Digitale Evolution, Revolution, Devolution?. Brendan Erler

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Digitale Evolution, Revolution, Devolution? - Brendan Erler


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handelt und er den Sachverhalt daher schlicht treffend umschreibt, weswegen man im englischen bzw. auf internationaler Ebene auch vollkommen selbstverständlich von „Cultural Industries“ spricht. Im Sinne der Cultural Studies folgt der Autor aber explizit nicht der implizierten normativen Ab- und Ausgrenzung in Kunst und Kommerz, in anspruchsvolle Hochkultur und minderwertige Unterhaltungs- oder Populärkultur, die im Rahmen eines normativen Kulturbegriffs oft einhergeht mit Formen der Technik- Modernitäts- und Kulturkritik, wie sie auch im Digitalisierungsdiskurs zu beobachten ist: [3]

      Vor allem für die Frage des Urheberrechts im digitalen Zeitalter bleibt jedoch der Bezug zur Aufklärung als Bedingung und Motor der Moderne und ihrer Kritik interessant. Wegen der Manipulation der standardisierten „Pseudoindividuen“ durch die Bewusstseins- bzw. Kulturindustrie sei das Subjekt als bürgerlicher Erkenntnisträger ein (Selbst)Betrug (vgl. Horkheimer / Adorno 1947).[4] Mit eben diesem bürgerlichen Subjekt als Errungenschaft der Aufklärung wird im Diskurs jedoch sowohl die Verteidigung des Urheberrechts begründet als auch dessen Liberalisierung eingefordert. Solchen Oppositionen von hier aufeinandertreffenden divergierenden Kultur- und Gesellschaftsbegriffen soll im öffentlichen Digitalisierungs- bzw. Urheberrechtsdiskurs am Beispiel der Musik- und Literatur besondere Beachtung geschenkt werden.

      Der Untertitel gemahnt dabei nicht zufällig an Walter Benjamin, dessen „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ nicht nur der Schlagwortlieferant ist, als der er im Diskurs häufig missbraucht wird, sondern schon früh die historische Bedingtheit des vorherrschenden Kunst- und Kulturbegriffs, seine bürgerliche Verortung und den Zusammenhang mit technischem Fortschritt herausgearbeitet hat und deswegen eine der Inspirationen für diese Arbeit darstellt (Benjamin 1972). Kunstwerke seien nicht zeitlos, sondern geprägt durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Durch die technische Reproduzierbarkeit der Kunst verlor sie den „Schein ihrer Autonomie“ (Benjamin 1972, 25), „die Kunst [ist] aus dem Reich des »schönen Scheins« entwichen“ (ebd., 21) und der Verlust der „Aura“ und „Echtheit“ veränderte ihre soziale Funktion von der „Fundierung aufs Ritual“ zur „Fundierung auf Politik“ (ebd.). Benjamin sah in den neuen Möglichkeiten technischer Reproduktion die Chance, das Kunstwerk aus dem Korsett bürgerlicher Konvention zu befreien, und so „das Verhältnis der Masse zur Kunst“ (ebd., 37) zu verändern. In der Politisierung der Massen liegt für ihn „der emanzipatorische Charakter der neuen Medien und künstlerischen Produktionsweisen“ (Moebius 2009, 51). Wenn er feststellt, dass „die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff [ist], ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren […] Der Lesende ist jederzeit bereit, ein Schreibender zu werden“ (Benjamin 1972, 33), dann scheint er damit das moderne Phänomen des „Prosumers“ vorwegzunehmen (siehe 4.9.1).

      Kunst sollte vom Selbstvergewisserungsritual bürgerlicher Kreise zum Vehikel gesellschaftlichen Wandels werden - eine klare Abgrenzung von Vorstellungen bildungsbürgerlicher „Hochkultur“ verbunden mit einer Öffnung des Kulturbegriffs für die breite Masse und eine Aufwertung und Rehabilitation der weitläufig sogenannten Populär- oder Massenkultur.[5] In Anlehnung an die Dadaisten trete daher der bürgerlichen Kulturpraxis der „Versenkung, die in der Entartung des Bürgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde, […] die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegenüber“ (ebd., 42). Hier lassen sich zahlreiche offensichtliche Parallelen zur heutigen Zeit ziehen. Im Digitaldiskurs gilt die Dauerablenkung im Netz als Bedrohung und Angriff auf das kulturelle Erbe und bürgerliche Selbstverständnis. Und ebenso lässt sich im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit einerseits die Hoffnung auf Demokratisierung und Emanzipierung im Verbund mit der Absage an „eine Anzahl überkommener Begriffe – wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert“ (ebd., 10) und der „Zertrümmerung“ (ebd., 18) der viel zitierten Aura finden, andererseits ein leidenschaftliches Festhalten an diesen Konzepten aus Angst zumindest von Teilen des sogenannten „bürgerlichen Lagers“ vor einer Revolution des digitalen Mob im und durch das Netz. Dieser Kulturkampf um die Frage digitaler Devolution, Evolution oder Revolution soll in seinem Verlauf geschildert und seine elementaren diskursiven Strukturen herausgearbeitet werden.

       2 Theorie und Praxis

      Ganz allgemein ist das Ziel der Studie festzustellen, inwiefern sich die öffentlichen Diskussionen[6] zur Digitalisierung an den Beispielen Musik- und Literaturbranche darstellen und voneinander unterscheiden. Verstärktes Interesse gilt dabei den der Debatte zu Grunde liegenden Vorstellungen von Kultur und Gesellschaft. Im Sinne der Cultural Studies wird Kultur als ein zentrales (diskursives) Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung um Deutungshoheit und Macht verstanden, „in dem Werte, Normen und Deutungsmuster ständig neu verhandelt werden“ (Keller 2009, 37). Dementsprechend soll unter anderem gezeigt werden, ob mit dem Angriff der Digitalisierung auf die „heiligen Hallen“ der Literatur im Vergleich zur „profanen“ Populärmusik nicht nur Urheberrechte der Autoren, sondern das bürgerliche Selbstverständnis zur Disposition stehen und es sich folglich um eine Art Kulturkampf um den Zustand und die Zukunft der Gesellschaft handelt. Dieses sehr allgemeine Forschungsinteresse lässt sich unter anderem in folgende Einzelfragen unterteilen:

       2.1 Forschungsfragen: Digitale Devolution, Evolution oder Revolution?

      · Welche Deutungsmuster über die Effekte der Digitalisierung lassen sich allgemein und im Vergleich von Musik und Literatur beobachten?

      · Welche zentralen Kultur- und Gesellschaftsbegriffe kommen zum Vorschein? Gibt es dabei substantielle Differenzen zwischen Musik- und Literaturdiskurs? Welche Rolle spielt die Unterscheidung in Hoch- und Populärkultur, „ernsthafte“ Literatur und Unterhaltungsmusik?

      Was sind die „diskurstragenden Kategorien“[7] und welche Begriffe und Objekte sind dabei zentral?

      · Welche Verlaufsformen haben die verschiedenen Diskurse über die Digitalisierung? (Diskursive Karriere kultureller Deutungen und dominanter Deutungsmuster entlang ausgewählter Schlüsselereignisse?)

      · Welche Diskurs-Koalitionen und diskursive Verschränkungen lassen sich im Verlauf der diskursiven Karriere feststellen? Welche Auf- und Abwertungen diskursiver Positionen und argumentativer Deutungsangebote finden in diesem Verlauf statt?

      · Welche diskursiven Strategien sind zu erkennen?

      · Welche substantiellen Differenzen gibt es bei der Problem-Definition bzw. Konstitution und möglichen Lösungsansätzen?

       2.2 Struktur der Arbeit

      Die Analyse ist in drei Etappen unterteilt und orientiert sich dabei an den zwei schon verabschiedeten und einem noch im Entwurf befindlichen Urheberrechtskörben, die jeweils als Antwort auf die digitalen Veränderungen und Herausforderungen besonders für die Kulturindustrie konzipiert wurden. Die Analyse fokussiert sich dabei auf die vergleichende Analyse der diskutierten Lage und Entwicklung der Musik- und Literaturbranche zwischen technischen Neuerungen und juristischen Reaktionen im Verlauf von 2000-2012. Im Sinne der Cultural Studies wird Kultur als ein zentrales (diskursives) Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung um Deutungshoheit und Macht verstanden, „in dem Werte, Normen und Deutungsmuster ständig neu verhandelt werden“ (Keller 2009, 37). Werden die technische Entwicklung und deren Effekte auf die Gesellschaft positiv oder negativ konnotiert, mit Hoffnung oder Sorge beobachtet und wie gestalten sich dementsprechend die daraus hervorgehenden Urheberrechtsdiskurse?

      Dieser Reihenfolge gemäß dienen die Urheberrechtsreformen als vorläufige „Endprodukte“ dieser Diskurse und als jeweiliger Endpunkt der zeitlichen Untersuchungseinheit: Erster Korb 2003, Zweiter Korb 2008. Da der dritte Korb 2013 eher zu einem „Körbchen“ an Einzelmaßnahmen mutierte, der Analysezeitraum aber 2012 endet, handelt es sich im dritten Abschnitt 2009-2012 um den Stand der Entwicklung des Diskurses zum dritten Korb bis 2012, der sich aber bis heute nicht grundlegend geändert hat. Begonnen wird immer mit der Beschreibung der Lage der Industrie, die dann in eine Analyse der juristischen und gesellschaftspolitischen Reaktion auf diese Lage mündet. Die eigentliche Diskursanalysen werden jeweils eingeleitet mit einer kurzen Einführung in den ökonomischen (Kulturindustrie) bzw. juristischen (Urheberrechtsreformen) Stand der Dinge. Zusätzlich zur separaten Zusammenfassung der Entwicklung der Musik-, Literatur- und Urheberrechtsdiskurse


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