt ließ mich grübelnd allein zurück.

      Wie viel Glück ich an diesem 17. März 2012 tatsächlich gehabt hatte, wurde mir erst sehr, sehr viel später klar. Denn das Wörtchen Glück sollte in den kommenden Tagen, die ich noch auf der Stroke Unit verbringen musste, für mich erst mal zu einem Fremdwort werden. Von diesem Tag an ging es stetig bergab.

      „Stellen Sie sich doch vor, lieber Herr Kollege,

      man nähme uns beim Wort!

      Dann müssten wir ja springen!

      Brr, das Wasser ist so kalt! Aber keine Bange!

      Jetzt ist es zu spät, es wird immer zu spät sein.

      Zum Glück!“

       Albert Camus – „Der Fall“ 7

      Ab dem zweiten Tag auf der Stroke Unit durfte ich überhaupt nicht mehr aufstehen, auch nicht aufs Klo gehen. Ich weiß nicht, warum ich es am ersten Abend noch gedurft hatte und jetzt nicht mehr, aber es half ja nichts. Es gab noch nicht mal einen Fernseher im Zimmer, und mir war unfassbar langweilig. Dennis, meine Eltern, mein Bruder und Freunde kamen zwar oft vorbei, aber sie mussten schließlich auch arbeiten, und so war ich den Großteil des Tages doch allein.

      Zum Glück bekam ich an Tag zwei eine neue, nette Zimmernachbarin. Die alte Frau im Koma wurde verlegt und stattdessen kam Maria (Name geändert). Anfangs dachte ich noch, sie würde mich total nerven. Sie ließ sich schon nur sehr widerwillig ins Zimmer bringen und ins Bett verfrachten (sie durfte allerdings auch mal aufstehen), und dann telefonierte sie die ganze Zeit. Aus den Gesprächen erfuhr ich, dass sie auf der Arbeit eine TIA (transitorische ischämische Attacke), also einen Mini-Schlaganfall, erlitten hatte. Ihr war der Telefonhörer aus der Hand gefallen und sie konnte sich nicht mehr an die Namen von Kunden erinnern.

      Jetzt, im Krankenhaus, beschwerte sie sich lautstark bei ihren Gesprächspartnern, dass ihre Kollegen so überreagiert hatten und sie gleich in der Stroke Unit gelandet war. Mich machte ihr Gerede ziemlich wütend, denn ich fand, ich war deutlich schlechter dran als sie. Zumal sie schon Ende fünfzig war. Was sollte ich denn sagen, ans Bett gefesselt mit 24, mit einer noch viel schlimmeren Diagnose?! Vielleicht könnt ihr meine Gedanken ein wenig nachvollziehen, auch wenn sie im Grunde sehr unfair sind. Später kamen wir dann aber ins Gespräch und verstanden uns super. Maria hatte eine eigene kleine Reiseagentur, und da auch ich nichts mehr liebe als das Reisen, war unser Hauptgesprächsthema ganz klar. Sie gab mir Tipps für die Route in den USA, die wir planten. Zwischendrin erzählte ich ihr natürlich auch, was mir passiert war. Es tat gut.

      Dass ich jetzt so eine nette neue Zimmergenossin gewonnen hatte, hatte allerdings auch eine Kehrseite: Denn leider schnarchte Maria nachts fürchterlich. Darum ließ ich mir nach der ersten gemeinsamen Nacht von einer Schwester Ohrenstöpsel bringen. Froh, in dieser Nacht endlich Ruhe finden zu können, steckte ich sie mir ins Ohr – und zog sie sofort erschrocken wieder heraus. Denn statt der ersehnten Ruhe hörte ich ein dröhnendes Pumpen. Irritiert horchte ich nach und konnte das Geräusch auch jetzt hören: leiser, aber ganz nah. Es war keines der Geräte neben meinem Bett, das so klang. Das Geräusch kam eindeutig aus mir selbst, aus meinem Kopf.

      Mit zitternden Fingern steckte ich den Ohrenstöpsel wieder rein. Jetzt pochte es wieder deutlich lauter im Takt meines Pulses, hörte sich aber nicht einfach nur so an wie starkes Herzklopfen. Es klang blechern und dröhnend, genauso wie bei der Ultraschall-Untersuchung meiner Halsschlagader, die wenige Tage zuvor gemacht worden war.

      Das Geräusch hatte mit meiner verletzten Ader zu tun, wie ich am nächsten Tag auf Nachfrage bei meinem Arzt erfuhr. Das Blut hatte sich andere Wege ins Gehirn gesucht, dadurch hatten sich auch die Fließgeräusche verändert. In der Fachsprache nennt sich das pulsatiler Tinnitus, also ein Ohrgeräusch, das an den Herzschlag gekoppelt ist: Es wird lauter und schneller, wenn das Herz schneller schlägt, und leiser und schwächer, sobald man zur Ruhe kommt. Nicht alle Patienten nach einer spontanen Dissektion haben dieses Symptom, es kommt nur in 16 bis 27 Prozent aller Fälle vor.8

      Ich habe das Ohrgeräusch auf der rechten Seite bis heute, mal lauter, mal leiser. Inzwischen nehme ich es aber kaum noch wahr, selbst wenn ich Ohrenstöpsel trage. In jener Nacht im Krankenhaus allerdings war das Geräusch so fürchterlich und dröhnend laut, dass ich die Ohrenstöpsel doch lieber wegließ und stattdessen Marias Schnarchen ertrug.

      Das Ohrgeräusch war zermürbend. Jeder, der schon mal einen normalen Tinnitus hatte, kann das wahrscheinlich nachvollziehen. Aber weil es eben nicht nur ein Piepsen war, sondern dieses blecherne, dröhnende Echo meines Herzschlages, wirkte es bedrohlich. So, als könne meine Ader jeden Moment weiter reißen oder sogar platzen. Ich begann, meinem Körper zu misstrauen – und zwar zutiefst. Weil er mich schon einmal so kläglich im Stich gelassen hatte und das jederzeit wieder tun könnte. Es fühlte sich an, als hätte ich eine tickende Zeitbombe im Hals.

      Und es ging noch weiter bergab mit mir. An Tag drei auf der Stroke Unit war eine besondere Untersuchung


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